Interview mit Oliver Kahn:"Warum sollte ich traurig sein?"

Oliver Kahn über sein Leben ohne die Bundesliga, über Hausbau, Jürgen Klinsmann, Zwangsjacken und Tränen beim Abschiedsspiel.

Interview: K. Hoeltzenbein und C. Kneer

SZ: Herr Kahn, wie war der erste Sommer ohne Saisonvorbereitung?

Interview mit Oliver Kahn: "Es kann schon sein, dass irgendwann der Moment kommt, wo mir das Torwartsein fehlt. Im Moment fühle ich mich aber eher befreit." Oliver Kahn.

"Es kann schon sein, dass irgendwann der Moment kommt, wo mir das Torwartsein fehlt. Im Moment fühle ich mich aber eher befreit." Oliver Kahn.

(Foto: Foto: Reuters)

Kahn: Eigentlich wunderbar. Ich hab kurz mal gezuckt, als mein Körper gemerkt hat: Mensch, jetzt müsste doch eigentlich die Saisonvorbereitung losgehen. Nach zwanzig Jahren hat der Körper diesen Rhythmus, er verlangt nach Bewegung, nach Arbeit. Aber man kann das ja auch kompensieren: Ich bin dann zum Laufen gegangen oder in den Kraftraum oder auf den Golfplatz.

SZ: Wenn Sie sich jetzt in ein Bundesligator stellen würden: Würden die Zuschauer merken, dass das nicht mehr der echte Kahn ist?

Kahn: Fit bin ich, aber ich habe drei Monate keinen einzigen Ball gefangen, und das merkt man natürlich. Aber ich war 20 Jahre im Tor, da kann man mit Auge und Routine einiges richten. Wenn du plötzlich wieder im Kasten stehst, sagt das Gehirn wahrscheinlich: Hoppla, das kenn ich doch, und dann spielt man das Spiel irgendwie automatisch.

SZ: Sie wollen doch sicher gut aussehen in Ihrem Abschiedsspiel?

Kahn: Klar, deshalb hab ich auch noch mal einen Tag trainiert. Schaun wir mal. Zur Not krieg ich halt fünf Stück. Na und? Dann lachen wir drüber.

SZ: Müsste man nicht eher ein paar Tränen erwarten, wenn man sich bewusst wird, dass so eine Karriere endgültig zu Ende ist?

Kahn: Ich kann jetzt noch nicht sagen, welche Emotionen ich haben werde, aber bislang hat mein Abschied vom Fußball erstaunlich problemlos funktioniert. Ich bin da auch sehr rational rangegangen, ich habe mich seit anderthalb Jahren auf diesen Moment vorbereitet. Es ist was anderes, wenn eine Verletzung einen plötzlich aus der Karriere reißt, dann fällt man wahrscheinlich in ein tiefes, schwarzes Loch. Ich habe von diesem Loch bisher noch nichts gespürt. Und wie gesagt: Ich habe genügend Dinge, die ich tun kann, wenn mein Körper nach Anspannung verlangt. Ich muss nicht unbedingt im Tor stehen.

SZ: Gab's nicht noch ein paar schöne Angebote?

Kahn: Doch, natürlich gab's die.

SZ: Aus der Bundesliga?

Kahn: Nein, aus dem Ausland, da waren wirklich interessante Dinge dabei.

SZ: Aber?

Kahn: Ich habe keine Sekunde gezuckt. Ich habe das Gefühl, meine Laufbahn ist rund, und ich will das auch alles nicht mehr: nochmal was Neues angehen, nochmal Körper und Geist hochfahren. Gerade mir sind die mentalen Aspekte immer wichtig gewesen, und das alles immer wieder zu aktivieren, kostet viel Substanz. Ich bin ja keiner, der sich ins Tor stellt und sagt: Jetzt spielen wir mal ein bisschen. Ich hatte immer sehr hohe Ansprüche, und das ist auf Dauer einfach sehr anstrengend. Ich hab schon die letzten ein, zwei Jahre gemerkt: Hey, jetzt ist langsam mal gut.

SZ: Ihr geliebter Druck - Sie brauchen ihn nicht mehr?

Kahn: Es kann schon sein, dass irgendwann der Moment kommt, wo mir das Torwartsein fehlt. Im Moment fühle ich mich aber eher befreit.

