Interview mit Sportpsychologen:"Wer sagt denn, dass die BVB-Profis das Trauma in drei Tagen besser verarbeiten?"

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Spieler in Angst: die BVB-Spieler Pierre-Emerick Aubameyang (links) und Ousmane Dembélé nach der Explosion am Dienstagabend (Foto: AP)

Der Sportpsychologe Martin Meichelbeck erklärt im SZ-Interview, warum Borussia Dortmund es den Spielern überlassen sollte, ob sie gegen den AS Monaco antreten.

Interview von Matthias Schmid

Martin Meichelbeck kennt sich aus im Fußball - er hat für den VfL Bochum in der ersten und zweiten Bundesliga gespielt. Parallel zu seiner aktiven Karriere studierte er Psychologie und Soziologie, seit sieben Jahren begleitet der heutige Direktor Sport beim Zweitligisten Greuther Fürth die Mannschaft auch psychologisch. Im Interview ordnet der 40-Jährige die Explosionen rund um den Dortmunder Mannschaftsbus ein und erklärt, warum der BVB es den Spielern selbst überlassen sollte, am Tag danach zu spielen oder nicht.

SZ: Herr Meichelbeck, wenn Sie am Dienstagabend im Dortmunder Mannschaftsbus gesessen wären, könnten Sie am nächsten Tag schon wieder spielen?

Martin Meichelbeck: Es ist jetzt schwierig, sich in die Situation reinzuversetzen. Wenn man von außen drauf schaut, bewertet man das natürlich anders. Ich würde spielen, wenn ich das Gefühl der Sicherheit spüren würde. Es ist wirklich außergewöhnlich, was da im Bus passiert ist, gleichzeitig tut die Polizei natürlich alles Mögliche dafür, um Sicherzeit zu garantieren. Diese Empfindung ist eine gute Voraussetzung dafür, dass man auch auflaufen kann.

Die Bilder von schreienden und auf den Boden geduckten Mitspielern bekommen die Dortmunder Profis aber nicht so leicht wieder aus dem Kopf.

Was die Spieler im Bus erlebt haben, ist eine absolute Grenzsituation, ein traumatisches Erlebnis, mit dem jeder anders umgeht. Man muss deshalb im Gespräch mit jedem Einzelnen herausfinden, wie er damit klarkommt. Da kann ich nur empfehlen, sich psychologisch beraten zu lassen. Den einen lähmt und blockiert so ein Erlebnis, der andere kann es einordnen und den Schock akzeptieren. Andere wiederum sind froh über Ablenkung, um sich mit den Vorfällen nicht mehr beschäftigen zu müssen.

Man sollte den Profis die Entscheidung selbst überlassen?

Leider sieht sich der Fußball als harter Männersport, in dem Schwäche nicht gerne gesehen und Sensibilität negativ ausgelegt wird. Aber bei einem Spieler nun mit Härte zu reagieren, ist sicherlich der falsche Weg. Vonseiten des Vereins ist jetzt Empathie gefragt. Einen Menschen im Trauma allein zu lassen, halte ich für sehr schwierig. Es ist nun die Verantwortung und auch die Pflicht von Borussia Dortmund, diese Hilfe anzubieten. Es bringt nichts, jetzt den starken Mann zu fordern, der Spieler braucht den Raum für diese Ängste, er muss diesen Angriff verarbeiten - nur dann ist er auch leistungsfähig.

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Der Klub oder der Trainer sollte also niemanden zu einem Einsatz überreden?

Auf keinen Fall. Aber durch das, was im Bus geschehen ist, kann auch eine außergewöhnliche Gruppendynamik entstehen, weil die Spieler ein Trauma erlebt haben, das mit sehr starken Ängsten verbunden ist und sie mit diesen nicht allein sind. Dies kann dazu führen, dass sich ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl und eine Form der Stärke entfalten, womit sich große Hindernisse überwinden lassen.

Ist es richtig, dass die Uefa das Spiel gleich am nächsten Tag neu ansetzt?

Ich glaube ja, dass die Entscheidung im Konsens gefallen ist, also nach enger Absprache zwischen Uefa, Borussia Dortmund und Monaco. Ich gehe nicht davon aus, dass die Uefa gegen den Willen der Vereine vorgegangen ist. Aber auch ein späterer Termin hätte meiner Meinung nach nicht viel an der Situation geändert. Wer sagt denn, dass ein Fußballer sein Trauma nach drei Tagen besser verarbeitet hätte?

Könnten sich unter Umständen Mitspieler im Stich gelassen fühlen, wenn der eine oder andere aus der Mannschaft auf das Spiel verzichtet?

Bei so einem traumatischen Erlebnis darf man auch als Kollege keinen Druck ausüben, alles sollte auf freiwilliger Ebene stattfinden. Der Kader von Borussia Dortmund ist groß genug, da werden sich bestimmt genügend Profis finden, die dieser Situation gewachsen sind, die sich vielleicht von der Gruppendynamik mitreißen lassen. Als Profisportler hat man die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche, auf das Spiel, zu konzentrieren. Aber es gibt auch Spieler, für die das Trauma zu stark ist.

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Welchen Effekt hat es, wenn BVB-Geschäftsführer Watzke jetzt seinen Spielern symbolisch mitgibt, man spiele für den kompletten Fußball, ja: für die gesamte Gesellschaft?

Ein Klubfunktionär hat eine andere Perspektive als die Spieler oder der Trainer. Watzke hat eine Gesamtverantwortung für den Verein und muss deshalb politische Statements abliefern. Er hat eine andere Sicht auf die Dinge und das ist auch gut so, weil er mit solchen Worten auch zur Solidarität mit dem Klub aufrufen und Mannschaftsgefühl zeigen will. Damit schützt er die Spieler auch ein wenig. Aber ein Profi beschäftigt sich viel mehr damit, wie er wieder Fußball spielen kann, er denkt nicht so groß.

Sollte der Coach in seiner Ansprache auf die Explosionen eingehen?

Ich bin dafür, dass ein Trainer authentisch auftritt. Und wenn einer sagt, dass das Erlebnis hart war, aber wir da als Gruppe miteinander durchgehen, soll er das machen. Aber aus Trainersicht sollte man das Trauma nicht groß thematisieren, sondern die Dinge nur lösungsorientiert ansprechen.

Besonders schwierig dürfte die Situation für einen wie Matthias Ginter sein, der schon bei den Anschlagen von Paris die Nacht im Stadion verbringen musste?

Für Spieler, die das schon mal in einer anderen Form erlebt haben, kann das Trauma nun das episodische Gedächtnis triggern und die alten Ängste wieder aufleben lassen. Sie machen sich dann viele Gedanken und fragen sich: warum ich? Warum geraten wir jetzt in das Fadenkreuz? Wir sind doch nur Profifußballer und tun doch etwas Gutes, indem wir die Menschen begeistern. Es gibt Spieler, die dann sogar ihren eigenen Berufsstand infrage stellen. Die Angst ist in diesem Moment sehr mächtig. Deshalb ist es so wichtig, dass man den Spielern psychologische Hilfe anbietet. Und die Betreuung kann lange dauern.

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