IOC-Präsident:Thomas Bach besitzt Diplomatenpass

Olympic Games 2016

Wofür braucht IOC-Präsident Bach seit mehr als 20 Jahren einen Diplomatenpass?

(Foto: dpa)
  • IOC-Präsident Thomas Bach verfügt offenbar schon seit 1994 einen Diplomatenpass.
  • Der ist in der Regel für Politiker und Diplomaten gedacht.
  • Wofür braucht Bach einen Diplomatenpass? Und warum weiß die Öffentlichkeit nichts von dieser Vorzugsbehandlung? Antworten auf diese Fragen lässt das IOC unbeantwortet.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Zuweilen nimmt es Thomas Bach sogar mit Angela Merkel auf. Zum Beispiel, wenn es um die Intensität der Reisetätigkeit geht. Ständig ist der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) auf Achse, viele Länder, alle Kontinente. Da kann es nicht schaden, ein paar Dinge mit sich zu führen, die das Reisen und das Leben erheblich vereinfachen. Und besonders hilfreich ist sicherlich dieser schöne Ausweis mit blauem Einband und der in Großbuchstaben gestalteten Goldschrift: "Bundesrepublik Deutschland. Diplomatenpass".

Gegen enge Vertraute Bachs laufen Verfahren, Rios Polizei würde auch ihn gern befragen

Der ist zwar in der Regel für Politiker und Diplomaten gedacht. Aber es gibt Ausnahmen - und als solche gilt offenbar auch Thomas Bach. Das IOC bestätigte auf Anfrage entsprechende Informationen der Süddeutschen Zeitung. Bach verfügt demnach schon seit den 1990er-Jahren über einen Diplomatenpass, nach Lage der Dinge seit 1994. Weitere Fragen aber will das IOC nicht beantworten. Auch das für die Ausstellung zuständige Auswärtige Amt äußert sich nicht konkret. So bleiben Kernfragen offen: Wofür braucht Bach seit mehr als 20 Jahren einen Diplomatenpass? Warum weiß die Öffentlichkeit nichts von dieser Vorzugsbehandlung? Und vor allem: Hätte er ihn gemäß der Regularien überhaupt erhalten dürfen?

Ein deutscher Diplomatenpass ist begehrt. Er bedeutet nicht automatisch diplomatische Immunität; dafür bräuchte es weitere Erklärungen durch das Auswärtige Amt. Aber auch so gewährt das Dokument beträchtliche Vorzüge. Inhaber von Diplomatenpässen berichten, wie sie an Flughäfen in Pass-, Sicherheits- oder Zollschlangen zumindest in manchen Ländern viel Zeit sparen können - und auch um manche Gepäckkontrolle herumkommen. Oftmals braucht es auch kein Visum, der Diplomatenpass reicht zur Einreise. Und schwer einzuschätzen ist der Effekt, den ein deutscher Diplomatenpass irgendwo in der Welt haben kann.

Bach schien viel an dem Ausweis gelegen zu sein. Es fällt auf, wie flott er ihn nach seiner Aufnahme ins IOC erhielt. Die erfolgte 1991, da war er ein 37-jähriger Wirtschaftsanwalt. Seine Parteizugehörigkeit geriet ihm vermutlich nicht zum Nachteil: Bach ist FDP-Mitglied, das Auswärtige Amt war traditionell - und zumal Mitte der Neunzigerjahre - fest in Händen der Liberalen. Womöglich empfand Bach es auch nur als selbstverständlich. Im exquisiten Olympia-Zirkel gehört ein Diplomatenpass ja zum guten Ton.

Juan Antonio Samaranch, Bachs Vorvorgänger an der IOC-Spitze (und sein sportpolitischer Ziehvater), etwa besaß einen. Von dem umstrittenen Spanier und einem seiner damaligen Geschäftsfreunde ist der schöne Satz überliefert, sie fühlten sich wie "die Herren des Universums". Manches IOC-Mitglied bringt qua Herkunft einen Diplomatenpass mit, weil es in seiner Heimat Teil der Regierung oder sonst wie einflussreich ist. Und auch Walther Tröger, über Jahre das zweite deutsche IOC-Mitglied neben Bach, erhielt in den Neunzigerjahren einen Diplomatenpass - allerdings erst zwei Jahre nach Bach, obwohl er länger im IOC war. Hat man Tröger den Pass nachreichen müssen, weil das sonst merkwürdig gewirkt hätte? Der forsche Quereinsteiger erhält einen, der alte Fahrensmann und damalige Chef des Nationalen Olympischen Komitees nicht?

Die vielen Vorbehalte gegen Bachs Organisation dürften das Thema schüren. Das IOC überstand zur Jahrtausendwende nur mit Mühe eine gewaltige Korruptionsaffäre, heute steht es erneut für Klüngel und Intransparenz - und wird sogar innerhalb des Weltsports kritisiert. Gegen manch langjähriges Mitglied liefen oder laufen Ermittlungen. Etwa gegen den Kuwaiter Ahmad al-Sabah, gegen den Senegalesen Lamine Diack, gegen den Iren Pat Hickey. Alle drei zählen oder zählten zu Olympias mächtigsten Granden und zu Bachs zentralen Förderern auf dem Weg zum Thron im Herbst 2013. Im Verfahren gegen den während der Rio-Spiele inhaftierten Hickey, in dem es um den Verdacht auf Ticket-Schwarzhandel geht, warten Brasiliens Behörden bisher vergeblich auf die gewünschte Zeugenvernehmung von IOC-Chef Bach.

