IOC:Neue Irritationen um Thomas Bachs Diplomatenpass

IOC: Viel unterwegs, aber wohl kaum im speziellen deutschen Interesse: IOC-Chef Thomas Bach, hier beim Sport- und Kulturforum in Tokio.

Viel unterwegs, aber wohl kaum im speziellen deutschen Interesse: IOC-Chef Thomas Bach, hier beim Sport- und Kulturforum in Tokio.

(Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Warum besitzt der IOC-Chef seit 22 Jahren einen Diplomatenpass? Die neuen Begründungen des Auswärtigen Amtes erklären wenig.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Ende März 1994 erhielt Thomas Bach ein neues sportpolitisches Amt. Nach nur dreijähriger Mitgliedschaft im Internationalen Olympischen Komitee berief IOC-Boss Juan Antonio Samaranch den jungen Wirtschaftsanwalt an die Spitze der Evaluierungskommission für die Winterspiele 2002. In der Ringe-Hierarchie ist das bis heute ein wichtiger Job: Dieses Gremium prüft technische Kriterien und trifft die Vorauswahl darüber, welche Bewerberstadt an der Vergabe teilnehmen darf. Und welche nicht.

Bach eröffnete der neue Posten nicht nur den sportpolitischen Aufstieg. Sondern auch den Zugang zu einem bedeutenden Privileg. Denn just wegen dieses Vorsitzes in der IOC-Evaluierungskommission erhielt er im Juli 1994 erstmals einen Diplomatenpass der Bundesrepublik Deutschland. So stellt es jetzt das zuständige Auswärtige Amt dar - und schürt damit die Erklärungsnot in der Causa für alle Beteiligten. Schon dass Bach überhaupt einen Diplomatenpass hat, ist mit den Regularien der Passvergabe nicht vereinbar (siehe SZ vom 15.10.). Die nun erstmals offiziell mitgeteilten Begründungen erzeugen weitere Irritationen, sogar im Ministerium selbst.

IOC-Funktionäre dürfen keine Länder-Interessen vertreten

Diplomatenpässe sind ein begehrtes und auch ein rares Gut. Sie verleihen nicht automatisch Immunität, bringen aber allerlei Vorzügen mit sich. Sie helfen an Flughäfen, die diversen Schlangen zu verkürzen, in einigen Ländern ersetzen sie ein Visum, und mancherorts können sie auch in Problemsituationen nützlich sein. Gemeinhin stehen sie nur hochrangigen Politikern und echten Diplomaten zu - sowie, in Ausnahmefällen, auch anderen Personen "für Reisen, die sie im amtlichen Auftrag oder im besonderen deutschen Interesse ausführen".

So ein besonderes deutsches Interesse sieht das Auswärtige Amt bei Bach seit 22 Jahren gegeben. Diesem war im Juli 1994 "für die Zeit seines Vorsitzes in der Evaluierungskommission des IOC für die Winterspiele 2002" ein Diplomatenpass erteilt worden, heißt es in einer schriftlichen Antwort des Ministeriums auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu (Grüne). Und nach der Zeit als Kommissionschef habe Bach ob seiner Funktion als Mitglied bzw. Vizepräsident bzw. Präsident des IOC "vor dem Hintergrund des besonderen deutschen Interesses an der Förderung der olympischen Bewegung" bis jetzt Diplomatenpässe erhalten.

Nun stellt sich die Frage, wie stichhaltig diese Erklärung ist. Denn "ein besonderes deutsches Interesse" darf ein IOC-Mitglied schon qua Funktion nicht verfolgen. Das IOC ist ein privater Verein, seine derzeit 98 Mitglieder haben sich eine Charta gegeben, die ihnen unter Paragraf 16 klar aufträgt: Sie haben einzig die Interessen des IOC zu wahren - und das IOC in ihren jeweiligen Heimatländern zu vertreten. Weisungen von Regierungen, heißt es sogar explizit, dürfen sie nicht entgegennehmen. Entsprechend erstaunt sind Staatsrechtler und Politiker über den Pass für Bach. "Es verwundert stark, dass der Präsident des IOC, der laut IOC-Statuten ausschließlich im Interesse des Verbandes handelt, auf einmal auch die deutschen Interessen im Ausland vertritt. Dafür haben wir ja eigentlich den Sportminister und Politiker", sagt der Grünen-Abgeordnete Mutlu.

Merkwürdig klingt auch die konkrete Begründung für die Passvergabe an Bach. Inwiefern liegt der Vorsitz in einer IOC-Kommission in einem deutschen Interesse? Warum braucht Bach für so einen Job einen Diplomatenpass? Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, aus den noch verfügbaren Akten aus der fraglichen Zeit sei nicht ersichtlich, "worin damals das besondere deutsche Interesse gesehen wurde". Bach selbst will dazu, wie zu allen konkreten Fragen der Causa, nichts sagen.

