Interview:"Unsere Schlagworte sind Aggressivität, Offensive, Risiko"

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Vor dem Freundschaftsspiel gegen Weltmeister Brasilien spricht Bundestrainer Jürgen Klinsmann im SZ-Interview über den Gestaltungswillen der Fußball Nationalelf auf dem Weg zur WM 2006.

Interview: Christoph Biermann und Ludger Schulze

SZ: Herr Klinsmann, "ehrlich im Kampf, neidlos im Sieg, bescheiden in jeder Niederlage, sauber in der Gesinnung" - das ist ein Sinnspruch, den Ihr Vater Siegfried Ihnen in der Kindheit gewidmet hat. Ist das antiquiert oder bedeuten diese Worte Ihnen noch etwas?

Jürgen Klinsmann (Foto: Foto: ddp)

Klinsmann: Sie bedeuten mir immer noch sehr viel. Ich habe genau diese Worte vor ein paar Wochen ins Rekordbuch meines Buben geschrieben, der in der F-Jugend anfängt, Fußball zu spielen. Als Kind konnte ich die Bedeutung dieser Sätze nicht recht verstehen. Auf dem Hintergrund der großen Aufgabe, auf die ich zuarbeite, sind es besondere Zeilen.

SZ: Das ist 30 Jahre her, und es ist ein weiter Weg gewesen vom kleinen Jürgen bis zum Bundestrainer Klinsmann. Wann kam Ihnen erstmals der Gedanke, diese Aufgabe zu übernehmen?

Klinsmann: Es gab ja dieses Interview mit Ihrer Zeitung (vgl. Link rechts/Anm. d. Red.), in dem ich deutlich machen wollte, dass man zwei Jahre vor dem größten Event, das es auf lange Sicht in Deutschland geben wird, einige Dinge im Fußball überdenken muss. Das hat offenbar dazu geführt, dass mich der DFB ansprach. Vorher aber hat mein ehemaliger Trainer Arie Haan (holländischer Nationaltrainer von China/d. Red.) gesagt: "Warum nehmt ihr nicht den Jürgen und stellt ihm einen erfahrenen Trainer zur Seite?" Richtig los ging es aber erst, als Berti Vogts bei mir in Kalifornien zu Besuch war. Er fragte mich: "Kannst Du Dir nicht vorstellen, Bundestrainer zu werden?" Ich antwortete: "Vorstellen schon. Aber dazu müsste sich vieles ändern." Vogts hat dann beim DFB angerufen, und dann hat sich alles sehr schnell entwickelt.

SZ: Die WM dürfte das größte Sport- und Medienereignis in Deutschland im Zeitraum eines halben Jahrhunderts sein und ist deshalb mit entsprechenden Erwartungen befrachtet. Was prädestiniert Sie für diese diffizile Aufgabe?

Klinsmann: Ohne das nötige Selbstbewusstsein wäre ich die Sache nicht angegangen. Ich fühle mich dieser Aufgabe absolut gewachsen, weil ich denke, bestimmte Dinge mitzubringen. Beispielsweise, die richtige Kommunikation mit den Spielern zu finden, mich in ihre Köpfe zu versetzen. Fußball ist zwar nach wie vor eine Mannschaftssportart, aber sie individualisiert sich zusehends. Das heißt, die Einzelarbeit mit Top-Athleten steht immer mehr im Vordergrund. Man muss mit einem 28-jährigen Michael Ballack anders umgehen als mit einem 19-jährigen Lukas Podolski. Ich bin mir sicher, die Spieler in eine optimale mentale Verfassung für die WM bringen zu können. Hinzu kommt, dass ich glaube, den gesamten Bereich der Physis inhaltlich-qualitativ abzudecken. Mit Leuten an der Seite, die für sich wiederum Spezialisten sind. Einer ist Joachim Löw, der taktische Formationen erstellen kann, ein Spiel lesen, und der auch in Stress-Situationen gelassen bleibt.

SZ: Es ist ja eine besondere Fähigkeit, in der Hektik eines Spiels taktische Details zu erkennen. Können Sie das?

Klinsmann: Das muss ich noch lernen.

Natürlich hilft die Erfahrung als Spieler. Aber es ist ungleich schwieriger, einen Spielverlauf von der Seitenlinie zu erkennen als von der Tribüne aus. Für mich ist es wichtig, dass Joachim Löw da schon zehn Jahre Erfahrung hat.