SZ: Sie bauen gerade ein Haus in Grünwald. Wird es dort einen Raum geben, der an den Torwart Oliver Kahn erinnert?

Kahn: Sowas wird's sicher geben. Ab und zu sieht man sie ja schon nochmal ganz gern, die Trophäen, die Pokale, die Auszeichnungen, das ist ja nichts, was man verstecken muss. Da kann man ja auch ein bisschen stolz drauf sein. Ich hab auch eine Meisterschale zu Hause.

"Warum sollte ich traurig sein?"

SZ: Original oder Fälschung?

Oliver Kahn Abschiedsspiel

"Ganz banal: Es geht ums Spiel. Für mich dagegen ging es irgendwann nur noch ums Ergebnis."

(Foto: Foto: ddp)

Kahn: Das ist nur ein Duplikat. Der Markus Babbel hat mal für alle in der Mannschaft die Schale nachmachen lassen, 2000 Mark hat das - glaube ich - pro Stück damals gekostet.

SZ: Da können Sie jetzt zu Hause immer sagen: 'Da ist das Ding'.

Kahn: Ja genau. Ich werde mir da schon was Schönes einrichten.

SZ: Einen Oliver-Kahn-Trophäen-Keller.

Kahn: Einen ganzen Keller sicher nicht. Ich habe einen Vitrinen-Schrank, in dem steht alles drin. Der steht im Arbeitszimmer, woanders find ich's eher peinlich. So, Grüß Gott, kommen Sie mal rein, hier stehen meine Pokale...

SZ: Was soll vom Torwart Kahn außer Trophäen und Medaillen übrigbleiben?

Kahn: Gar nichts.

SZ: Gar nichts?

Kahn: Ganz ehrlich: Das werden wir sehen, was die Menschen in Erinnerung behalten und was nicht. Ein paar Monate Abstand zum Business tun einem da wirklich ganz gut: Da merkt man, dass es nicht um einzelne Personen geht. Es geht auch nicht um Oliver Kahn.

SZ: Sondern?

Kahn: Ganz banal: Es geht ums Spiel. Für mich dagegen ging es irgendwann nur noch ums Ergebnis oder um Dinge, die man in seinem Profialltag für wichtig hält: um die Anzahl der Gegentore, um Bewertungen, und so weiter. Ich habe das Spiel nicht mehr gespielt. Ich habe mich die letzten Jahre immer nur aufs Ergebnis konzentriert: Heute müssen wir unbedingt gewinnen, und nächste Woche auswärts, da dürfen wir auf keinen Fall verlieren, und dann kommt das Champions-League-Heimspiel, da darf ich auf gar keinen Fall ein Tor kassieren. Mit Spielen hat das alles nichts mehr zu tun, und irgendwann vergeht dir die Freude. Man ertappt sich dabei, dass man sich fragt: Warum macht mir das alles nicht mehr so viel Spaß?

SZ: Die Zwangsjacke eines zum Erfolg verdammten Bayern-Profis.

Kahn: Man trägt schwer daran. Und irgendwann ist das Spielen halt, wie zur Arbeit zu gehen. Eine Pflicht. Aber ich will mich nicht beklagen: Das gehört eben zum professionellen Sport. Aber man begreift irgendwann, dass diese Zwänge im Grunde das Gegenteil vom Spiel sind. Das Gegenteil dessen, weswegen man mal angefangen hat.

SZ: Im Grunde kritisieren Sie damit den Ansatz, den Sie selbst jahrelang gepredigt haben.

Kahn: Das merkt man eben erst, wenn man mal raus ist. Aus der Distanz kann ich mir jetzt erlauben, das so zu sehen. Wenn man in der Mühle drinsteckt, ist das natürlich anders. Ich bin überzeugt, dass vieles richtig war, aber wenn ich heute zurückblicke, dann frage ich mich schon manchmal, ob ein paar Grundeinstellungen dem Spiel angemessen waren.

SZ: Haben Sie einen Rat für die junge, noch aktive Generation?

Kahn: Die Jungen brauchen keinen Rat von mir, das ist eine neue Generation, die sich in einem anderen Umfeld entwickelt. Manchmal entsteht der Eindruck, dass diese Generation vielleicht nicht mehr so stark ergebnisorientiert ist. Ich kann mich an einen Satz von Matthias Sammer erinnern, der vor der EM 1996 gesagt hat: Für mich zählt nur der Titel! So eine totale Fixierung finde ich heute eher selten. Ich habe auch jetzt bei Olympia kaum einen gehört, der gesagt hat: Nur der Olympiasieg zählt.

