Interview mit Philipp Lahm:Leise Abrechnung mit Klinsmann

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Philipp Lahm über Jürgen Klinsmanns misslungene Umstellung vom Nationalteam auf den FC Bayern - und seine Hoffnung auf Louis van Gaal.

Ludger Schulze

SZ: Erst ein zehnstündiger Flug nach Shanghai, in China sechs Stunden Zeitverschiebung, nun in Dubai Temperaturen zum Steineschmelzen - eine gemütliche Reise zum Saisonabschluss sieht anders aus, oder?

Gegen China war Philipp Lahm Kapitän der deutschen Nationalelf, gegen Dubai muss er die Binde an Bastian Schweinsteiger weitergeben. (Foto: Foto: AFP)

Lahm: Man macht es trotzdem gerne. Für die Nationalelf ist es wichtig, sich regelmäßig zu treffen und Länderspiele zu absolvieren. Das fördert das Teambuilding, besonders unter diesen extremen Bedingungen. Man muss sich hier schon gegenseitig bei Laune halten.

SZ: Beim 1:1 gegen China hat die Auswahl nicht überzeugt, wie schon in den Freundschaftsspielen zuvor. Begeisterung hat sie letztmals im vergangenen Herbst beim 2:1 gegen Russland hervorgerufen - und auch da vor allem in der ersten Halbzeit. Wo steckt der Wurm drin?

Lahm: Mit Ausnahme des Spiels in Finnland haben wir eine ordentliche WM-Qualifikation gespielt. Bei den Freundschaftsspielen allerdings haben wir unsere Probleme. Das größte ist, dass wir zu schnelle Ballverluste haben, den Ball nicht lange genug in den eigenen Reihen halten und so dem Gegner immer hinterherlaufen.

SZ: Sie erkennen keinen Trend, dass die Kluft zwischen der deutschen Mannschaft und beispielsweise dem weltweit führenden Team Spanien, die ja schon im EM-Finale deutlich zutage trat, größer geworden ist statt kleiner?

Lahm: Nein. Es stimmt, wir haben diesen Abstand zu Spanien. Die schnellen, harten Pässe, die sie spielen, diese Ordnung auf dem Platz, da müssen wir erst noch hin. Schauen sie sich das Champi-ons-League-Finale FC Barcelona gegen Manchester United an, da kann jeder einzelne Spieler saubere, harte Pässe spielen. Das ist ein anderer Fußball. Das müssen wir erst noch lernen. Aber mit viel Training geht das. Bis zur WM 2010 ist die Zeit zwar knapp, aber jede Trainingseinheit ist dafür wichtig, und deshalb ist auch diese Reise sinnvoll.

SZ: Sie waren stolz, die Nationalmannschaft im Spiel gegen China erstmals als Kapitän anführen zu dürfen. Offenbar bedeutet Ihnen das sehr viel.

Lahm: Es ist eine Auszeichnung, die zeigt, dass man ein gewisses Standing hat, beim Trainer und auch bei der Mannschaft hat. Auf meine Meinung wird Wert gelegt.

SZ: Beim FC Bayern schienen sie vor der Saison auch erste Wahl als Kapitän zu sein. Trainer Klinsmann aber hat Mark van Bommel dazu bestimmt, Sie kamen am Ende nicht mal in den Mannschaftsrat. Hat diese Enttäuschung längere Wirkung bei Ihnen gehabt?

Lahm: Nein, nicht wirklich. Auf dem Platz schon gar nicht. Ich war bereit, Verantwortung zu übernehmen. Der Trainer hat in der Kapitänsfrage anders entschieden. Trotzdem habe ich immer offen meine Meinung gesagt.

SZ: Hat diese Angelegenheit Ihr Verhältnis zu Jürgen Klinsmann verändert?

Lahm: Nein, ich habe es auch weiterhin als meine Aufgabe betrachtet, mich dem Trainer gegenüber zu taktischen Dingen zu äußern und meine Position deutlich zu machen.

SZ: Vor einem Jahr haben Sie Ihren Vertrag beim FC Bayern vor allem deshalb verlängert, weil Jürgen Klinsmann Sie überzeugt hatte mit seinem Konzept eines radikalen Neuaufbaus. So wollte er den Anschluss an die europäische Spitze bewältigen. Was ist da falsch gelaufen?

Lahm: Das muss ich korrigieren. Es waren auch intensive Gespräche mit dem Vorstand, die mich überzeugt haben, dass wir künftig um den Sieg in der Champions League mitspielen können. Es kam leider anders. Wenn sich das nicht ändert, muss ich mich irgendwann anderweitig umschauen. Die beste Zeit eines Fußballers dauert nicht zehn Jahre.

SZ: Viele Leute haben nicht verstanden, wieso Klinsmann bei der WM 2006 als großer Trainer gefeiert, beim FC Bayern aber entlassen wurde, weil seine Arbeit angeblich unzureichend war.

Lahm: Nationalmannschaft und Vereinsfußball sind nicht zu vergleichen. Beim Nationalteam arbeitet man punktuell, auf ein Spiel oder auf ein großes Turnier hin. Im Verein muss man jeden Samstag, teilweise auch unter der Woche erfolgreich spielen. Man arbeitet tagtäglich miteinander. Diese Umstellung ist ihm nicht gelungen.

SZ: Lag das an Jürgen Klinsmanns Trainingsmethoden?