Bei Olympia-Bewerbern braucht niemand einen Diplomatenpass

Damals buhlten neun Städte um die Austragung der Spiele 2002: der spätere Sieger Salt Lake City (USA) sowie Sion (Schweiz), Quebec (Kanada) und Östersund (Schweden). Zudem bemühten sich Poprad-Tatry (Slowakei), Jaca (Spanien), Sotschi (Russland), Graz (Österreich) und Tarvisio (Italien), aber dieses Quintett schloss Bachs Gremium vorzeitig aus. Kaum nachvollziehbar erscheint, warum es für den Besuch dieser neun Kommunen einen Diplomatenpass gebraucht haben soll. Zumal in der Rolle eines IOC-Chefprüfers: Damals wie heute rollen olympische Bewerber-Städte und -Länder dem IOC die roten Teppiche aus. Das galt erst recht in den Neunzigerjahren; damals gelangten sogar Journalisten-Gruppen unter reduzierten Kontrollen in manches Bewerberland, das sich der Welt präsentieren wollte. Alle Erfahrung lehrt: Wenn es eine Reise gibt, bei der jemand seinen Diplomatenpass getrost zu Hause lassen kann, dann ist es ein offizieller Prüfbesuch bei Olympia-Werbern. Bekanntlich sind deren Regierungen sogar bereit, weitreichende Knebelverträge zu signieren, um die Spiele zu ergattern.

Nach der Kür von Salt Lake City und dem Ende der Evaluierungskommission 1995 übernahm Bach gleich das nächste Prüfgremium - den Stab, der die Sommerspiel-Kandidaten 2004 ins Visier nahm. Für diese Zeit aber war der Kommissionsvorsitz nach Darstellung des Amtes nicht mehr das Argument. Stattdessen erfolgte der schwammige Verweis auf ein "besonderes deutsches Interesse an der Förderung der olympischen Bewegung". So wie bis heute. Wie das mit den Kriterien für die Passvergabe vereinbar ist, bleibt offen. Ebenso, was sich genau unter einem "deutschen Interesse an der Förderung der olympischen Bewegung" verstehen ließe.

Bach hatte gute Verbindungen

In den Neunzigerjahren dürften die Wege für Bach zum Auswärtigen Amt jedenfalls kurz gewesen sein. Dieses war fest in der Hand der FDP, Bach ist seit Jahrzehnten FDP-Mitglied und war von 1991 bis 1995 Schatzmeister der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Und mit dem von 1992 bis 1998 amtierenden FDP-Außenminister Klaus Kinkel verband ihn ein gutes Verhältnis, das die beiden auch schon mal auf dem Tennisplatz zusammenführte.

Aber auch später, als an der Spitze des Hauses ein Grüner (Joschka Fischer) oder ein Sozialdemokrat (Frank-Walter Steinmeier) standen, schien die Verlängerung kein Problem zu sein. "Es verwundert auch, dass der Diplomatenpass, der entgegen der Richtlinien ausgestellt wurde, mehrfach verlängert wurde und die Bundesregierung keine konkrete Auskunft dazu geben kann", sagt Grünen-Mann Mutlu.

Das Thema erscheint auch deshalb delikat, weil Bach Zeit seiner IOC-Funktionärskarriere stets vielzählige andere, geschäftliche Mandate ausübte. Der selbständige Wirtschaftsanwalt beriet Großunternehmen wie den Baukonzern Holzmann oder den Elektroriesen Siemens. Beim fränkischen Holzmaschinenkonzern Weinig AG hält er seit 1998 den Aufsichtsratsvorsitz. Überdies saß er der umstrittenen deutsch-arabischen Handelskammer Ghorfa vor. All das mit einem deutschen Diplomatenpass in der Tasche.

Am Ende der von Bach evaluierten Bewerbung stand der größte Skandal der IOC-Geschichte

Als der neue Ausweisinhaber Bach 1994 an jenes Werk ging, das den ersten Meilenstein seiner olympischen Karriere bildete, die Evaluierung der Winterspielorte für 2002, war ihm und seinen Prüfkollegen eine sehr spezielle Atmosphäre rund um diese Bewerbung völlig entgangen. Einige Kandidaten, vorneweg der spätere Sieger Salt Lake City, bestachen IOC-Mitglieder. Die Affäre, enthüllt Ende 1998, brachte das IOC an den Rand des Kollaps, zehn Mitglieder gingen oder mussten gehen, zehn weitere erhielten Verwarnungen. Eine wirklich tief greifende Aufarbeitung erfolgte aber nicht. Auch für diesen sportpolitisch wichtigen Job im hausinternen Detektivstab wählte der schwer unter Druck geratene IOC-Regent Samaranch damals Thomas Bach. Den Mann für alle Fälle.

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