Interview mit Markus Babbel:"Liverpool steht über allem"

Der ehemalige Nationalspieler Markus Babbel über eine Karriere, die von einer schweren Krankheit fast beendet worden wäre.

Interview: Martin Hägele und Ludger Schulze

"Es gibt nichts Schlechtes, das nicht auch was Gutes hat", sagt Markus Babbel, 31. Im Herbst 2001 wurde die Karriere des damaligen Abwehrspielers beim FC Liverpool durch eine schwere Krankheit gestoppt. Als er Monate später nach Abschluss einer Reha in Regensburg mit anderen Rekonvaleszenten seine Gesundung feierte, lernte er eine junge Theologiestudentin kennen. Mit ihr und dem gemeinsamen Kind lebt der gebürtige Münchner heute in Stuttgart, wo Babbel beim VfB so stark aufspielt, dass man in sogar wieder mit der Nationalmannschaft in Verbindung bringt. Weshalb das eine pikante Vorgeschichte hat, erzählte er den SZ-Mitarbeitern im Klub-Restaurant des VfB.

SZ: Herr Babbel, Sie haben ein Nervenleiden überwunden, das Guillain-Barré-Syndrom. Wie kommt man dazu? Babbel: Es entsteht durch eine Immunschwäche, ausgelöst durch das Pfeiffersche Drüsenfieber. Der Körper produziert Antikörper gegen das Virus, das schon gar nicht mehr vorhanden ist. Dadurch werden die Nervenenden angegriffen, die Muskeln bekommen keine Impulse und hören auf zu arbeiten. Ich hatte noch Glück: Bei mir ging es nur so weit, dass ich bis zu den Knien kein Gefühl mehr hatte, permanentes Kribbeln in den Fingern, ein Teil der Gesichtshälfte war gelähmt. Bei anderen kann das bis zum Atemstillstand führen.

SZ: Kam das plötzlich? Babbel: Bei mir war das ein schleichender Prozess. Ich dachte erst, das Kribbeln seien leichte Durchblutungsstörungen. Aber nach 14 Tagen hab' ich gedacht, da stimmt doch was nicht, und beschloss, nach München zum Spezialisten Prof. Roman Haberl zu gehen, den mir Dietmar Hamann (Babbels Mitspieler beim FC Liverpool, Anmerkung der Redaktion) empfohlen hatte. Ich bin gerade noch rechtzeitig ins Flugzeug gestiegen.

SZ: Wann konnten Sie sich denn wieder einigermaßen normal bewegen? Babbel: Nach etwa zehn Wochen. Wahnsinn war, wie ich vor einem Spiegel auf einem Laufbahn ging - wie ein Roboter. Du weißt, wie es geht, das Gehen, aber du kannst es nicht umsetzen.

SZ: Gab es mal einen Punkt, an dem Sie aufgeben wollten? Babbel: Komischerweise nie. Ich hab' mich auch nie gefragt, warum ich, warum kein anderer. Ich will da eine Geschichte erzählen: Im Krankenhaus hat mich ein neunjähriges Kind besucht, Fan von Bayern München, Leukämie, Überlebenschance 50 Prozent. Der Bub kam mit seinem Schal und einer Freude, da hab' ich mir gedacht: Na, so schlecht geht es dir ja gar nicht. Für mich war immer klar, dass ich wieder zurück komme, zumal ich vom Verein (FC Liverpool) großartig unterstützt wurde. Wie ernst die Krankheit ist, wurde mir erst im Nachhinein bewusst.

SZ: Als Sie das Schlimmste überwunden hatten, haben Sie sich in Donaustauf beim Physiotherapeuten der Nationalmannschaft, Klaus Eder, auf ein sportliches Comeback vorbereitet. In welchem Zustand waren Sie da? Babbel: Ich konnte wieder gehen, kicken ging noch lange nicht, es fehlte die Kraft. Fünf Minuten Joggen, dann zehn Minuten, schließlich eine Viertelstunde, so lief das ab. Ich hatte ja auch zehn Kilo verloren, ich wog bei 1,90 m Größe noch 74 Kilo. Jetzt habe ich 86.