SZ: Sie sprachen von der Individualisierung: Hat sich der Fußball in den letzten zehn Jahren verändert?

Klinsmann: Auf dem Trainingsplatz ist das Rad nicht neu erfunden worden. Aber wir haben heute einen Spielertypus vor uns, der sich enorm schnell verändert. Zu meiner aktiven Zeit konnte man vielleicht alle 20 Jahre von einer neuen Generation sprechen, heute ist zwischen Ballack und dem 20-jährigen Philipp Lahm ein Generationensprung. Die Spieler wachsen heute auf in einem Umfeld, das sich immer schneller wandelt, und in einer Medienlandschaft mit Internet und Video-Games. Sie sind einem Überschuss an Information ausgesetzt. Sie stehen extrem in der Öffentlichkeit, das war bei uns vor 20 Jahren lächerlich dagegen. Es wird ein wesentlicher Punkt sein, diese Spieler zu erreichen.

SZ: Das betrifft weniger den Spieler als Sportler, sondern das Leben um ihn herum?

Klinsmann: Ja, aber auch für den Sportler gibt es Möglichkeiten, andere Wege zu gehen. Nehmen wir das Beispiel der amerikanischen Fitness-Experten, die hier in Berlin bei uns waren und schon kritisiert wurden, bevor sie ihre Arbeit begonnen hatten. Sie haben sich in den letzten fünf, zehn Jahren auf die individuelle Betreuung eines Athleten spezialisiert, egal, aus welcher Sportart er kommt. Dieser Spielraum ist doch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wenn ich gezielt an der Sprungkraft eines Mittelstürmers arbeite, macht der vielleicht zwei, drei Kopfballtore mehr im Jahr - und das könnte ein Tor bei der WM sein. Ein Beispiel: Wenn ich persönlich nicht mit 20 Jahren ein spezielles Schnelligkeitstraining mit einem Sprinttrainer gemacht hätte, wäre ich ewig die 100 Meter in 12,0 gelaufen statt in 11,0. Im Fußball sind wir in unserer Denkweise stehen geblieben. Aber wir müssen uns öffnen, Informationen aus anderen Bereichen beziehen. Ob die umsetzbar sind, wird sich dann erst erweisen. Ob die Leute, die uns ihr Wissen vermitteln, aus Deutschland stammen, aus Amerika oder Südafrika, spielt dabei keine Rolle.

SZ: Sie sprachen auch davon, einen Sportpsychologen zu engagieren, eine Spezies Mensch, die in Deutschland traditionell kritisch betrachtet wird.

Klinsmann: Ich habe David Beckham bei der EM beobachtet, als er den Elfmeter gegen Portugal verschoss. Kein Mitspieler ist vorher zu ihm gegangen, hat ihn ermuntert: ¸¸David, mach dir keine Gedanken, du schaffst das." Sie haben ihn komplett alleine gelassen. Solche Situationen kann ein Psychologe verhindern. In dieser Beziehung müssen wir uns mit Trainern aus anderen Sportarten austauschen. Wie integriert ihr einen Sportpsychologen - in der Mannschaftskomponente oder im Einzelbereich? Bei den Holländern hat Marco van Basten sofort einen Psychologen mitgebracht, dort war das gar kein Thema.

SZ: Viele Ihrer Ideen scheinen aus dem amerikanischen Business zu stammen.

Klinsmann: Die Leute in Deutschland haben vielleicht nicht mitbekommen, dass ich in den vergangenen sechs Jahren eine Entwicklung durchlaufen habe. Ich bin nicht mehr der ehemalige Fußballer Jürgen Klinsmann, sondern jemand, der sich auf vielen Feldern umgetan hat. Ich hatte an einer Universität Unterricht im Computer-Bereich. Vor drei Jahren habe ich mich einer Sportmarketing-Firma von zwei Freunden angeschlossen, die weltweit als Top-Leute gelten. Die zwei haben mir im geschäftlichen und organisatorischen Bereich völlig neue Sichtweisen eröffnet. Neben dem Beruflich-familiären habe ich ein Kinderhilfswerk aufgebaut mit knapp 50 Mitarbeitern und ein Internet-Projekt gestartet, das mittlerweile über 300 000 Jugendliche in Deutschland erreicht. Ich weiß nicht, mit welcher Erwartung Präsident Mayer-Vorfelder und Generalsekretär Horst R. Schmidt damals nach New York geflogen sind: Treffen wir da den ehemaligen Kapitän der Nationalmannschaft oder einen Mann, der sich in Amerika ein völlig neues Leben aufgebaut hat?

SZ: Dies einzubringen, hatte für Sie in den Gesprächen mit dem DFB offenbar große Bedeutung.

Klinsmann: Die beiden Herren haben gemerkt, der Klinsmann ist sehr, sehr gut vorbereitet auf dieses Gespräch. Ich habe ihnen ein Konzept überreicht, wie ich mir so eine Arbeit grob vorstellen könnte. Die Frage des Geldes war Nebensache, die war in einer Stunde erledigt. Mir ging es um Inhalte, den Kompetenzbereich, die Zusicherung, Leute nach meiner Vorstellung ins Boot holen zu können. Leute aus den verschiedensten Sparten. Hätte man sich dem verschlossen, hätte ich es nicht gemacht. Mein erster Gedanke nach den Erfahrungen in Amerika aber war, Manager zu werden. Aber dann wurde mir klar, dass ich in dieser Position nicht das letzte Wort haben würde. Deshalb bin ich nun Bunestrainer.

SZ: Dass Sie gleich in Ihrer ersten Pressekonferenz den Gewinn der WM 2006 als Ziel genannt haben, entspricht das dem Managementkonzept, am Anfang einer Arbeit Visionen zu formulieren?

Klinsmann: Ja, es kommt aus der Lernphase im Business. Zunächst formuliert man seine Mission und legt dann die Wege dahin fest. Welche Leitwörter man dabei seinem Team vermittelt, ist eine weitere Frage. Und es gab nur eine logische Zielsetzung. Wenn man sich vorstellt, was die Leute eine Woche vor Turnierbeginn erhoffen, träumt man natürlich davon, Weltmeister zu werden.

SZ: Sie haben sich vergangenen Donnerstag in Berlin mit Gerhard Schröder getroffen. Worum ging es bei diesem Gedankenaustausch zwischen Bundeskanzler und Bundestrainer?

Klinsmann: Ich kenne ihn schon einige Zeit, und es war mal wieder eine Gelegenheit, Kaffee zu trinken und zu reden. Wir haben rein fußballerische Dinge diskutiert. Er ist ein Fan, er liebt diesen Sport. Und dann ging es um die Eröffnungsfeier und das Kulturprogramm für 2006.

SZ: Sie haben 2002 eine Wahlempfehlung ausgesprochen, für eine zweite Halbzeit mit Schröder. Sind Sie der erste sozialdemokratische Bundestrainer?

Klinsmann: Ich bin politisch unabhängig, es ging mir allein um die Person. Mir imponiert seine Gradlinigkeit, Dynamik und Durchsetzungskraft. Es war eine Gefühlsentscheidung, ihm die zweite Halbzeit zu wünschen, zumal ich mit dem Abstand Amerika in den politischen Themen hier sowieso nicht so vertraut bin. Vielleicht bekommt er ja noch eine Verlängerung.

SZ: Wie Schröder haben Sie in der Vergangenheit Probleme mit der Bild-Zeitung gehabt, sogar einen Prozess gegen das Blatt gewonnen. Wie sehr wird diese Vorgeschichte Ihre Arbeit behindern?

Klinsmann: Das Verhältnis zu Bild fängt ganz unbelastet an. Ich hatte 1999 bei meinem Abschiedsspiel eine Aussprache mit ihnen, wo ich zugegeben habe, dass mir als Athlet mitunter auch die Gelassenheit gefehlt hat. Da gibt es keine alten Geschichten mehr, aber es gibt noch alte Grundsätze: Wer etwa meine Familie behelligt, wird sofort den alten Klinsmann erleben.

SZ: Ihr Vorgänger Rudi Völler hatte immer ein gutes Verhältnis zu den Medien, er hat aber tatsächlich kaum etwas mitgeteilt. Werden Sie ähnlich verschlossen bleiben?

Klinsmann: Joachim Löw, Oliver Bierhoff und ich wollen die Sache sehr offen angehen und alle mit ins Boot holen, die Medien eingeschlossen. Jeder soll wissen, dass wir nach vorne gehen wollen. Dazu gehört auch die Aufforderung an die Spieler, dass wir aggressiv und Pressing spielen wollen. Wir wollen das Spiel unabhängig vom Gegner entwickeln.

