Interview mit Theo Zwanziger:"Die Intelligenten sind nicht immer die Einfachsten"

Ab Freitag ist er alleiniger Verbandschef: Der DFB-Präsident über die soziale Aufgabe des Fußballs, seinen Willen, auf andere zuzugehen und seine Hoffnung, dennoch nicht der nette Theo zu sein.

Ludger Schulze und Philipp Selldorf

SZ: Herr Zwanziger, am Freitag werden Sie zum alleinigen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes gewählt. Was wird sich für mehr als sechs Millionen Mitglieder und die Vereine ändern?

Mayer-Vorfelder

Nach Jahren macht Gerhard Mayer-Vorfelder an der DFB-Spitze Platz

(Foto: Foto: ddp)

Zwanziger: Der gesellschaftliche Ansatz wird bei mir ein starker werden. Früher war ja der DFB stark nationalmannschafts- und bundesliga-orientiert. Mit der Strukturreform im Jahr 2000 haben dann viele gesagt, der DFB werde überflüssig werden. Aber das kann natürlich nicht sein, weil auf seiner Seite die Nationalmannschaft und die sechs Millionen Mitglieder sind. Meines Erachtens ist es jetzt notwendig, das Ganze durch die gesellschaftliche Dimension zu ergänzen, das heißt: uns voll zu positionieren in dieser Demokratie. Wir können uns als Fußballer nicht unpolitisch geben. Wir müssen mithelfen, damit Deutschland auch in 20, 30 Jahren ein liebenswertes Land ist. Das kann der Fußball.

SZ: Das klingt, als wolle der DFB als Interessenverband in den Rang der Kirchen oder des Gewerkschaftsbundes treten. Heißt das, dass sich der DFB als politische Stimme stärker äußern will?

Zwanziger: Dass wir uns, wenn es um die sportlich-integrativen Ansätze geht, politisch - nicht parteipolitisch - einbringen werden, ist völlig klar. Ich will da nur an die Predigt von Bischof Huber anlässlich der WM-Eröffnung in München erinnern, als er gesagt hat: "Fußball ist ein starkes Stück Leben." Wenn wir das sind, dann wollen wir das auch darstellen und unsere Verantwortung tragen. Wir dürfen nicht nur als ein Verband abgestempelt werden, der die Nationalmannschaft macht.

SZ: Der scheidende Mit-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder kam aus dem Profifußball, Sie aus dem Amateurlager. Haben Sie das Gefühl, dass der DFB - und Sie persönlich - auch künftig vom Profifußball ernst genommen werden?

Zwanziger: Zwischen dem Spitzenfußball und dem ehrenamtlichen Bereich gibt es ja viele Emotionen. Die Profis haben darunter gelitten, dass sie sich bei der Gründung der DFL die Zustimmung des DFB-Vorstandes holen mussten, der überwiegend aus Amateurvertretern bestand. Bei den Amateuren war es umgekehrt, da wird schnell der Vorwurf aufgebaut: Bei denen geht es ja immer nur ums Geld, und wir leisten die Arbeit. Wir sind auf zwei Ufern eines Flusses, und die wichtigste Aufgabe eines DFB-Präsidenten ist es, eine stabile Brücke darüber zu erhalten. Der Profifußball weiß, woran er mit mir ist. Ich kann mit allen sehr gut kommunizieren.

SZ: Ihr Kollege Mayer-Vorfelder wird kraft Altersregelung ausscheiden. Wie sieht seine Zukunft beim DFB aus?

Zwanziger: Für jeden kommt einmal die Zeit des Abschieds, nun auch für ihn. Er glaubte immer, dass er besonders stark ist, wenn er alle Pfeile auf sich zieht. Sein Denken war, bedingt durch sein politisches Leben, aufgeteilt in Regierung und Opposition. Ich sehe das anders. Man muss in einer solchen Position nicht spalten. Man muss auch mal sagen können: Ich habe einen Fehler gemacht. Bei mir ist der Weg, auf andere zuzugehen, stärker angelegt als bei ihm. Aber er ist ein glühender Fußballfan, ein Mann, der den Fußball in allen Facetten sieht, auch wenn er dem professionellen Fußball näher steht.

SZ: Das zentrale Thema der Nach-WM-Zeit ist Doping gewesen, und auch die Frage, ob Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz braucht. Wie ist die Haltung des DFB?