SZ: Das passierte im Herbst 2001, als Sie auf dem Gipfel Ihrer Karriere waren. Sie hatten 2000 den FC Bayern verlassen und waren nach England gegangen. Beim FC Liverpool feierten Sie im ersten Jahr Triumphe als Rechtsverteidiger. Babbel: Das war bombastisch. Ich hab' von 63 Spielen 60 gemacht, im ersten Jahr haben wir drei Titel gewonnen, zu Beginn der neuen Saison noch zwei. Das hab ich nicht mal beim FC Bayern geschafft.

SZ: Wann haben Sie nach dieser Leidenszeit den Sprung in den Liverpooler Profikader zurück geschafft? Babbel: Zu Beginn der Saison 2002/2003, sechs Spiele habe ich dort gemacht. Am Anfang stand der Charity Shield, bei dem Meister und Pokalsieger spielen. Arsenal hatte das Double gewonnen, wir als Zweiter spielten gegen die in Cardiff vor 80000. 40000 Liverpool-Fans, 40000 Arsenal. Beim Warmlaufen haben 40000 meinen Namen gesungen und geklatscht. Als Verteidiger kannte ich so was gar nicht, ich hätte nie gedacht, dass ich mal in so einen Genuss komme. Zehn Minuten vor Schluss wurde ich dann eingewechselt - und da hat das ganze Stadion applaudiert. Das war das Schönste, was man als Spieler erfahren kann. Die Leute hatten ja alle die Fotos gesehen, wie ich im Rollstuhl saß.

SZ: Sie lieben England, den englischen Fußball, Tempo, Zweikampf, Ehrlichkeit? Babbel: Immer schon. Als Bub habe ich mir mein ersten Taschengeld durch Schneeschippen bei den Nachbarn verdient. Davon habe ich mir ein Trikot von Manchester City gekauft - es war auch fünf Mark billiger als das von Bayern.

SZ: Und Sie lieben vor allem Liverpool? Babbel: Liverpool war der Höhepunkt meiner Karriere, die Stadt, das Stadion, der Klub. Das steht über allem, über Bayern, auch über Stuttgart, obwohl hier beim VfB alles super anläuft. Was in Liverpool war, kann ich nicht in Worte fassen. Liverpool kann sich als Stadt nicht vergleichen mit Stuttgart oder München, hier ist es zehn Mal schöner. Aber ich habe eine solche Liebe für diese Stadt und die Leute dort.

SZ: Nur Ihr Verhältnis zum damaligen Trainer, dem Franzosen Gerard Houllier, war am Ende sehr getrübt. Babbel: Es war ein Spiel im Ligapokal bei Aston Villa. Ich kam völlig überraschend von Anfang an zum Einsatz, und spielte nicht gut, aber auch nicht total schlecht. Nach 39 Minuten hat er mich vom Platz geholt...

SZ:... was Sie als Demütigung empfunden haben. Babbel: Wenn du total schlecht spielst, gehst du nach 20 Minuten raus, oder er wartet eben noch die sechs Minuten bis zur Halbzeit. Ich hab' empört mein Trikot ausgezogen und bin in die Kabine marschiert. Der Trainer hat das so interpretiert, als hätte ich mein Trikot weggeschmissen. Das hab' ich aber nicht, so was macht man nicht, würde ich nie wagen, Liverpool war schließlich mein Klub. Aber richtig war mein Verhalten trotzdem nicht, weil man die Entscheidungen des Trainers zu respektieren hat. Ich war emotional sehr angespannt, weil ich zu viel von mir erwartet hab', der Mannschaft helfen wollte. Es war Frust, weil ich wieder so gut spielen wollte wie vorher, aber es ging einfach nicht. Ich habe mich dann zwar entschuldigt, aber das Verhältnis zu Houllier war zerstört.