"Warum sollte ich traurig sein?"

Oliver Kahn Abschiedsspiel

"Das war nichts Persönliches." Oliver Kahn (r.) ist dem früheren Bundestrainer Jürgen Klinsmann kaum mehr böse.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Ist das nun gut oder schlecht?

Kahn: Ich werte das nicht. Ich stelle das nur fest. Aber ich denke, dass diese Art zu etwas mehr Entspanntheit und Zufriedenheit führt, zu mehr spielerischer Leichtigkeit.

SZ: Spielerische Leichtigkeit - das klingt aus dem Mund von Oliver Kahn etwas überraschend.

Kahn: Wenn man ein bisschen älter wird und seine Kinder aufwachsen sieht, dann merkt man eben, dass es auch andere Dinge gibt. Dann lernt man, dass es nicht nur ums Immerweitermachen geht, und dass es mit Sicherheit auch gute Seiten hat, wenn man nicht ausschließlich diese totale Zielfixierung hat, wie ich das von meiner Generation und auch von mir kenne. Für mich gab es immer nur den Titel. Wenn man das bei Bayern zwei, drei Jahre mitmacht, ist das kein Problem - aber 14 Jahre! Und jedes Jahr zählt nur der maximale Erfolg, und alles darunter bedeutet Scheitern! Deshalb nochmal die Antwort auf Ihre Frage von vorhin: Warum sollte ich traurig sein, wenn etwas zu Ende geht, das auch sehr anstrengend war?

SZ: Wie passt Ihr Wunsch nach Abstand mit der Tatsache zusammen, dass Sie den Trainerschein machen wollen?

Kahn: Den Trainerschein mache ich nicht, um Trainer zu werden. Ich will mich einfach weiterbilden, ich will den Fußball aus einer anderen Perspektive sehen. Aus diesem Grund bin ich auch Länderspiel-Experte beim ZDF, zusammen mit Johannes B. Kerner.

SZ: Fernsehen, Trainerschein, Hausbau - was planen Sie noch?

Kahn: Das Problem ist ja, dass Hausbau kein Broterwerb ist. Im Gegenteil, das kostet nur Geld... Mir wird auf jeden Fall nicht langweilig werden. Neben der Arbeit beim Fernsehen starten im Herbst meine Asien-Aktivitäten. Es soll in China beginnen, später auf Japan, Korea, Malaysia, Indonesien erweitert werden.

SZ: Zu lesen war, Sie würden dort Talente suchen. Was genau hat man sich darunter vorzustellen?

Kahn: Es ist eine Talentsuche, die von den jeweiligen Fernsehsendern begleitet wird. Außerdem plane ich eine Menge Aktivitäten rund um mein Buch, da gibt's viele Anfragen, aber da muss ich mir erstmal klar werden, wie ich das gestalten möchte. Und dann gibt's noch die Initiative 'Ich schaff's'; dafür werde ich viele verschiedene Schulen in Bayern besuchen und mit den Kindern über Motivation reden und alles, was damit zusammenhängt. Dieses Paket an Projekten hält mich die nächsten Monate schon mal ziemlich in Atem.

SZ: Zudem gibt's den erklärten Wunsch des FC Bayern, Sie in eine Art Gesamtstrategie einzubinden. Was haben Sie den Herrschaften anzubieten?

Kahn: Im Moment geht es für mich erst einmal darum, Abstand zu gewinnen. Ich muss in mich hineinhören, ob ich das selbst möchte, und dazu brauche ich erstmal genügend Distanz. Ich will mir ein eigenes Bild vom FC Bayern machen, eines, das nicht mehr das Bild eines angestellten Profis ist. Da wird man mit der Zeit betriebsblind. Ich will aus der Distanz sehen, was mir an diesem Verein auffällt und ob ich mir vorstellen kann, da mitzumachen.

SZ: Es gibt ja das Angebot von Karl-Heinz Rummenigge, Oliver Kahn und Mehmet Scholl auf Champions-League-Reisen mitzunehmen. Was halten Sie davon?

Kahn: Ein tolles Angebot, aber für mich kommt das im Moment nicht in Frage.

"Warum sollte ich traurig sein?"