Zwanziger: Wir sind, um es vorsichtig zu sagen, nicht ganz so stark betroffen wie andere Verbände. Ich schließe aber nicht aus, dass sich dies auch ändern kann. Durch unsere Kontrollen und die starken Sanktionen besteht eine hohe Abschreckung. Wenn in einer Mannschaft ein schwarzes Schaf auftaucht und das ganze Team bestraft wird, verpflichtet das die Vereinsverantwortlichen zu erhöhter Sorgfalt. Trotzdem müssen wir uns mit der Problematik auseinander setzen. Als jemand, der als Richter in der staatlichen Verantwortung stand, würde ich zunächst sagen, man muss dem Sport die Chance geben, das Problem mit seinen eigenen Mitteln zu lösen...

SZ: ...die hat er jahrzehntelang gehabt und grotesk versagt.

Zwanziger: Wenn Sie die Behandlung unseres Wettskandals sehen, ist das die Art, wie man vorgehen sollte. Ich darf mein eigenes Sportrecht nicht überhöhen, ich muss bereit sein, mich auf die staatlichen Hilfen einzustellen und kann dafür auch dankbar sein. Wo der Staat besser ist, muss ich ihn nutzen. Deshalb haben wir die Sache sofort kriminalisiert, was uns die Chance eröffnet hat, am Ende sogar schneller zu sein als der Staat, ohne dessen Hilfe wir aber nie so schnell vorangekommen wären. Der Fall Hoyzer ist für den DFB erledigt - aber rechtskräftig ist er noch längst nicht entschieden. Wir brauchen die Gesetze, ob die sich jetzt Anti-Doping-Gesetz oder Arzneimittelgesetz nennen, ist mir völlig egal. Allein indem man den Begriff ändert, hat man ja nichts verändert - in dem Punkt bin ich bei Thomas Bach (DOSB-Präsident, der gegen ein Anti-Dopinggesetz ist, die Red.). Man braucht zwei Dinge: Klare gesetzliche Grundlagen. Und das Vorgehen des Sports in seiner eigenen Verantwortung. Er muss die Chance haben, das selbst zu regeln.

SZ: Können wir uns darauf verständigen, dass der Sport in der Vergangenheit darin krass versagt hat?

Zwanziger: Wenn man die gesamte Sportlandschaft betrachtet, kann man zu dem Schluss kommen.

SZ: Sprechen wir über die Nationalmannschaft: Während der WM haben Sie betont, wie wichtig es für Sie persönlich sei, Jürgen Klinsmann als Bundestrainer zu halten. Das ist nicht gelungen, haben Sie da eine Niederlage erlitten?

Zwanziger: Sein Ziel nicht zu erreichen ist eine Niederlage. Aber ich konnte ihn ja nicht mit dem Lasso festbinden.

SZ: Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Zwanziger: Brieflich. Ende Juli habe ich zum Geburtstag gratuliert, indem ich mich auch noch mal bedankt habe. Im letzten Satz stand, dass für ihn beim DFB immer eine Tür offen ist.

SZ: Wie stark hat Sie als Präsident das Wagnis mit dem Trainer Klinsmann belastet, besonders in den heiklen Phasen?

Zwanziger: Schlecht geschlafen habe ich nie - obwohl auch mal die Stunde kam, in der auch ich gezweifelt habe. Beim 1:4 gegen Italien saß ich auf der Tribüne und habe mich gefragt: Wie kann das gut gehen? Bei seiner Verpflichtung im Sommer 2004 war ich sofort für ihn, als sein Name ins Gespräch kam, und in der Zeit danach bin ich mit seiner Arbeit sehr glücklich gewesen. Seine Eingriffe haben uns die Chance gegeben, Dinge zu verändern und zu modernisieren. Ich musste lediglich die Wirkung der scharfen Schwerter, die da geschwungen wurden, etwas mildern.

SZ: Dieses Vergnügen bleibt Ihnen ja erhalten, wenn Sie etwa das Verhältnis der Führungskräfte Oliver Bierhoff und Matthias Sammer moderieren.

Zwanziger: Sie haben zusammen erfolgreich Fußball gespielt, sind sicher gute Freunde und dürfen sich die Meinung sagen. Mir ist ein kleines Spannungspotenzial lieber als wenn Friedhofsruhe herrscht und die Süddeutsche schreibt: Ist der DFB ganz eingeschlafen?

SZ: Sie finden es gut, wenn's rummst?

Zwanziger: Hab' ich kein Problem damit. Ist doch schön, wenn Leben drin ist.

SZ: Hinter allen erfolgreichen WM-Teams standen berühmte Trainernamen. Der DFB versucht es nun mit zwei international weithin unbekannten Männern, Joachim Löw und Hans-Dieter Flick. Was macht Sie sicher, dass dies gut geht?