"Liverpool steht über allem"

SZ: Sie haben die Konsequenz gezogen, den Klub verlassen und sind zu Blackburn Rovers gegangen, einem eher mäßigen Team. Babbel: Keine große Mannschaft, obwohl Leute wie Andy Cole oder Dwight Yorke dort gespielt haben, die früheren Sturmspitzen von Manchester United. Graeme Souness, ehemaliger Nationalspieler von Schottland, war Trainer. Unser Ziel war das Erreichen der Champions League. Aber es war very british, sag' ich mal, also sehr locker. Die Lebensqualität war enorm hoch, aber sportlich war's etwas dünn. Je schlechter es lief, desto mehr Spaß hatten wir. Um den Teamgeist zu fördern, sind wir mal drei Tage nach Schottland ins Trainingslager oder fünf Tage nach Marbella gefahren, da wurde nur gesoffen. So lustig das war, auf Dauer war das nichts für mich.

SZ: Eine Art ständiges Oktoberfest? Babbel: Schön, wenn man das erlebt, aber wenn's jeden Tag ist, wird's irgendwann fad. Ich wollte aber noch mal auf höchstem Level spielen. Immerhin konnte ich dort Spielpraxis sammeln, ich habe 30 Spiele gemacht...

SZ: ...und zu alter Form gefunden? Babbel: In der Innenverteidigung ging's. Aber auf der rechten Seite - da hab' ich gemerkt, das packe ich nicht mehr, die Linie rauf und runter, jedenfalls mit dieser Art Training nicht.

SZ: Sie haben mal gesagt, am Ende der Saison hätten Sie sich wie ein A-Jugendlicher gefühlt. Was meinten Sie? Babbel: Ich war kaputt, mausetot. Nur nach meiner ersten Profisaison war ich genau so fertig. Bei den Blackburn Rovers habe ich die letzten fünf Spiele gar nicht mehr gemacht, ich konnte einfach nicht mehr.

SZ: Sie waren lediglich ausgeliehen von Liverpool. Babbel: Die Überlegung war, entweder packe ich es dort noch mal, oder ich gehe nach Deutschland zurück. Dann kam gottseidank das Angebot vom VfBStuttgart.

SZ: Matthias Sammer, Ihr Kollege aus der Europameistermannschaft von 1996, hat Sie geholt. Aus alter Freundschaft? Babbel: Er hat einen Verteidiger gesucht. Ich bin Deutscher, war ablösefrei, er war über mich informiert. Ich habe ihm nur eines gesagt: Wenn du mich für die rechte Seite haben willst, weiß ich nicht, ob ich der richtige Mann bin - Innenverteidiger ist kein Problem.

SZ: Sie kannten ihn ja nur als Spieler. Babbel: Schon damals war für mich klar, der wird mal ein Toptrainer. Matthias Sammer ist gut für mich. Ausschlaggebend aber war der Klub. Diese Perspektive, die Stadt, das Umland, das Stadion.

SZ: Und wie ist inzwischen Ihr Bild vom VfB Stuttgart? Babbel: Uneingeschränkt positiv. Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt, was die Leute betrifft, wie sie mich beäugen als früheren Bayern-Spieler. Es gab nie etwas wie Ablehnung. Philipp Lahm hat da gute Vorarbeit geleistet. SZ: Und sportlich? Babbel: Ich habe zu einem ganz passablen Spiel gefunden, wir stehen ganz gut da hinten, zusammen mit Martin Stranzl (der von 1860 München zum VfB Stuttgart wechselte, Anm. d. Red.).

SZ: Wenn man davon ausgeht, dass Sie 1996 bei der Europameisterschaft auf der Höhe Ihrer Leistungsfähigkeit waren, wie weit sind Sie dann heute? Babbel: Zwischen 90 und 100 Prozent.

