Italien:Die Bastion hält bis zum Ende

Die Italiener gehen mit Sorgen in das Halbfinale und jubeln am Ende über den Einzug in das Endspiel.

Für den ehemaligen Gewichtheber Rolf Milser war der Dienstagabend ein gelungener Abend. Das stand schon früh fest, da war es auch unerheblich, wie dieses Halbfinale zwischen Deutschland und Italien ausgehen würde. Milser wurde 1984 Olympiasieger, später machte er ein Hotel auf in Duisburg, und da wohnen in diesen Tagen die italienischen Fußballer.

Milser, der natürlich schon lieber zu Deutschland hält, hat sich über den Ausgang des Spiels aber sowieso gefreut, denn er hat wahlweise den Einzug der deutschen Mannschaft ins Endspiel bejubeln dürfen oder alternativ seine fortwährende Hoffnung, dass die Italiener in seinem Hotel Weltmeister werden könnten. Die Herberge als Wallfahrtsort für Tifosi wäre prima fürs Geschäft.Italien gewann 2:0, das Landhaus Milser ist gerüstet für die Pilger auf den Spuren der Squadra.

Pfiffe erhielten die Italiener am Dienstag: Als sie mit dem Bus ins Stadion fuhren, als sie den Rasen zum Warmlaufen betraten, als die Aufstellung verlesen wurde, als ihre Nationalhymne gespielt wurde, als das Spiel begann und dann immer mal wieder zwischendurch, denn die Berichte italienischer Medien wurden von den deutschen Fans noch immer dafür verantwortlich gemacht, dass die Fifa Torsten Frings gesperrt hatte.

Die Italiener steckten die akustischen Despektierlichkeiten recht gut weg, spielten exakt in der erwarteten 4-4-1-1-Aufstellung und konnten gleichwohl nicht verhindern, dass ihre defensiven Viererketten von den Deutschen dann und wann gefährlich ineinander geschoben wurden. Weil sie ihren Gastgebern dann aber nicht mehr viel Platz gewährten, blieb Torwart Buffon auch im vierten WM-Spiel nacheinander ohne Gegentor.

Und es war ja nicht so, dass die Azzurri nicht ohne neue Sorgen in die Begegnung gegangen wären. Sieben Spieler der Startelf hatten wenige Stunden vor dem Anpfiff erfahren, dass in der Heimat der Staatsanwalt im Sportgerichtsprozess um den Manipulationsskandal den Zwangsabstieg ihrer Klubs aus der Serie A gefordert hatte.

Das waren keine guten Nachrichten für Luca Toni vom AC Florenz, Andrea Pirlo und Gennaro Gattuso vom AC Mailand sowie Gianluigi Buffon, Gianluca Zambrotta, Fabio Cannavaro und Mauro Camoranesi von Juventus Turin, die darüber hinaus auch noch erfuhren, dass ihr Trainer Fabio Capello seinen Job bei Juve kurzfristig hingeschmissen hat. Das sind allesamt Informationen, die man sowieso nicht gern erhält als Fußballer, aber schon gar nicht kurz vor einem Halbfinalspiel bei der Weltmeisterschaft. Doch diese Belastung war den Italienern nicht anzumerken.

Sie erfüllten ihre Rolle einer stets gefährlichen Bastion, die sie in den zuvor fünf Spielen mit vier Siegen und neun Toren erfolgreich aufgebaut hatten. Wie bereits gegen die Ukraine ließen sie einige gute Chancen für den Gegner zu, jedoch musste sich Buffon auch diesmal nicht von einem gegnerischen Spieler bezwingen lassen. Sein einziges Tor hatte er ja vom eigenen Abwehrspieler Zaccardo beim 1:1 gegen die USA bekommen.

Der Trainer Lippi hatte gute Erinnerungen an das Westfalenstadion in Dortmund. Zwei Mal hat Juventus Turin 1995 unter seiner Obhut dort gegen Borussia Dortmund gespielt - und zwei Mal gewonnen: Erst im Uefa-Pokal, dann in der Champions League.

Lippis kleine Serie drohte zu reißen, Deutschland eroberte wieder mehr Spielanteile in der zweiten Halbzeit, aber sie vergaben sie hektisch in der engen Abwehr der Italiener. Die konnten sich aber immer wieder frei machen, so ist Totti in der 72. Minute erst im letzten Moment von Kehl gestoppt worden. Die Bastionen hielten 93 Minuten lang, bis Schiedsrichter Archundia die reguläre Spielzeit abpfiff.

Er hatte die Verlängerung kaum eingeleitet, als die Italiener sich so stürmisch präsentierten wie in den eineinhalb Stunden zuvor nicht: Erst traf Gilardino den rechten Pfosten, dann ging Zambrottas Schuss an die Latte. Italiens Trainer Lippi gab das Signal zum Angriff mit der Einwechslung von Iaquinta und Del Piero, die auch tüchtig Alarm machten. Pirlo hatte es in der 118. Minute auf dem Fuß, doch Lehmann konnte retten, noch einmal. Beim nächsten Mal nicht mehr, als Grosso schoss und traf zum 0:1 für Italien, und auch nicht, als Del Piero mit dem 0:2 vollendete Tatsachen schaffte: Italien ist im Finale.

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