Zwanziger: Zunächst einmal Löws Leistung im WM-Turnier. Ich war ja bislang nicht so nah dran an der Nationalelf, weil das die Aufgabe von Herrn Mayer-Vorfelder war. Aber natürlich hatte ich meine Drähte dorthin. Deshalb ist mir klar, dass Klinsmann ohne Löw diesen großartigen Erfolg kaum hätte erreichen können. Den letzten Anstoß, auf Löw zuzugehen, hat mir Jens Lehmann gegeben. Nach dem Spiel um Platz drei kam er auf mich zu und sagte: "Dass das hier so gut gelaufen ist, liegt zu einem großen Teil an Joachim Löw."

"Die Intelligenten sind nicht immer die Einfachsten"

SZ: Aber auch Klinsmann hat auf die Entscheidung stark eingewirkt, oder?

Theo Zwanziger

Hat beim DFB künftig alleine das Sagen: Theo Zwanziger

(Foto: Foto: ddp)

Zwanziger: Ja. Vor dem Spiel um Platz drei habe ich mit ihm zusammengesessen und ihm gesagt, dass ich keine Hängepartie will. Ich hatte aber gleich das Gefühl, dass er nicht zum Weitermachen tendiert. Es ging dann auch sehr schnell: Dienstags kam sein Anruf mit der Absage. Ich hatte das Gefühl, er glaubte, damit ist der Fall für ihn erledigt.

SZ: War er aber nicht.

Zwanziger: "Ich gehe jetzt in Urlaub", hat er gesagt. Ich habe geantwortet: "Das glauben Sie doch wohl nicht im Ernst. Wir müssen uns erst mal darüber unterhalten, wer das nun machen soll. Machen Sie doch mal einen Vorschlag." - Er habe doch schon immer gesagt, Löw sei der geeignete Mann, sagte er. "Und wie kriegen wir das jetzt schnell hin?" habe ich gefragt. Da hat er geschluckt, weil er nicht erwartet hatte, dass ich mich da so drauf stürze. "Wir treffen uns noch heute", hab' ich gesagt. "In einer Stunde fahr' ich von hier los, wir treffen uns in Stuttgart. Wir holen Oliver Bierhoff und Joachim Löw dazu." Unser Gespräch hat dann nicht mehr so lange gebraucht.

SZ: Der erste Ärger ließ dann nicht lange auf sich warten: Der treueste Partner des DFB wurde verprellt, indem Sie den Forderungen der Nationalspieler nachgekommen sind, in den Schuhen ihrer Wahl zu spielen. Sind Sie der nette Theo, mit dem man alles machen kann?

Zwanziger: Ich hoffe nicht. Aber die erste Aussage stimmt: Unser Partner wurde verprellt. Das ist mehr als bedauerlich und kaum entschuldbar. Aber das ist auch unser Versäumnis gewesen. Ich bin froh, dass es jetzt eine klare Konzeption gibt - unter Beteiligung der Spieler.

SZ: Die forsche Art, mit der Jens Lehmann das Thema vorangetrieben hat, hat Ihnen aber missfallen, oder?

Zwanziger: Er ist aber auch ein sehr guter Torwart. Ich kenne ihn ja schon länger: Er hat auch sehr viele sehr positive Seiten. Ein intelligenter Mann - und die Intelligenten sind nicht immer die Einfachsten. Er hat halt seine Verträge und will das Beste herausholen - aber er ist auch jemand, der soziales Bewusstsein entwickeln kann. Ehrlich und korrekt.

SZ: Der sozialen Rolle des DFB haben Sie sich ja verschrieben. Neulich haben Sie erklärt: "Die Weltmeisterschaft war der größte Beitrag für die Integration in Deutschland." Was folgt daraus?

Zwanziger: Die WM hat gezeigt, was der Fußball auf diesem Feld leisten kann. Menschen aus allen Kulturen haben zusammen ein Fest gefeiert. Die Türken haben in ihren Gaststätten die deutschen Fahnen aufgehängt, es gab keine Barrieren mehr. Die Begegnungen im Fußball heben Grenzen auf, das erlebt man ja jedes Wochenende auf den Fußballplätzen - aber diese Begegnungen zu gestalten, darin haben wir beim DFB noch große Schwächen. Im Fußball kommt es ja auch zu Konflikten.

SZ: Sie meinen die Schlachten, die in den Amateurligen geschlagen werden.

Zwanziger: Klar. Diese Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten zu lösen, das ist die große Aufgabe. Dafür brauchen wir einen Integrationsbeauftragten. Jemanden mit Migrationshintergrund, der glaubwürdig ist. Wir werden Personal einstellen und Botschafter aus dem Nationalteam berufen, Gerald Asamoah zum Beispiel. Wir planen ja auch eine große Offensive in den Grundschulen, und ich hoffe, dass sich unsere Nationalspieler dort zeigen werden - und nicht mehr an Schuhkrieg denken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: