Ironman auf Hawaii:"Du denkst erst, du springst vor Verzweiflung gleich ins Meer"

  • Patrick Lange gewinnt überraschend den Ironman auf Hawaii - obwohl er Anfang 2016 fast raus war aus seinem Sport.
  • Auch während des Rennens dachte er auf dem Rad kurz ans Aussteigen. Dann legte er einen famosen Marathon hin.
  • Favorit Jan Frodeno wird von Schmerzen niedergestreckt und quält sich trotzdem noch ins Ziel.

Von Johannes Knuth

Womit anfangen nach diesem Rennen, das schon beim Zusehen alle Sinne betäubte? Mit Patrick Lange, dem Sieger des Ironman-Triathlons auf Hawaii, der auf einer "Gefühlsachterbahn hoch tausend" zu seinem ersten Titel auf der mythenumwehten Langstrecke gerollt war? Mit Lionel Sanders, dem Zweiten, dessen Lebenslauf Stoff bietet für einen, ach was, für drei Hollywood-Streifen? Oder doch mit Jan Frodeno und der Tänzerin?

Der Titelverteidiger und große Favorit war drei Minuten hinter den Führenden in den Marathon eingetaucht, die dritte und letzte Prüfung. Kein Problem für den hochbegabten Läufer. Aber die 180 Kilometer auf dem Rad waren brutal gewesen, und Frodeno zahlte als einer der Ersten Tribut. Nach fünf Kilometern sackte er in einem Zelt am Straßenrand zu Boden, Zuschauer boten Hilfe an, die Frodeno freundlich-amerikanisch ablehnte ("thanks, I'm good") - während jede Faser in seinem Körper vor Schmerz brüllte. "Mein Rücken", japste er, "ich habe noch nie ..."

Irgendwann hob er sich wieder auf die Beine, trabte, blieb stehen, bog den Rücken. Er passierte das nächste Zelt, mit dem Bewegungsdrang eines Felsens, lateinamerikanische Rhythmen schwappten aus Lautsprecherboxen, eine Tänzerin im Bastrock wackelte mit den Hüften. Frodeno lächelte gequält, für einen Moment schien er zu überlegen, ob er bei den netten Tänzern einkehren sollte. Aber er blieb in seinem Rennen, trotz eines geschädigten Ischiasgelenks, wie er später vermutete. "Hat ein bisschen länger gedauert heute", sagte Frodeno; er hatte sich eine Stunde nach dem Sieger ins Ziel gequält. "Das gehört sich einfach so in unserem Sport."

"Man denkt ja immer, man hat es so halbwegs ausgetüftelt", fügte er mit brüchiger Stimme an. "Und dann kriegt man es doch andersrum bewiesen."

Auf Hawaii passiert vieles, aber wenig nach Plan, und so entfaltete sich am Samstag wieder ein Rennen, über das sie noch ein paar Jahre reden werden. Während bei den Frauen die Schweizerin Daniela Ryf gewann, zum dritten Mal hintereinander, reüssierte bei den Männern diesmal nicht Frodeno. Auch nicht dessen großer Widersacher Sebastian Kienle, den es auf Rang vier wehte, hinter dem Briten David McNamee. Gesiegt hat Patrick Lange aus Bad Wildungen, 31, der die deutsche Erfolgsgeschichte auf Kona fortschrieb, nach Thomas Hellriegel (1997), Normann Stadler (2004, 20006), Langes Trainer Faris Al-Sultan (2005), Kienle (2014) und Frodeno (2015, 16). Ach ja, den Streckenrekord von Craig Alexander hatte Lange auch verbessert, in 8:01:40 Stunden.

