Italien bei der Fußball-WM:Der alte Cäsar ist nackt

Sweden v Italy - FIFA 2018 World Cup Qualifier Play-Off: First Leg

Ebenfalls ratlos: Italiens Torwart-Veteran Gianluigi Buffon.

(Foto: Getty Images)
  • Wäre es für Italien sogar besser, die Fußball-WM zu verpassen?
  • Vor dem Relegations-Rückspiel gegen Schweden zeigen sich die Azzurri verstörend ratlos. Doch das Team muss einen 0:1-Rückstand aufholen.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen das Play-offs.

Von Birgit Schönau, Rom

Vom Jüngsten Gericht gibt es in Italiens Kirchen die wundervollsten, schrecklichsten, bizarrsten Darstellungen. In Todi wird die Hölle liebevoll drapiert und wie mit Neonlicht ausgeleuchtet, in San Gimignano sehen die Sünder quicklebendig aus, in Padua empfängt ein Buddha-hafter Riesenteufel die Verdammten. Am Montagabend soll im Meazza-Stadion zu Mailand dann eine ganz neue Version hinzu kommen, eine Performance mit elf Männern in gelben und elf Männern in blauen Hemden. Noch weiß man nicht, wer in den WM-Himmel und wer in die Hölle der zum Zuschauen Verdammten fahren wird, obwohl sich nach dem vorletzten Gericht, das am Freitag in Stockholm stattfand, durchaus erste Vorahnungen verbreiten.

Da sah man Italiener, die sich fast willenlos in ihr Schicksal ergaben und von den geradezu entfesselt kampfesmutigen Schweden ein 0:1 kassierten. Man sah den türkischen Schiedsrichter Cüneyt Cakir, der nicht allzu oft von seinen Instrumenten Gebrauch machte, auch nicht, als Ola Toivonen seinen Gegenspieler Leonardo Bonucci 30 Sekunden nach Anpfiff mit einem kräftigen Ellbogenstüber die Nase brach. Und man sah ein Rumpelstilzchen, das unermüdlich vor der italienischen Bank herumsprang und dazu wild gestikulierte: Gian Piero Ventura, den Trainer der Azzurri.

Nach Russland quälen, um dort zu zittern?

In Mailand werden die meisten wieder mit von der Partie sein, auch Bonucci, mit einer Schutzmaske. Referee Cakir wird indes durch den Spanier Antonio Mateu Lahoz ersetzt, auf dem Italiens Hoffnungen ruhen. "Auf dass sie uns genauso viel erlauben, wie den Schweden erlaubt wurde," lautet das Stoßgebet des Signor Ventura. "Die Italiener spielen zu viel Theater und sind dabei noch schlechte Schauspieler", kontert darauf der Schwede Marcus Berg. Mit allen Mitteln hätten die Gegner versucht, für ihn eine gelb-rote Karte zu erwirken.

Derart hochgerüstet zieht man also zum "Jüngsten Gericht in San Siro" (La Repubblica), und während man die italienischen Maler von Himmel und Hölle getrost im Paradies wähnen darf, werden die Azzurri schon jetzt gegrillt. Medien und Publikum ergehen sich in Debatten darüber, ob es nicht am Ende sogar besser wäre, erstmals seit 60 Jahren eine WM zu verpassen - um im Fegefeuer einer längst überfälligen Reform eine dringend notwendige Läuterung zu vollziehen. Sich nach Russland zittern, um sich dort weiter zu quälen und wie schon 2010 und 2014 nach der Vorrunde rauszufliegen, das wäre ja wohl erst recht unerträglich.

Dass eine Nationalmannschaft aber auch Spaß und Freude machen kann, hat man in Italien noch nicht ganz vergessen. Es ist erst 16 Monate her, da hatte die Squadra Azzurra Schweden bei der EM in Frankreich besiegt, ebenfalls 1:0. Und wie jetzt in Stockholm war das knappe Ergebnis trügerisch. Denn das Spiel, das diesmal die Schweden bestimmten, machten damals die Italiener.