SZ: Sie wollen auf dem Fußballplatz ein agierendes Deutschland vermitteln?

Klinsmann: Ja, weil wir Charaktere sind, die agieren. Wir werden unserer Mannschaft immer wesentlich mehr Beachtung geben als dem Gegner, auch wenn er übermorgen Brasilien heißt. Die ganze Konzentration gilt uns selbst.

SZ: Es gibt einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Fußball. In Deutschland herrscht augenblicklich ein Gefühl, nur noch zweitklassig zu sein; auf dem Rasen hat die Nationalelf zuletzt ängstlich beobachtet, was die anderen machen: Völler hat diesen gesellschaftlichen Konsens bedient. Ist Ihr Ansatz anders?

Klinsmann: Wir machen uns viele Gedanken darüber, wofür die Nationalmannschaft stehen soll. Wo liegen unsere Stärken und Schwächen? Was bestärkt uns aus der Historie des deutschen Fußballs? Wie schaut das Ausland auf uns? Unsere Schlagworte sind Aggressivität, Agieren, Offensive und Risikobereitschaft. Das geben wir nach außen, aber auch nach innen in jeder Trainingseinheit weiter, bis es in 22 Monaten hoffentlich richtig da ist. Es soll sich in unseren Köpfen festsetzen und nach und nach bei den Gegnern rumsprechen.

SZ: Lebt hinter diesen Schlagwörtern der Stürmer seine Sehnsucht aus, der früher von defensiv ausgerichteten Trainern gebremst wurde?

Klinsmann: Als Trainer in Italien würde ich ganz andere Vorgaben machen. Ich glaube, dass wir nur dann eine Chance haben, wenn wir das Tempo der anderen Nationen mitgehen, sonst werden wir in Grund und Boden gespielt. Das Tempo der anderen war bei der EM eine Stufe höher als unseres - und langsamer wird es in Zukunft nicht werden.

SZ: Gibt es denn genügend Spieler, die die individuelle Klasse mitbringen, um das verschärfte Tempo mitzugehen?

Klinsmann: Jede erfolgreiche Nationalmannschaft unserer Vergangenheit hatte Leader. Wir haben zwei Weltklassetorhüter, von denen ich nur einen aufstellen kann. Wir werden einen Abwehrchef haben, haben Michael Ballack als Mittelfeldchef und werden vorne einen haben. Es kann sein, dass sie erst mit dem Turnier 2006 ihren richtigen Durchbruch haben, wie Lothar Matthäus 1990 und Matthias Sammer 1996.

SZ: Sie haben in den Chefs beim FC Bayern große Befürworter, obwohl Sie damals nicht im Frieden geschieden sind. Die Bayern sind die Macht im deutschen Fußball, das muss Sie beruhigen.

Klinsmann: Es gab Unstimmigkeiten bei meinem Weggang, ich konnte mit den internen Querelen beim damaligen FC Hollywood nicht mehr umgehen. Dieser Stachel saß bei Uli Hoeneß tief, aber auch bei mir, denn eigentlich hatte ich in München meine Karriere beenden wollen. Aber seither hat sich eine Freundschaft zwischen Uli und mir ergeben. Die Bayern spielen eine ganz wichtige Rolle, weil sie bei der WM 2006 die meisten Spieler abstellen werden, und es ist gut, sie im Rücken zu haben.

SZ: War es nötig, Torwart Oliver Kahn seiner unangetasteten Position zu berauben, Michael Ballack zum Kapitän zu machen und ihm eine Einsatz-Garantieerklärung zu geben?

Klinsmann: Ein Feldspieler hat mehr Einfluss auf seine Mitspieler als ein Torwart. Für mich ist wichtig, dass Michael weiß: Er muss als Kapitän viel mehr in die Verantwortung. Er muss lernen, junge Spieler zu führen, Probleme zu erkennen und sie teilweise sogar zu lösen, ohne den Trainer zu fragen. Das wird seiner Entwicklung einen weiteren Schub geben. Oliver kann damit umgehen, weil er ohnehin gewoht ist, immer mit großem Druck zu leben. Ich habe auch mit ihm darüber diskutiert, dass das in den Medien als Entmachtung interpretiert würde. Aber er kann als Torhüter eben nicht den Befehl geben: ¸¸Kevin, geh mal auf den Rechtsverteidiger, jetzt schnappen wir sie uns." Ich brauche einfach mehr Leben auf dem Platz, wohl wissend, dass die neue Rollenverteilung eine psychologische Konsequenz hat.

