Ironman auf Hawaii:Duell in der Lavawüste

Beim härtesten Triathlon kommt es zum Zweikampf zwischen Sebastian Kienle und Jan Frodeno. Über zwei Athleten im Grenzbereich.

Von Johannes Knuth

Manchmal, sagt der Triathlet Jan Frodeno, ist es schwer, Jan Frodeno zu sein. Ende August nahm der 34-Jährige in Zell am See an der WM über die Halbdistanz teil, das Rennen lief gut, "aber gerade wenn es richtig läuft", sagt Frodeno, "suche ich nach den Kleinigkeiten, die ich noch verbessern könnte". Nach einer besseren Radkette. Oder einem neuen Belag für die Reifen, der ihn noch schneller macht. "Das wünsche ich eigentlich keinem. Das führt dauerhaft nicht gerade zu innerer Zufriedenheit", sagt er. Frodeno hatte das Rennen übrigens gewonnen. Ein paar Wochen zuvor saß Sebastian Kienle in einem Restaurant in Zell am See, er bereitete sich auf die Halbdistanz-WM vor, die er dann als Zweiter hinter Frodeno beendete. Er bestellte Frittatensuppe, Lachsfilet, Apfelsaftschorle, später noch eine heiße Schokolade und ein Espresso. "Ich mache keine brutale Askese", sagt Kienle. Er horcht oft in seinen Körper rein, ändert auch mal den Fahrplan, er findet: "Manchmal ist es nicht die Lösung, mehr zu machen, sondern weniger." Kienle ist oft durch dieses Meer an Schmerzen gegangen, das sich Triathlon nennt, er weiß, was er seinem Körper zumuten darf. Das macht ihn für Frodeno gefährlich, vor allem am Samstag.

Ironman auf Hawaii: Die Radstrecke beim Ironman Hawaii gilt als besonders hart. Auf einer Runde geht es 180 Kilometer lang bei tückischen Seitenwinden durch die Wüste.

Die Radstrecke beim Ironman Hawaii gilt als besonders hart. Auf einer Runde geht es 180 Kilometer lang bei tückischen Seitenwinden durch die Wüste.

(Foto: Eisend Schier/imago)

Während Frodeno tüftelt wie ein Einser-Schüler, genießt Kienle lieber ein Dessert

An diesem Samstag halten sie auf Hawaii wieder ihre große Leistungsmesse auf der Langdistanz ab, 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen, auch bekannt als Ironman. Diese Veranstaltungen sind längst ein globales Geschäft, viele Breitensportler wollen sich nicht mehr im Vereinssport herausfordern, sondern im Extrem herausfordern, im Marathon, im Berglauf, im Triathlon. Hawaii aber wohnt noch immer ein gewisser Zauber inne. Es ist das älteste und härteste Format, das der Ausdauer-Dreikampf hergibt. Weil sie bei 40 Grad schwimmen, radfahren und laufen, weil bis zu 80 Kilometer pro Stunde schnelle Winde gegen das Rad drücken, weil sie sich durch eine Lavawüste schieben. Es ist wie ein acht Stunden währender Saunagang. Wenn alles nach Plan läuft, werden die Deutschen diesmal der Triathlonwelt erneut ihre Dominanz vorführen, Nils Frommhold, Andreas Böcherer, Andreas Raelert, vor allem die Großmeister: Sebastian Kienle, 31, aus Mühlacker, der 2014 gewann. Und Jan Frodeno aus Köln, 34, Olympiasieger auf der Kurzdistanz, der jetzt die inoffizielle WM auf der langen Strecke für sich entscheiden möchte.

Frodeno

Jan Frodeno, 34.

(Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Frodenos Weg ist auch deshalb bemerkenswert, weil er vor ein paar Jahren nichts vom Ironman wissen wollte. Er hatte sich als 19-Jähriger in den Kopf gesetzt, Olympiasieger zu werden, was ihm 2008 in Peking gelang. Bei Olympia starten sie auf der Kurzdistanz (1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen); eingebettet in die Strukturen des Verbands. Das Verhältnis zwischen der olympischen und der langen Distanz war lange kompliziert, da angepasste Mainstream-Sportler, dort Freigeister mit verklärten Geschichten über Leidensfähigkeit, über die Frodeno mal sagte: "Das reizt mich überhaupt nicht." 2011 lud ihn ein Sponsor nach Hawaii ein, plötzlich reizte es Frodeno doch. Bei seinem ersten Ironman in Frankfurt wurde er 2014 Dritter, obwohl ihn Reifenpannen bremsten, in diesem Jahr gewann er. "Jan richtet alles darauf aus, maximalen Erfolg zu haben, da kenne ich sportartübergreifend kaum einen anderen", sagt Kienle. Dieser Perfektionismus, bestätigt Frodeno, packt ihn seit seinem Wechsel auf die Langstrecke noch häufiger. Der Sport ist längst im Technikzeitalter, die Neoprenanzüge schützen nicht nur gegen Kälte, sondern minimieren die Wasserreibung; die Athleten optimieren ihre Position auf dem Rad im Windkanal, der Sturzhelm leitet den Wind durch kleine Kanäle an der Innenseite nach hinten. Frodeno versinkt oft im Tüfteln, wie ein Einser-Schüler, der den Lernstoff bis zur letzten Fußnote aufsaugt. "Ich weiß dann, dass ich zu 100 Prozent vorbereitet bin", sagt er.