SZ: Hartnäckig hält sich das Gerücht, wonach Sie Uli Hoeneß' Nachfolger werden könnten, wenn der 2009 in den Aufsichtsrat wechselt. Interesse?

Kahn: Ich bin ein Typ, der Dinge bewegen möchte, auch nach der Karriere als Sportler. Wenn ich das Gefühl habe, es gibt bei Bayern eine Aufgabe, die mich fordert, die Perspektive hat und bei der ich wirklich was bewegen kann, dann bin ich der Letzte, der sich darüber keine Gedanken machen würde.

SZ: Dann wäre der Hoeneß-Job doch ideal für Sie.

Kahn: Also zunächst mal glaube ich nicht, dass man Uli Hoeneß einfach eins zu eins ersetzen kann. Was der Uli alleine schafft, wird in Zukunft kein Mensch mehr alleine leisten können. Aber klar, in ferner Zukunft wäre es für mich sicher interessant, da mitzumachen. Da gäbe es sicher Aufgaben, die mich reizen und mir Spaß machen. Aber im Moment ist das noch viel zu früh.

SZ: Im Moment würde es wohl auch an Jürgen Klinsmann scheitern, mit dem Sie seit der Torwartentscheidung vor der WM 2006, als er Jens Lehmann als Nummer 1 nominierte, als verfeindet gelten.

Kahn: Das ist so ein typischer Medien-Trugschluss. Alle denken: Klinsmann, Kahn, WM 2006, das kann nicht funktionieren. Das ist völlig falsch. Erstens sind zwei Jahre vergangen, und zweitens denkt Klinsmann in vielen Dingen ähnlich wie ich. Das ist ja das Interessante, was immer unterschlagen wird.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Kahn: Er hat ja viele intelligente Dinge gemacht. Es ist völlig richtig, nicht irgendwo hinzugehen und zu sagen: Hallo, ich bin jetzt hier der Trainer und mach in eurem System mal ein bisschen mit. Jürgen Klinsmann baut sich sein eigenes System, er bringt seine eigenen Leute mit, umgibt sich mit Vertrauten. Beim DFB hat der Ansatz wunderbar funktioniert, bei Bayern ist das schwieriger. Da gucken Rummenigge und Hoeneß schon, was mit ihrem Lebenswerk passiert. Aber auch was seine Trainingslehre und seinen Umgang mit Psychologie anbelangt, sind wir uns sehr nah.

SZ: Wenn es da nur nicht diesen Torwartkonflikt 2006 gegeben hätte...

Kahn: Ja, aber Klinsmann wollte damals sein System eben komplett installieren, dazu gehörte offenbar auch die Torwartposition. Wenn man das einmal verstanden hat, dann erscheint das, was er mit mir gemacht hat, zumindest aus seiner Sicht folgerichtig. Das war nichts Persönliches.

SZ: Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Klinsmann und Kahn in absehbarer Zeit auf administrativer Ebene etwas zusammen machen?

Kahn: Das ist alles andere als ausgeschlossen.

SZ: Es hört sich so an, als hätten Sie nach einer gewissen Phase der Privatheit durchaus wieder großen Ehrgeiz, zielgerichtet etwas zu entwickeln.

Kahn: Mit Sicherheit, aber eben im Rahmen dessen, was ich gerade erklärt habe - also im Rahmen eines Systems, in dem man weitgehend freie Hand hat und auf die eigenen Leute bauen kann.

SZ: Stimmt der Eindruck, dass Sie den entscheidenden Leuten beim FC Bayern zuletzt wieder nahe gerückt sind? Vor einigen Jahren hatte man das Gefühl, dass sich einiges an Distanz aufgebaut hat.

Kahn: Wir gehen mit Sicherheit im sehr Guten auseinander. Natürlich gibt's in 14 Jahren immer wieder mal Reibereien, aber ich muss ehrlicherweise sagen, dass es ja auch eine Zeit gab, in der ich selbst ein paar seltsame Verhaltensweisen an den Tag gelegt habe. Da kann man nicht immer die anderen verantwortlich machen.

SZ: Geht Ihre Nähe so weit, dass Sie sich demnächst bei den Montagskickern des FC Bayern sehen lassen werden, wo Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sich fit halten?

Kahn: In fünf Jahren vielleicht. Im Moment hab ich überhaupt keinen Bock zum Kicken.

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