SZ: Werden Sie auf Sebastian Deisler ähnlich setzen wie auf Ballack?

Klinsmann: Wenn er Schritt für Schritt an sein Leistungsniveau herankommt, kann man ihn nur spielen lassen. Auf den jungen Kerl mit 23 Jahren ist schon viel eingeprasselt, und ich finde es bewundernswert, wie er mit seiner Krankheit umgegangen ist. Das gilt auch für den offensiven und ehrlichen Umgang des FC Bayern damit.

SZ: Aktuell ist die Abwehr nach den Verletzungen von Nowotny, Wörns und Friedrich geschwächt. Ist sie auch perspektivisch das Sorgenkind?

Klinsmann: Es ist schade, dass sie gerade bei einem Länderspiel gegen Brasilien nicht dabei sein können. Aber das ist auch eine große Chance für andere. Mit dem Debüt von Frank Fahrenhorst in Wien waren wir sehr zufrieden. Auch Robert Huth hat im Training sehr entschlossen gearbeitet.

SZ: Nach der EM in Portugal ist viel Kritik an Wörns und Nowotny festgemacht worden, weil ihr Spiel nicht mehr zeitgemäß sei. Gibt es da Defizite?

Klinsmann: Glaube ich nicht. Jens Nowotny kann auch mit dem Ball am Fuß ins Mittelfeld gehen. Christian Wörns hat immer wieder Kopfballchancen vor dem gegnerischen Tor. Wenn das im Mittelfeld abgesichert ist, ergibt sich auch in der Abwehr eine andere Dynamik.

SZ: Als Spieler haben Sie Erfahrungen mit gutem und mit fehlendem Teamgeist gemacht, wie hinderlich ist Egoismus?

Klinsmann: Ein Spieler kann nur dann das Maximum seiner Leistung abrufen, wenn er sich voll mit der Truppe identifiziert. Unsere Aufgabe wird es sein, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder Spieler hundertprozentig wiederfindet. Im Gegenzug fordern wir das totale Verlangen nach Erfolg für die Mannschaft. Ich habe nichts dagegen, dass wir Stars haben. Ballack ist einer, Kahn und Lehmann sind es, und ich hoffe, dass noch einige dazu kommen. Ich bin total für Ausnahmespieler, erwarte aber, dass sie junge Spieler führen und zur Seite nehmen, wenn sie Probleme haben.

SZ: Wie wird Ihr Leben in den nächsten Monaten aussehen?

Klinsmann: Ich werde zweimal im Monat zwischen Los Angeles und Deutschland pendeln. Wenn ich hier bin, werde ich nonstop an unserer Sache arbeiten. Meine Wohnung in Stuttgart ist meine Anlaufstation. Ich will mir aber auch den Blick von außen bewahren. Das ist der Vorteil eines Nationaltrainers, der nicht immer am Ort sein muss. Arie Haan fliegt von Stuttgart immer nach China, während Carlos Alberto Parreira zwar in Brasilien lebt, aber fast alle seiner Spieler in Europa unter Vertrag stehen.

SZ: Erich Ribbeck und Berti Vogts haben nach ihrer Zeit als Bundestrainer viel Häme einstecken müssen. Ist es für Sie ein Vorteil, dass sie sich, was immer passiert, in die amerikanische Anonymität zurückziehen können.

Klinsmann: Ich verschwende daran keinen Gedanken. Aber wenn es einen unhaltbaren Freistoß gibt und der liebe Gott nicht auf unserer Seite ist, werde ich auch mit der Kritik leben.

SZ: Aber Sie müssten sich damit nicht so auseinander setzen, wie es der Fall wäre, wenn Sie in Deutschland lebten.

Klinsmann: Für mich ist es wichtig, dass es einen Ausgleich bei meiner Familie in Kalifornien gibt. Das gibt mir vielleicht noch mehr Energie, als sie jemand hat, der nur in Deutschland lebt. Die deutsche Mentalität ist mir im Moment viel zu pessimistisch. Wir glauben nicht so recht an uns selbst.

© SZ vom 6.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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