Im Mittelpunkt der Kritik steht vor allem Ventura, und die Abrechnung mit dem 69-Jährigen ist gnadenlos. "Ein Trainer, der sich von anderen führen lassen muss", stichelt die Gazzetta dello Sport, und die anderen, das seien die "Senatoren", jene alte Garde um Kapitän Gianluigi Buffon und die Abwehrveteranen Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli, und Leonardo Bonucci, die nach dem erbärmlichen 1:1 gegen Mazedonien den Trainer einfach aus der Kabine drängten. Der Torwart Buffon hielt die notwendige Ruckrede damals lieber selbst.

In Stockholm sollen die "Senatoren" das Taktikschema 3-5-2 durchgesetzt haben, sie kannten und schätzten das von Venturas äußerst beliebtem Vorgänger Antonio Conte. Ventura gab nach und scheiterte. Als er in der zweiten Halbzeit auf das von ihm bevorzugte 4-4-2 zurückgriff und den Neapolitaner Lorenzo Insigne für den verstörend verunsicherten Marco Verratti einwechselte, war es schon zu spät. Schweden hatte das einzige Tor der Partie gemacht (Jakob Johansson, 58.), Italien seinen einzigen gefährlichen Torschuss an den linken Pfosten gesetzt. Matteo Darmian von Manchester United war das, der beste Azzurro auf dem Platz, wie sein Klub-Trainer José Mourinho im Stadion feststellen konnte.

Trainer Ventura findet sich nicht zurecht

Wenn Darmian getroffen hätte, wäre das Desaster abgewendet worden, vielleicht aber auch nur aufgeschoben. Die Schweden, diese Kinder des Weltfußballs, haben den alten Cäsar Italien restlos entzaubert: Unter seinen vier Weltmeistertiteln trägt er nichts. Der Cäsar ist nackt. Sein amtierender Feldherr Ventura führt zwar eindrucksvolle Veitstänze am Spielfeldrand auf, die können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mann keinen erkennbaren Plan hat. Vor seiner Berufung zum Nationaltrainer war Ventura exakt sieben Mal im Ausland unterwegs. Dass ein Coach aus der Provinz die Auswahl leitet, muss nicht negativ sein - auch Jogi Löw war mit seinen Klubs kein internationaler Meistertrainer.

Ventura aber findet sich in der großen, weiten Fußballwelt einfach nicht zurecht, er versucht, sich mit den in Messina, Pisa und Bari angewandten Methoden durchzuwurschteln und steht ratlos da, wenn das nicht funktioniert. Wie unzureichend er sich mit seinen Gegnern befasst, hat er während der gesamten Qualifikation bewiesen. Ventura ist schlicht zu passiv. Sicher, es war so gut wie unmöglich, an Spanien vorbei zu ziehen und sich somit als Gruppenerster zu qualifizieren. Aber die Playoffs hätte Italien leicht mit besseren Ergebnissen gegen Mazedonien erreichen können.

In Schweden wurde auch offenbar, dass dieser Trainer den Kontakt zu seinem Team verloren hat. Ciro Immobile, der für Lazio schon 14 Ligatore erzielt hat, bekam nicht den Hauch einer Chance. Marco Verratti, das seit Jahren hochgelobte Dauer-Talent, fungierte nicht eine Sekunde lang als Mittelfeld-Regisseur, während sein Kollege Daniele De Rossi, ein in vielen Kämpfen erprobter Veteran, sich von den Schweden einfach überrollen ließ, um dann folgerichtig Johansson bei dessen Tor zu helfen. Zur Strafe muss De Rossi beim Rückspiel zuschauen, möglicherweise war also der Auftritt in Stockholm der letzte seiner Nationalmannschafts-Karriere. Und wer Talent hat, durfte es nicht zeigen - so wie Insigne, der für Montag überraschend zum Vaterlandsretter bestellt ist. 1,63 Meter Energie sollen es nun gegen Schwedens Riesen richten. "Das Publikum von San Siro muss uns an die Hand nehmen", barmt Ventura.

Wenn aber patriotische Gefühle und ein freundlicher Schiedsrichter, Taktik, Mut und Fantasie ersetzen sollen, dann fährt der Fußball gewöhnlich zur Hölle.

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