Lahm: Es waren viele Faktoren ausschlaggebend, dass es bei uns nicht so gelaufen ist. Aber dass wir so viele Gegentore bekommen haben, liegt ja nicht daran, dass die Verteidiger plötzlich nicht mehr Fußball spielen konnten.

SZ: ... eine Abwehr mit Lúcio, Demichelis und Lahm, also den besten Defensivspielern aus Brasilien, Argentinien und Deutschland.

Lahm: So ist es. Wir hatten einfach keine Ordnung auf dem Platz.

SZ: Und dann wohl logischerweise auch abseits des Platzes.

Lahm: Harmonie lebt von Erfolgen, und wir hatten keine Erfolge. Beim VfB Stuttgart hat man gemerkt, da steht eine Mannschaft auf dem Platz - deswegen hatten sie diesen enormen Erfolg in der Rückrunde. Ein Problem von uns war, dass wir gegen unsere direkten Konkurrenten viele Spiele verloren haben. Meiner Meinung nach haben wir in dieser Saison genau ein gutes Spiel gemacht, das war beim 3:0 in Bochum. Abgesehen von den letzten fünf Spielen unter Jupp Heynckes natürlich.

SZ: Sie, van Bommel und Zé Roberto haben oft Taktik-Kritik geübt. Hat das keine Wirkung bei Klinsmann erzielt?

Lahm: Offenbar nicht. Es wurde ja nichts geändert. Die Mannschaft jedenfalls hat alles versucht, die Probleme selber in den Griff zu bekommen.

SZ: Kann Jürgen Klinsmann noch ein guter Trainer werden?

Lahm: Bei der WM 2006 war er es ja. Er braucht dazu aber die richtigen Leute im sportlichen Umfeld um sich herum.

SZ: Zum Schluss der Saison haben Sie eine Art Gegenentwurf von Klinsmann als Trainer bekommen: den erfahrenen Jupp Heynckes. Wir war es mit ihm?

Lahm: Super. Er hat rausgeholt aus uns, was drin war. Mit seiner Bilanz (13 Punkte aus fünf Spielen, die Redaktion) wären wir Meister geworden. Er hat uns in einer äußerst schwierigen Situation wieder Spaß am Spielen vermittelt. Er wusste genau, wie man mit jedem Einzelnen umgehen muss. Er hat einen guten Job gemacht.

SZ: Zuletzt wurde von einem Interesse des FC Barcelona an Ihnen berichtet, vor einem Jahr lag Ihnen bereits ein konkretes Angebot dieses Klubs vor. Ganz ehrlich: Wie oft kann man dem FC Barcelona einen Korb geben?

Lahm: Am liebsten ist mir, mit dem FC Bayern Erfolg zu haben. Erfolg bedeutet für mich nicht nur, noch einmal deutscher Meister zu werden. Ich will bei einem Klub spielen, mit dem man auch die Champions League gewinnen kann. Der Anspruch des FC Bayern muss sein, die großen Gegner auch an einem normalen Tag schlagen können. Im Moment brauchen wir dazu Glück.

SZ: Nun steht der FC Bayern mit dem neuen Trainer Louis van Gaal zum wiederholten Mal vor einem Neubeginn. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit ihm?

Lahm: Große. Er kommt aus der Jugendarbeit bei Ajax Amsterdam, er steht für ein Spielsystem. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er bei uns Ordnung, Disziplin und klare taktische Vorstellungen vorgibt. Das sind Dinge, auf die bei uns in Deutschland zu wenig Wert gelegt wird.

SZ: Wie muss sich der FC Bayern personell verstärken, um wieder bei den Großen mitspielen zu dürfen?

Lahm: Der absolut wichtigste Transfer ist der Trainer. Wir haben doch eine sehr gute Mannschaft mit sehr guten Einzelspielern. Mit dieser Mannschaft waren wir vor zwei Jahren ja schon deutscher Meister, in ihr steckt noch viel Potential. Der Trainer wird viel mehr herausholen aus ihr als im vorigen Jahr. Wenn die Taktik stimmt, ist mehr gewonnen als durch viele Transfers.

SZ: Braucht der FC Bayern einen neuen Torwart?

Lahm: Wir haben zwei sehr gute.

SZ: Gerade hat Manager Uli Hoeneß den Namen des Schalker Keepers Manuel Neuer ins Gespräch gebracht.

Lahm: Der Vorteil ist, dass ein neuer Trainer kommt und der Kampf um die Plätze neu beginnt. Michael Rensing hatte es schon als Nachfolger von Oliver Kahn sehr schwer, aber dann auch noch unmittelbar vor dem Spiel in Barcelona aus dem Tor genommen zu werden, das ist für einen so jungen Torwart extrem hart. Ich hoffe, er verdaut das alles.

SZ: Mitunter hat man den Eindruck, auf dem Platz stünde ein FC Ribéry und nicht der FC Bayern. Wie wichtig ist es, ihn trotz der offenbar lukrativen Angebote zu halten?

Lahm: Franck ist ein Weltklassespieler. Wir wollen ja als Verein nach ganz oben zurückkehren, dazu braucht man eben einige Topspieler. Deswegen ist es wichtig, Spieler zu halten, die dieses Niveau haben.

SZ: Wenn er wegginge, dann...

Lahm: ... würde uns ein Spieler von internationalem Niveau verlassen. Doch das ist eine Entscheidung des Vorstands; der FC Bayern bekäme in diesem Fall viel Geld, das könnte man dann in andere gute Spieler investieren.

© SZ vom 02.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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