"Unglaublich", mehr fiel ihm erst mal nicht ein, "ich kämpfe mit den Tränen", sagte Lange am ZDF-Mikrofon, während er mit den Tränen kämpfte. Nach dem Radfahren wollte er aussteigen, "weil ich richtig scheiß Beine hatte", aber bei seinem famosen Marathon war davon nicht mehr viel zu spüren: "Du denkst erst, du springst vor Verzweiflung gleich ins Meer, und kurz darauf ist es plötzlich nur noch geil." Viele Konkurrenten waren auf dieser Achterbahn gefahren, sie hatten all ihr Guthaben auf den Sieg gesetzt, wie beim Pokern. Aber nur Lange war durchgekommen, das machte seinen Ertrag umso größer.

"Etwas Größeres kann es für mich gar nicht geben"

Das Rennen hatte zunächst dem Skript gehorcht, Frodeno stieg nach 3,8 Kilometern als erster Favorit aus dem Wasser, die Verfolger im Schatten. Ihr Vorsprung auf Kienle, Sanders und den ehemaligen Radprofi Cameron Wurf betrug sechs Minuten, das war überraschend viel, aber das Guthaben zerbröckelte auch überraschend schnell. Die drei Verfolger rauschten nach nur 70 Kilometern an der Spitzengruppe vorbei, vor allem der Kanadier Sanders wühlte das Feld auf: mit ruppigen, kraftvollen Tritten, als hätte man einen Elefant auf ein Rennrad geschnallt.

Sanders löste sich beim Marathon auch bald von Wurf, der soeben Normann Stadlers Radbestzeit auf Kona (4:18 Stunden) zertrümmert hatte (4:12) und jetzt für die Strapazen büßte, wie Frodeno. Sanders lief unterdessen so kurios, wie er Rad gefahren war, er zog ein Bein stets hinter sich her, als würde er jeden Moment zusammenklappen. Aber er war schnell, irgendwie.

Ein Sieg des 29-Jährigen wäre eine irre Wendung in diesem an Wendungen reichen Wettstreit gewesen. Sanders war einst ein Talent, dann verhedderte er sich in der Sucht, trank oft täglich eine Flasche Whiskey, kokste. Mit 22 stand er in der Garage seiner Mutter, einen Gürtel um den Hals, und wollte sich umbringen, erzählt er heute. Doch er fand zurück ins Leben, tauschte die Sucht mit dem Rausch des Ausdauerdreikampfs. Trainierte stundenlang auf dem Laufband, der Radrolle, in einem Schwimmkanal im Keller, den er "Pain Zone", Schmerzzone, nennt. Jetzt stand er in seinem "ersten richtigen Jahr als Triathlet" kurz vor dem Sieg, auf Kona.

Erst im Energy Lab, als er sah, wie Lange auf der Gegenfahrbahn heranrollte, da wusste Sanders: Das wird nichts mit dem Sieg. Lange war 2016 Dritter auf Kona, er hatte damals beim Radfahren eine Zeitstrafe verbüßt, beim Marathon dann einen Streckenrekord erschaffen, 2:39 Stunden. Diesmal wollte er nach dem fiebrigen Radrennen vor Wut ins Meer hüpfen, aber seine Betreuer hielten das für eine mäßig gute Idee, sie wussten ja um seine Stärke zu Fuß. Und die Launen der letzten Prüfung. Lange lief dann tatsächlich fast so schnell wie im Vorjahr (2:40), fünf Kilometer vor dem Ziel schob er sich an Sanders vorbei.

Lange setzte noch mal alles auf den Sport

Am Ende stand dieses Rennen auch ein bisschen für Langes Karriere. Er war Anfang 2016 fast raus aus seinem Sport, verdingte sich nach ein paar guten Jahren mit mäßigem Erfolg auf der Mitteldistanz, arbeitete halbtags als Physiotherapeut, weil die Sponsoren fortgezogen waren. Er setzte noch mal alles auf den Sport, gab den Job auf, überführte seine Begabung in Platz drei auf Hawaii, fand neue Gönner. Und jetzt? "Etwas Größeres kann es für mich gar nicht geben", sagte er, wie einer der viel hinter sich und einiges vor sich hat.

Der Ironman am Samstag war erst Langes vierter Start über die Langdistanz.

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