SZ: Trauen Sie Ihrer Mannschaft zu, dem FC Bayern München in dieser Saison den Kampf anzusagen? Babbel: Ich bin gewohnt, Titel zu gewinnen, in München wie in Liverpool. Diesen Anspruch habe ich auch hier. Der VfB ist eine Topmannschaft, wir sind eine Einheit und haben Spitzenspieler. Und in Zvonimir Saldo haben wir einen Führungsspieler, der den Laden zusammenhält. So einen habe ich selbst bei Bayern nicht erlebt. Werder ist letztes Jahr Meister und Pokalsieger geworden, und für mich sind die nicht besser als wir.

SZ: Nun ist Ihr alter Freund Jürgen Klinsmann Bundestrainer. Da liegt doch der Gedanke nahe, vielleicht wieder das Trikot mit dem Adler überzustreifen. Babbel: Im Moment bin ich total mit dem VfB beschäftigt. Aber die WM 2006 in Deutschland, das wäre schon etwas zum Karriere-Ende. Ich würde mir auch zutrauen, da mitzuspielen.

SZ: Das klingt ja ganz anders als früher. Sie hatten nach der verkorksten Europameisterschaft 2000 gesagt: Nationalmannschaft nein, danke, für immer. Babbel: Mich ärgert heute noch, dass ich nicht vor dem Turnier schon zurückgetreten bin. Da hat völlig der Spaß gefehlt, die Spieler haben überhaupt nicht zusammengepasst. Es war vorher schon klar, dass dieses Turnier in die Hose geht. Ich habe mich damals beschwatzen lassen, doch mitzumachen. Das war der einzige Fehler meiner Karriere.

SZ: Was hat Ihre Meinung bezüglich der Nationalmannschaft verändert? Babbel: Erst einmal: Ich bin dankbar, dass ich wieder kicken kann. Dann wäre ich stolz, wieder den Adler auf der Brust zu haben. Und vor allem glaube ich, dass jetzt die richtigen Leute am richtigen Platz sind, das ist klasse, es gibt wieder neue Ideen, frischen Wind. Jürgen ist ein absolut positiver Typ, er hat das Umfeld endlich verändert. Er ist überzeugt davon, dass in dieser Mannschaft Potenzial steckt, und das vertritt er absolut glaubwürdig. Es gibt keine Stinkstiefel mehr, und es wird alles für die Mannschaft getan, um den Erfolg zu ermöglichen. Schon unter Völler gab es Veränderungen, aber bei Jürgen sind sie noch krasser. Absolut richtig. Zum Beispiel, dass die Delegation nichts mehr beim Essen verloren hat. Früher musstest du aufpassen, was du sagst. Jetzt kannst du da 'reingehen und sagen, was du denkst. Das ist enorm wichtig.

SZ: Viele sagen nach einer schweren Krankheit, diese hätte ihr Leben völlig verändert. Wie ist das bei Ihnen? Babbel: Ich kann nicht behaupten, dass ich mein Leben radikal geändert habe. Es sind Kleinigkeiten, ich reagiere vielleicht viel relaxter. Ich nehme mich nicht mehr so wichtig, und ich muss nicht mehr zu allem meinem Senf dazu geben. Ich habe beispielsweise mal, als Ciriaco Sforza von Bayern nach Kaiserslautern wechselte, gesagt, viel Spaß mit dem. Was soll so eine Bemerkung? Der Mann hat mir nie was Böses getan.

SZ: Sie sind im Einklang mit sich selbst? Babbel: Ja, in jeder Hinsicht. Nach der Erkrankung habe ich teilweise auch den Frust in Alkohol ertränkt, ich habe nicht gerade professionell gelebt. Jetzt passt auch das Familiäre wieder, meine Einstellung zum Beruf stimmt wieder. Ich lebe wieder für den Fußball.

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