Island bei der WM:Anlauf zum nächsten Huh

Island bei der WM: Islands Fußballer, hier Birkir Bjarnason (2.v.l.) wollen bei dieser WM überraschen.

Islands Fußballer, hier Birkir Bjarnason (2.v.l.) wollen bei dieser WM überraschen.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Erreichen des Viertelfinals bei der EM 2016 wird bei der WM in Russland niemand mehr Island unterschätzen.
  • Das Team lebt noch immer von Teamgeist und Einsatzwillen - taktisch hat Trainer Heimir Hallgrimsson aber ein paar Kleinigkeiten verändert.
  • Hier geht es zum Spielplan und allen Terminen der WM.

Von Sebastian Fischer

Auf den Bildern, die im Sommer 2016 um die Welt gingen, stand er nur in der zweiten Reihe, und deshalb hatte Alfred Finnbogason einen eher entspannten Urlaub. Er reiste nach der Europameisterschaft mit fünf Freunden aus Islands Nationalmannschaft in die USA, mit Gylfi Sigurdsson, Rurik Gislason, Johann Gudmundsson, Aron Gunnarsson und Sverrir Ingason. Die Fußballer wurden hie und da um Fotos gebeten, selbst im fernen Amerika, schließlich hatten sie beim Turnier in Frankreich mit dem überraschenden Einzug ins Viertelfinale Berühmtheit erlangt. Doch vor allem einer musste ständig posieren: Gunnarsson, der Kapitän mit dem roten Bart, der vorne stand und die isländischen Fans dirigierte, als sie nach den Spielen klatschten und "Huh" riefen.

Diese Anekdote, die Finnbogason neulich dem Magazin 11Freunde erzählte, dient zur Illustration von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, wenn man den isländischen Fußball vor zwei Jahren mit heute vergleicht. Die Gemeinsamkeiten: Die Nationalmannschaft lebt noch immer von Teamgeist, von Freundschaft und Einsatzwillen. Noch immer ist Mittelfeldspieler Gunnarsson aus Cardiff - mit dem kreativen und spielwitzigen früheren Hoffenheimer Sigurdsson - ihr wichtigster Fußballer. Und der Hype ums Huh ist derart im Mainstream angekommen, dass eine Schützenfestrockband namens "Radspitz" aus Weißenbrunn in Oberfranken Islands WM-Hymne einsang, mit der Huh-Choreografie als Refrain und Fackel, Axt und Schwert im Musikvideo.

Die Unterschiede: In Russland wird die Isländer niemand mehr unterschätzen, jetzt kennt sie ja jeder. Und: Finnbogason steht jetzt nicht mehr im Hintergrund.

Auch der neue Coach trifft sich vor jedem Spiel mit einem Fanklub

Der Stürmer vom FC Augsburg, 29, war 2016 noch Ergänzung, als Island bei seiner ersten EM-Teilnahme gegen den späteren Europameister Portugal und Ungarn 1:1 spielte, Österreich schlug, im Achtelfinale gegen England gewann und gegen Frankreich ausschied. Finnbogason wurde dreimal eingewechselt. Nun spielte er in den beiden abschließenden Tests gegen Norwegen (2:3) und Ghana (2:2) von Beginn an, jeweils schoss er ein Tor. Alles spricht dafür, dass er auch am Samstag in der Startelf steht, wenn das kleinste Teilnehmerland der Geschichte bei seiner ersten Weltmeisterschaft auf Argentinien trifft.

Messi, Di Maria, Dybala, Agüero, Higuain: "Eine der besten Offensivmannschaften der Welt", sagt Finnbogason. Aber er sagt auch: "Ich bin überzeugt, dass wir irgendwo Schwächen finden werden." Es sei das Ziel, alle zu überraschen. Noch mal.

Eigentlich hatte Trainer Heimir Hallgrimsson kaum etwas anders machen wollen, nachdem er, der Zahnarzt aus Vestmannaeyjar, nach der EM den Job übernahm, den er zuvor mit dem Schweden Lars Lagerbäck gemeinsam ausgeübt hatte. Er führte die Tradition fort, sich vor jedem Spiel mit einem Fanklub im Pub zu treffen. Er weiß, dass die Mentalität die Stärke des Teams ist, das seit Jahren zusammenspielt.

Er hat dann ein paar Kleinigkeiten verändert, um zu versuchen, den Erfolg zu einem nachhaltigen zu machen. Dazu zählt mehr taktische Flexibilität, gegen stärkere Gegner weicht Island vom 4-4-2-System auch mal auf ein 4-5-1 aus, gegen schwächere Gegner versucht es die eher rustikale Mannschaft inzwischen mit mehr Ballbesitz. Zu den Kleinigkeiten zählt auch die Rolle Finnbogasons. "Der Trainerwechsel war für mich persönlich gut. Ich fühle mehr Vertrauen", sagt er. Von zehn WM-Qualifikationsspielen verpasste er nur zwei, sechsmal spielte er von Anfang an. Island wurde vor Kroatien, der Ukraine und der Türkei Gruppenerster.

"Die jungen Leute sehen jetzt: Es ist möglich."

Die Folgen der Europameisterschaft spürten sie auf der Insel abseits des Rasens: Die Menschen kamen einander nach Krisenzeiten wieder näher, 2016 hatte Island Bankencrash und Finanzkrise hinter sich, der Ministerpräsident war zurückgetreten, nachdem er als Miteigentümer einer Briefkastenfirma in den Panama Papers auftauchte. Der Tourismus boomte auch durch die Bekanntheit der Fußballer derart, dass sich Naturschützer aufgrund des hohen Andrangs sorgten.

Auch im Fußball selbst kam der Aufschwung an. "Das Geld, das wir mit der Nationalmannschaft einspielen, geht in die Infrastruktur und Jugendarbeit. Das hat bereits viel bewegt", sagte Assistenztrainer Helgi Kolvidsson dem Sport-Informationsdienst. "Wir haben auch gute Handballer und Basketballer, aber Fußball ist schon die Nummer eins geworden." Finnbogason, der zur ersten Generation isländischer Spieler zählt, die im langen Winter in gepflegten Fußballhallen trainieren konnte, sagt, dass ihm häufiger Kinder im Nationaltrikot begegnen, wenn er zu Hause in Reykjavik ist. "Wir sind ein ehrgeiziges Volk", sagt er. "Die jungen Leute sehen jetzt: Es ist möglich." Mit Island groß raus zu kommen.

Natürlich ist das Team in der Gruppe mit Kroatien und Nigeria Außenseiter, zumal die Schlüsselspieler Sigurdsson und Gunnarsson zwar dabei sind, sich vor der WM aber mit hartnäckigen Verletzungen plagten. Auch Finnbogason fehlte in der Rückrunde mehrere Wochen wegen einer Wadenverletzung, der FC Augsburg rutschte in der Tabelle ab, davor hatte er in 16 Spielen elf Tore geschossen. Nach seiner Rückkehr traf er gleich im ersten Spiel wieder. Sein Verbleib in Augsburg hängt wohl auch davon ab, wie er in Russland auftritt.

2016, als er beim Feiern aus der zweiten Reihe auf die Tribüne blickte, habe er viele Freunde gesehen, erzählte er. Nun, vor der WM, kündigten Islands Politiker an, das Turnier aus Solidarität zu Großbritannien zu boykottieren. Doch die Fans seien wieder voller Vorfreude. "Alle, die ich kenne, wollen hin", sagt Finnbogason. Und er will diesmal spielen.

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