Irland-Sieg gegen Deutschland:"Wir waren fabelhaft"

Republic of Ireland v Germany - UEFA EURO 2016 Qualifier

"Unbelievable", "fantastic game": Robbie Brady, Wes Hoolahan und Shane Long feiern.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Jonas Beckenkamp, Dublin

Wie schön, dass es in dieser kompliziert gewordenen Welt noch ein paar Konstanten gibt. Die Sache mit der Popmusik und den Inselbewohnern Europas ist zum Beispiel ein Zusammenspiel, das immer gelingt. Iren und Briten mögen sich mitunter spinnefeind sein, aber wenn sie gut gelaunt sind (und das sind zumindest die Iren sehr oft), besingen sie das Geschehen mit dem richtigen Song. Nach einem gewonnenen Fußballspiel der Nationalelf quälen Stadion-DJs in Deutschland die Besucher gerne mit der Nummer "Schwarz und Weiß". Ein "Werk" von Oliver Pocher, das einem ganz schön auf die Nerven gehen kann.

In Dublin entschied sich die Regie wenige Sekunden nach dem Schlusspfiff für Depeche Modes Blaupause der guten Laune: "I just can't get enough". Das passte wie eine Sahnetorte ins Gesicht der übertölpelten Deutschen. Auf den Rängen des Stadions an der Landsdowne Road purzelten rundliche Männer, Hausfrauen und zahnlückige, rothaarige Mädchen wild durcheinander wie auf einer gigantischen Kissenschlacht. Eins! Zu! Null! Gegen die Germans! Da mussten sich selbst hartgesottene irische Fans erst einmal ungläubig an die Wangen fassen. Unten auf dem Spielfeld stand Shane Long, der Held dieser Feiernacht, bei einem ersten Interview. Er brachte nur Worte wie "unbelievable" und "fantastic game" heraus.

"Wir haben mit Herz gespielt"

Ein Sieg gegen Deutschland vor den eigenen Leuten - das hatte es zuletzt am 25. November 1956 gegeben, als Jungs mit Namen wie Haverty oder Fritzsimmons die damaligen Weltmeister Rahn, Morlock und Eckel 3:0 bezwangen. Der aktuelle irische Coach Martin O'Neill berichtete nun voller Geschichtsbewusstsein von einem "historischen Ergebnis". Und er sagte: "Das ganze Team hat das überragend gemacht. Wir haben mit Herz gespielt und mussten gegen den Weltmeister so viel Druck aushalten." Das kleine Irland, wo Rugby, Hurling und Gaelic Football eigentlich viel bedeutsamer sind als "Soccer", darf sich nun Weltmeisterbesieger nennen.

Es ist ein Glücksmoment, der wohl auf einer Stufe steht mit dem Einzug ins WM-Viertelfinale 1990 oder dem 1:0-Vorrundenerfolg gegen Italien durch Ray Houghtons Jahrhunderttreffer bei der WM 1994. Und auch, wenn das eigentliche Großereignis dieser Tage mit dem WM-Duell gegen Frankreichs Rugbyspieler am Sonntag noch ansteht, so belebte Irland seine Liebe zum Fußball wieder.

"Longs Tor sicherte einen epischen Sieg gegen die Weltmeister und ließ Erinnerungen an all das aufleben, was großartig ist an diesem Sport", jubilierte die sonst eher nüchterne Zeitung Irish Independent. "Die Deutschen können es auf den WM-Kater schieben, aber sogar sie dürften Shane Longs Siegtreffer mit neidischer Bewunderung betrachten", berichtete die Irish Times.

Löw beklagt "100 weite Bälle"

Die irische Ausgabe der Sun berichtete in bunten Lettern von einem Abend, "der die Green Army ausrasten ließ" und Deutschland einen "Schock" versetzte. Was in all der Euphorie ein wenig unterging, ist die Tatsache, dass der Erfolg nicht zuletzt ein Produkt des Zufalls war. Die Iren spielten klassischen Inselfußball und veredelten ihren Auftritt mit Tugenden aus dem Underdog-Einmaleins: Hinten Bälle rausprügeln, vorne auf den einen Moment lauern - das klappte vortrefflich.

Bundestrainer Joachim Löw verzweifelte fast an der Tatsache, dass "die Iren mit einer einzigen Möglichkeit" seine Idee vom schönen Spiel zerstörten. Dass er "100 weite Bälle" gesehen haben wollte, von denen halt einer durchrutschte, ließ sein Gegenüber O'Neill aber nicht gelten.

"Ich glaube nicht, dass wir 100 weite Bälle nach vorne gespielt haben", sagte er auf der Pressekonferenz und leistete sich noch einen Moment der Süffisanz: "Löw hat die WM gewonnen, da darf er sich ruhig eine andere Meinung erlauben...aber wir waren fabelhaft." Ob es nun für die fabelhaften Iren sogar ohne den Umweg über die Playoffs zur EM nach Frankreich geht, entscheidet sich am Sonntag beim Endspiel in Polen.

Humor haben sie

Mit 18 Punkten liegen die "Boys in Green" in Gruppe D auf Platz drei - ein weiterer Sieg in Warschau oder ein Remis mit mindestens zwei Toren (nach dem 1:1 im Hinspiel hätten die Iren dann den direkten Vergleich gewonnen) bedeutet die direkte Teilnahme. Alles andere hätte weiteres Zittern in der Relegationsrunde zur Folge. Aber das Schicksal in den eigenen Händen zu haben, ist ja keine schlechte Ausgangslage.

Fürs erste galt nach diesem Abend der Ausgelassenheit jedoch die Weisheit, die ein freundlicher Mann auf der Stadiontoilette allen Anwesenden mitteilte: "Das war der erste große Sieg seit unserem letzten." Auch das ist ja eine Konstante, welche die Menschen aus Großbritannien und Irland auszeichnet: Humor haben sie.

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