Interview mit Jupp Heynckes:"Seid ihr denn bekloppt?"

1978 muss Gladbach hoch gewinnen, um Meister zu werden - und siegt 12:0, zum Titel reicht es trotzdem nicht. Jupp Heynckes, damals fünffacher Torschütze, erinnert sich. Ein Schalke-Mutmach-Interview.

J. Aumüller

1977/78 kommt es zu einem der spannendsten Finals der Bundesliga-Geschichte. Vor dem letzten Spieltag sind Köln und Gladbach punktgleich auf den Plätzen eins und zwei, die Borussen haben aber das deutlich schlechtere Torverhältnis und müssen zweistellig gewinnen, um noch eine Chance auf den Titel zu haben. Das Verrückte ist: Sie schaffen es auch noch und siegen 12:0. Zur Meisterschaft reicht es aber nicht, weil Köln zeitgleich 5:0 gegen St. Pauli gewinnt. Jupp Heynckes, damals fünffacher Torschütze und heute Trainer von Bayer Leverkusen, erinnert sich in einem Gespräch mit sueddeutsche.de an dieses Spiel.

Jupp Heynckes; Imago

Jupp Heynckes während eines Europapokalspiels 1978.

(Foto: Foto: Imago)

sueddeutsche.de: Herr Heynckes, alle glauben, dass das Titelrennen entschieden ist. Wenn es in diesem Bundesliga-Geschäft einen Menschen gibt, der den Schalkern noch ein klitzeklitzekleines bisschen Mut machen kann, dann Sie!

Jupp Heynckes: Ich? Ach, Sie meinen wegen des letzten Spieltages in der Saison 1977/78 ...

sueddeutsche.de: Genau. Damals lagen Sie ja als Spieler mit Mönchengladbach vor dem letzten Spieltag auf Platz zwei und hatten zehn Tore Rückstand auf den Spitzenreiter 1. FC Köln - und gewannen dann immerhin 12:0 gegen Dortmund. Zur Meisterschaft reichte das zwar nicht, weil Köln 5:0 gewann, aber immerhin.

Heynckes: Das ganze Titelrennen in dieser Saison war besonders, weil der Trainer des 1. FC Köln Hennes Weisweiler hieß, der ja viele von uns vorher in Gladbach trainiert hatte. Dazu kamen dann das enge Torverhältnis und unser deutlicher Sieg am letzten Spieltag. 12:0 ist natürlich exorbitant, aber auf der einen Seite waren wir in sehr guter Form und auf der anderen Seite ging es für Dortmund um nichts.

sueddeutsche.de: Der Unterschied zu heute besteht darin, dass Sie punktgleich mit Köln waren und bei einem Kölner Patzer auch mit einem knappen Sieg hätten Meister werden können. Andererseits traf Köln auf den Tabellenletzten St. Pauli. Von daher war klar, dass der Titel allein bei einem hohen Sieg drin wäre.

Heynckes: Ja, so war es, und wir waren tatsächlich zuversichtlich. Wir Gladbacher hatten immer mal wieder ein Spiel, das wir hoch gewannen, 10:0 oder 11:0. Eine Woche zuvor hatten wir das Auswärtsspiel beim HSV 6:2 gewonnen und wir waren in einer Superform. Zum Torverhältnis kam hinzu, dass St. Pauli ins HSV-Stadion ging, die Kölner 20.000 Karten aufgekauft und gar kein richtiges Auswärtsspiel hatten. Es sprach schon alles gegen uns. Aber wir waren nicht nur überzeugt, dass wir gewinnen würden, sondern wir waren überzeugt, dass wir hoch gewinnen würden. Aber leider hat es ja nicht gereicht.

sueddeutsche.de: Ihre Mannschaft legte unwahrscheinlich los. Das 1:0 fiel bereits in der ersten Minute, nach einer knappen Viertelstunde stand es 3:0.

Heynckes: In diesem Moment ist der Hennes Weisweiler schon ziemlich nervös geworden, das hat er mir später auch gesagt. Die ganze Kölner Bank war erschrocken. Man weiß ja aus Erfahrung, wie schwer es in so einer Situation ist, auswärts ein Tor zu erzielen. Aber als Köln in Führung ging und die Führung auch ausbaute, schwächte die Nervosität natürlich etwas ab.

sueddeutsche.de: Das zweite Kölner Tor fiel aber erst irgendwann in der zweiten Hälfte. Zur Pause stand es bei Ihnen 6:0, während Köln gerade mal 1:0 führte. Was hat Trainer Udo Lattek in der Kabine gesagt?

Heynckes: Dasselbe, wie wir alle: dass wir weitermachen müssen, noch mal zulegen. Und das haben wir ja auch gemacht. Es ging in diesem Spiel immer Richtung Dortmunder Tor, das war Einbahnstraßenfußball.

sueddeutsche.de: Nach 66 Minuten waren sie ganz nah dran. Sie führten 9:0, Köln nur 2:0 - und die Ersatzspieler sollen Ihnen zugerufen haben "Nur noch drei"?

Heynckes: Nicht nur beim 9:0. Bei jedem Spielstand hat auf der Bank irgendeiner zwei oder drei Finger gezeigt, um zu zeigen, dass wir noch zwei oder drei Tore schießen müssen. Und ich habe immer gesagt: 'Seid ihr denn bekloppt? Wie viele Tore sollen wir denn noch machen?'

sueddeutsche.de: Am Ende haben nur drei gefehlt. Ihr damaliger Mitspieler Herbert Wimmer hat nach dem Spiel mal gesagt, er sei froh, dass er nicht Meister geworden sei, weil es ja ohnehin nur Spekulationen wegen Schiebung gegeben hätte. Schließen Sie sich dem an?

Heynckes: Das haben wir damals alle gesagt. Wie schon erwähnt, haben wir ja das eine oder andere Mal hoch gewonnen, aber mit so einem Sieg die Meisterschaft zu holen, das wäre doch eine sehr ungünstige Konstellation gewesen.

sueddeutsche.de: Sehen Sie es doch so: Bei einem Kölner Patzer und einem knappen Sieg Ihrer Elf hätten sie nur eine von vielen Meisterschaften gewonnen. So haben Sie ein 12:0 hingelegt, das wahrscheinlich für alle Zeiten in den Geschichtsbüchern stehen wird.

Heynckes: (lacht) Ja, so kann man das sehen. Für mich hatte das 12:0 auch noch eine besondere Bedeutung, weil ich danach meine Laufbahn aus Verletzungsgründen beendet habe, und es natürlich ein schönes Gefühl war, mit fünf Toren in einem Spiel die Karriere zu beenden.

sueddeutsche.de: Zum Schluss sind Sie aber jetzt gefordert. Ihre mutmachenden Worte an Schalke 04, bitte!

Heynckes: (lacht) Nein, tut mir leid, das ist unrealistisch. Die Berliner sind sicher in der Lage, Bayern zu schlagen, das ist der beste Absteiger, den es je gab. Aber Schalke spielt in Mainz und das ist natürlich sehr schwer, und da wissen die Schalker selbst, dass man keine Parallelen zu 1978 und dem 12:0 ziehen kann.

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