Neben der Moraldebatte stellt sich bei den deutschen Herren im Paralleluniversum Olympia die Frage, ob sie rechtlich einen Diplomatenpass haben dürfen. Insgesamt sind die Ausweise in niedriger fünfstelliger Zahl ausgegeben. Sie gehen an Politiker, Regierungsmitarbeiter, Diplomaten sowie deren Familienangehörige. Aber es gibt ein weiteres Kriterium. Der konkrete Passus wurde in den vergangenen zwei Dekaden leicht modifiziert, im Kern aber blieb er gleich: Einen Diplomatenpass können auch Personen erhalten "für Reisen, die sie im amtlichen Auftrag oder im besonderen deutschen Interesse ausführen".

Reisen im amtlichen Auftrag. Reisen im besonderen deutschen Interesse. Inwiefern traf und trifft das auf Bach zu, wenn dieser über knapp zwei Jahrzehnte als Mitglied und seit 2013 als Präsident eines privaten Vereins um die Welt jettete?

Nach vielen Anfragen meldet sich die IOC-Pressestelle

IOC-Präsident: Blau statt burgunder- farben: Der deutsche Diplomatenpass verspricht manche Annehmlichkeit. Thomas Bach bekam seinen in den 1990er-Jahren.

Blau statt burgunder- farben: Der deutsche Diplomatenpass verspricht manche Annehmlichkeit. Thomas Bach bekam seinen in den 1990er-Jahren.

Das IOC versteht sich als eine ganz besondere Institution. Ein IOC-Mitglied vertritt nicht etwa sein Heimatland im IOC, das Gegenteil ist richtig: Es repräsentiert das IOC in seinem Heimatland. Die Olympia-Charta ist eindeutig: "Die Mitglieder des IOC nehmen von Regierungen (. . . ) keinen Auftrag oder Weisungen entgegen." Ein deutsches IOC-Mitglied ist demnach gerade nicht dafür da, sich für deutsche Interessen einzusetzen; ein IOC-Mitglied hat vielmehr in Deutschland für IOC-Interessen zu kämpfen. Zudem beteuert das IOC stets, es sei "politisch neutral".

Es ist schon kurios: Franz Beckenbauer hatte keinen Diplomatenpass, als er sich während seines umstrittenen Wirkens als Chef des Bewerbungs- und des Organisationskomitees auf der ganzen Welt für die WM 2006 einsetzte. Dabei ließe sich immerhin eine Art "deutsches Interesse" konstatieren. Bei Thomas Bach hingegen bedarf es anstrengender und kreativer Gedankengänge, um ihm mit Verweis auf ein besonderes deutsches Interesse zur Förderung der olympischen Bewegung zum Diplomatenpass zu verhelfen.

Nach vielen Anfragen ohne konkreten Antworten meldet sich am Freitag die IOC-Pressestelle. Sie will darauf hinweisen, "dass sich eine diplomatische Funktion des IOC ganz besonders in seiner Stellung als ,Permanenter Beobachter' bei den Vereinten Nationen zeigt". Diesen Status gibt es. Aber eben erst seit 2009, also lange nach Übergabe des Passes an Bach. Und zudem hat dieser Status nichts mit den Regeln zur Ausstellung deutscher Diplomatenpässe zu tun.

Gerade bei Bach könnte eine ernsthafte Suche nach dem nationalen Interesse gewissen Unmut wecken. Seit er im Besitz eines Diplomatenpasses ist, gab es vier Versuche einer deutschen Olympia-Bewerbung. Alle scheiterten, und zumindest teilweise, so die übliche Analyse der Experten, habe das auch an Bachs persönlichen Karriereplänen gelegen. Er trieb Deutschland und München in eine selbst nach Angaben von IOC-Mitgliedern von vornherein chancenlose Bewerbung um die Winterspiele 2018 gegen Pyeongchang - und forcierte nicht eine weit aussichtsreichere deutsche Kandidatur für die Sommerspiele 2020.

Hintergrund: Dummerweise fand die Kür des 2020er-Ortes gleichzeitig mit der IOC-Präsidentenwahl statt. Und klar war im Weltsportgremium IOC: Ein doppeltes Ja für Deutschland und einen Deutschen ist unwahrscheinlich. Die Frage, ob dem Mann mit dem Diplomatenpass das eigene Interesse wichtiger als das deutsche war, liegt da auch für die enttäuschten Bewerber auf der Hand.

Berater, Aufsichtsrat, Chef einer Handelskammer: Bach war auch privat viel unterwegs

Dazu kommt noch ein Punkt. Bach hatte - parallel zum Wirken im IOC - diverse private geschäftliche Posten inne. Ein kleiner Auszug: Berater der Baufirma Holzmann in den Neunzigern; später gut dotierter Berater und Schweiz-Aufsichtsrat des Konzerns Siemens, bei dessen olympischen Geschäftsaktivitäten er laut Selbstauskunft wegen Befangenheit stets Abstand nahm; von 2006 bis zur Wahl 2013 Präsident einer umstrittenen deutsch-arabischen Handelskammer namens Ghorfa.

Bach dementiert stets jede Verquickung zwischen IOC-Amt und beruflichem Tun, bei heiklen Konstellationen räsoniert er gern über "vielfältige Lebenssachverhalte". Stellt sich jetzt aber nicht die Frage, ob er seinen Diplomatenpass auch bei Reisen nutzte, die nicht oder nicht ausschließlich aufgrund seiner sportpolitischen Tätigkeit erfolgten? Das IOC sagt dazu weder Ja noch Nein, sondern wie zu allen konkreten Nachfragen nur, dass den bisherigen Antworten nichts hinzuzufügen sei.

Diplomatie hat oft etwas Geheimniskrämerisches, die hohe Sportpolitik sowieso. Es würde nicht überraschen, wenn die Geschichte um Thomas Bachs Diplomatenpass auch noch das eine oder andere Geheimnis birgt.

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