Ironman auf Hawaii:Die Fallen im Paradies umkurven

Jan Frodeno, Rachel Joyce

Jan Frodeno läuft mit Tunnelblick über Hawaii.

(Foto: AP)
  • Jan Frodeno kann beim Ironman auf Hawaii seine beeindruckende Erfolgsgeschichte fortsetzen.
  • Doch das Feld der Mitbewerber um Sebastian Kienle ist stärker geworden.

Von Johannes Knuth

Schlechte Tage gibt es auch immer wieder, sagt Sebastian Kienle, sie sind genauso wichtig wie die guten. Der 33 Jahre alte Triathlet aus Mühlacker trainiert seit fünf Wochen auf Kona, Hawaii, wo am Samstag der mythenumwehte Ironman stattfindet, und Kienle ist dabei immer wieder durch Einheiten gewatet, "bei denen der Respekt so weit geht, dass man es ein bisschen als Angst bezeichnen kann". Aber wie gesagt, er ist auch dankbar für diese Tage. Weil sie die Sinne für die Fallen schärfen, die auf der scheinbar paradiesischen Strecke lauern: 35 Grad, Lavawüsten, Winde vom Meer, die gegen das Rennrad drücken, mit bis zu 80 Stundenkilometern. Hawaii bietet seinen Sieganwärtern viele Chancen, es nimmt ihnen aber auch viele. "Ein bisschen Demut", sagt Kienle, "schadet hier definitiv nicht."

Drei Siege - das haben bisher nur zwei Athleten geschafft

Die Langdistanz-Triathleten stehen vor ihrem bewegtesten Wochenende des Jahres, 3,8 Kilometer zu Wasser, 180 auf dem Rad, 42 zu Fuß durch Konas Lavawüsten und sonstige Gemeinheiten. Aber die deutschen Starter müssten schon geschlossen in einen schlechten Tag stolpern, um nicht wieder bei den Besten vertreten zu sein. Anja Beranek könnte bei den Frauen erstmals Einlass aufs Podium gewährt werden. Und bei den Männern steht alles im Zeichen von Jan Frodeno, klar, er kann den Ausdauerdreikampf auf Hawaii zum dritten Mal nacheinander gewinnen.

Derartiges haben nur seine berühmtesten Vorfahren geschafft: die Amerikaner Dave Scott (1982-84) und Mark Allen (1989-93). Deutsch ist längst Amtssprache auf der Pazifikinsel, und das liegt nicht nur an den sehr guten Tagen, die Frodeno dort und in seinem Sport verlebte. Sondern auch an seinen meist deutschen Verfolgern, die ein paar gute bis nicht so gute Tage hatten. Kienle findet jedenfalls, dass das am Samstag seine große Stärke sein kann: die Schule der leichten Unzufriedenheit, durch die er in den letzten Jahren ging.

Kienle ist recht früh von der verbandsgeprägten olympischen auf die längere Strecke gewechselt, mit 25, er mochte die Kultur der freien Unternehmer, die sich vom Trainingspartner bis zum Physiotherapeuten alles aussuchen. 2014 überführte er sein Talent in seinen bislang einzigen Erfolg auf Hawaii. Er versank aber selten so sehr in die Akribie wie Frodeno, der im Windkanal ausdauernd an der Position auf dem Rennrad tüfteln kann. "Was der Jan zu viel an Konsequenz hat, das habe ich zu viel an positiver Lockerheit", sagte Kienle vor zwei Jahren. Er tüftelte auch im Windkanal, wurde aber auch mal beim Dessert schwach. Dafür beherrscht er im Wettkampf die Kunst, mit den Gegnern zu spielen; er überholte sie nicht nur, er rauschte an ihnen vorbei. Kampfsau nennen sie ihn, oder Büffel. "Ein Rennen mit zehn Minuten Vorsprung zu gewinnen hat für mich weniger Reiz, als es mit fünf Sekunden Rückstand als Zweiter abzuschließen", sagt Kienle: "Ich glaube nicht, dass Athleten, die in ihrem Sport extrem dominant sind, extrem glücklich sind."

Tüfteln und Training im Hauptberuf

Aber ganz ohne Sieg auf Hawaii? Ist auch nicht so toll. Gegen Frodeno hat Kienle drei Jahre lang nicht mehr gewonnen, wobei er glaubt, dass aus dieser Durststrecke viel Gutes erwuchs. "Ich würde aus freien Stücken nicht unbedingt probieren, alles noch besser zu machen", sagt Kienle. Er hat sich also ein bisschen konsequenter ernährt, stehe "ein kleines bisschen leichter am Start", habe "ein bisschen besser" trainiert und die Wettkämpfe geplant - die Ironman-EM im vergangenen Juli gewann er -, er achtete auch "ein bisschen besser" auf die Erholung, schüttelte seine Achillessehnen-Schmerzen ab: "Viele Sachen, wo ich an allen Schrauben ein bisschen gedreht habe, ohne sie zu überdrehen."

Die Langstrecke bietet viele dieser Schrauben, vom Schwimmanzug übers Rennrad bis zum Laufschuh, viele verorten die Dominanz der Deutschen auch in dieser ständigen Optimierung. "Kann sein, dass uns die Veranlagung, alles perfekt machen zu wollen, zurecht nachgesagt wird", sagt Kienle. Er selbst sei jedenfalls nur dann gut, wenn er nicht ganz zufrieden sei. "Nichts schadet dem Erfolg in der Zukunft mehr als der Erfolg der Vergangenheit", so sieht er das.

"Wir erleben goldene Zeiten im Triathlon"

Ist das nicht ermüdend? Nein, sagt Kienle, "im Moment macht mir der Sport vielleicht so viel Spaß wie noch nie". Weil es etwas "unheimlich Tolles" sei, diesem Tüfteln und Training im Hauptberuf nachzugehen, das schätze er längst genauso wie ein gutes Ergebnis. In seinem und Frodenos Schatten sind viele Deutsche in die Weltspitze geklettert, Patrick Lange etwa, der 2016 den bislang schnellsten Marathon auf Hawaii lief und Dritter wurde. Er habe selten so viel Interesse von Medien und Sponsoren gespürt wie zuletzt, sagt Kienle, mehr noch: "Ich würde sagen, wir erleben goldene Zeiten im Triathlon."

Und Frodeno? Der 36-Jährige hat zuletzt zwar viele Widersacher motiviert, auch international, wie den Kanadier Lionel Sanders. Aber Kienle weiß: "Eine besondere Stärke von Jan war immer, dass er nicht nur verdammt gut unter Druck ist, sondern dass er den Druck selbst aufbaut und nach außen zulässt." Frodeno hat sich in diesem Sommer rarer gemacht als 2016, als er in Roth eine Weltbestmarke lief und sich auf Kona in Schwierigkeiten verstrickte. "Ich hatte in den letzten Jahren immer das Gefühl, dass ich auf Hawaii mental schon sehr müde war von Wettkämpfen im Sommer", sagt er. Er wird seine Wehrhaftigkeit brauchen, rund 15 Männer bewerben sich ums Podium, glaubt Kienle, so viele wie lange nicht. Der 33-Jährige hat sich ein paar Szenarien für den Wettkampf zurechtgelegt, aber er weiß auch: Er wird einen fast perfekten Tag benötigen, und der ist auf Kona die Ausnahme.

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