Kienle

Sebastian Kienle, 31.

(Foto: Dean Treml/Getty Images)

Kienle fand als Zwölfjähriger in seinen Sport hinein. Er wechselte früh auf die Langstrecke, er mag die Kultur des freischaffenden Sportlers, der sich vom Trainingspartner bis zum Physiotherapeuten alles selbst aussucht. 2014 überführte er sein Talent in seinen ersten Erfolg auf Hawaii, als vierter Deutscher (siehe Kasten). Auch Kienle tüftelt gerne, vor allem am Rad, seiner Spezialdisziplin, er versinkt allerdings nicht so sehr in die Akribie wie Frodeno. "Das, was der Jan zu viel an Konsequenz hat, das habe ich zu viel an, tja, positiver Lockerheit", sagt Kienle. Er trinkt abends auch mal ein Glas Wein und wird beim Dessert schwach. Dafür ist er im Wettkampf ein Meister darin, mit den Gegnern zu spielen, er überholt sie nicht einfach, er versucht an ihnen vorbeizufliegen, wie die Triathleten sagen, sie zu demoralisieren. "Sebastian zündet im Rennen ein Feuerwerk. Er ist 'ne Kampfsau", sagt Frodeno.

5 deutsche Siege

Der Ironman Hawaii ist der älteste Triathlon über die Langdistanz mit 3,86 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen. 1978 wurde er erstmals ausgetragen. Seitdem gab es fünf deutsche Siege bei der Veranstaltung: 1997 gewann Thomas Hellriegel, 2004 und 2006 Normann Stadler, 2005 Faris Al-Sultan und 2014 Sebastian Kienle. Die beste Platzierung einer deutschen Frau erzielte Nina Kraft: Sie wurde im Jahr 2002 Zweite.

Das Gemeine am Triathlon ist der Schmerz, weil er langsam in die Glieder kriecht, sich stundenlang dort ausbreitet. Frodeno versteht es wie kaum ein anderer, dem Körper diesen Schmerz auszureden. Und manchmal, sagt er, "fühlt man sich für einen kurzen Moment übermenschlich, als könnte man die Kurbel vom Rad reißen". Vielen Triathleten wohnt wohl tatsächlich ein wenig vom Abenteuergeist des 20. Jahrhunderts inne, als die ersten Menschen auf den Everest stiegen und mit den Extremen der Natur rangen. "Man lernt sich wohl nirgendwo so gut selbst kennen wie beim Ironman", sagt Frodeno. Kienle und Frodeno haben gelernt, dass sie sich brauchen, dass manchmal ein anderer besser sein muss. "Es hat uns allen sehr geholfen, dass Jan zum Ironman gewechselt ist. Du kannst kein großer Sportler werden, wenn du keinen großen Gegner hast", sagt Kienle. Auch ohne Doping? "Die Gefahr des Betrugs besteht im Triathlon schon", sagt Frodeno, was überführte Blutdoper wie die Österreicherin Lisa Hütthaler bestätigen. Wobei beide eine Kultur des Schummelns abstreiten. "Es ist möglich, in unserem Sport sauber Weltmeister zu werden. Ich habe es ja selbst geschafft", sagt Kienle. Er versteht seine Ausnahmestellung auch als moralischen Auftrag: "Doper verschaffen sich nicht nur einen Vorteil, sondern schädigen auch andere, die sich an diesen Leistungen messen." Profis wie Kienle und Frodeno nehmen großen Einfluss auf ihre Szene. Beide treten gerade erst ins beste Alter für dieses zehrende Gewerbe ein, beide werden ihren Sport wohl noch für eine Weile prägen. Jeder auf seine Weise, und doch gemeinsam.

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