Interview mit Joachim Löw:"Wir wollen die Zukunft sehen"

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Bundestrainer Joachim Löw über seinen umstrittenen Kader, süffisante Bemerkungen aus Bremen und Dortmund sowie das Motto der DFB-Asienreise.

Christof Kneer

SZ: Herr Löw, wissen Sie schon, wie das Wetter in Shanghai ist?

Joachim Löw geht mit seiner Mannschaft auf eine nicht unumstrittene Asien-Reise. (Foto: Foto: dpa)

Löw: Es soll eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit herrschen, die Temperaturen liegen bei etwa 30 Grad. Und in Dubai soll's noch heißer sein. Das geht in Richtung 40 Grad.

SZ: Ganz ehrlich: Wenn Sie Fußballer wären und Sie hätten gerade eine anstrengende Saison hinter sich - würden Sie sich dann auf so eine Reise freuen?

Löw: Da kann ich Ihnen als Antwort nur das Beispiel Bastian Schweinsteiger liefern. Der muss einen kleinen Eingriff am Knie vornehmen lassen, aber er hat ihn extra auf den 4. Juni verschoben, damit er mit uns nach Asien fliegen kann. Medizinisch besteht kein Risiko.

SZ: Sie wollen damit sagen: Die Spieler freuen sich auf den langen Flug, die Zeitumstellung,das Länderspiel in Shanghai, den Flug nach Dubai, die nächste Zeitumstellung, das Länderspiel gegen die Arabischen Emirate?

Löw: Natürlich wird die Reise mit Strapazen verbunden sein, auch für den Bundestrainer übrigens. Ich kann im Flugzeug nicht besonders gut schlafen. Aber wir können diese Reise richtig einordnen. Wir repräsentieren den deutschen Fußball, und wir werden das Beste daraus machen. Ich kann versprechen, dass wir die Reise seriös angehen werden.

SZ: Kann man bei so einer Reise überhaupt vernünftig trainieren?

Löw: Was Inhalte und Intensität angeht, müssen wir flexibel sein. Wir werden wegen der Temperaturen abends trainieren, und ich werde darauf achten, wie die einzelnen Spieler die Reisestrapazen wegstecken. Und auch bei der Aufstellung werde ich darauf Rücksicht nehmen, wer gerade wie drauf ist.

SZ: Welche Erkenntnisse können Sie auf so einer Reise überhaupt sammeln?

Löw: Ich werde die Reise nutzen, um mit den Spielern mal wieder längere Gespräche zu führen, und bei den Spielern, die neu dabei sind, geht es darum, sich einen konkreten Eindruck zu verschaffen. Das ist für uns der Sinn dieser Reise: Spieler zu sehen, die Perspektive haben. Nach diesen Kriterien haben wir den Kader zusammengestellt.

SZ: Die Kaderzusammenstellung ist nicht von jedem verstanden worden, es gab spitze Bemerkungen aus der Liga.

Löw: Ich muss mich nicht rechtfertigen, aber ich kann es gern erklären. Wir haben bei unserer Auswahl klare Kriterien, keine Leistung geht an uns vorbei.

SZ: Bremens Manager Klaus Allofs hat kürzlich süffisant angemerkt, er wisse nicht, ob der Bundestrainer im Stadion gewesen sei, vielleicht sei ja wieder ein Spiel in Hoffenheim. Und Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hat in Bezug auf Sebastian Kehl gesagt: Der Bundestrainer sei ewig nicht mehr da gewesen, und es sei schwierig, Spieler zu nominieren, die man nur vom Hörsensagen kenne.

Löw: Jeder darf beruhigt davon ausgehen, dass uns nichts entgeht. Ich habe Unmengen von Spielen gesehen, ich kenne die Liga in- und auswendig. Es wird niemand im Ernst behaupten wollen, dass mir die Leistung eines Spielers in Dortmund entgeht, nur weil ich gerade in Stuttgart auf der Tribüne sitze.

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SZ: Das ist ja der Kern der Vorwürfe: dass Sie zu oft in Hoffenheim und Stuttgart sind und auch gerne Spieler von dort berufen - wie jetzt bei der Asienreise. Die Debütanten Cacau und Christian Träsch spielen beim VfB, Tobias Weis spielt in Hoffenheim und der Wolfsburger Christian Gentner wurde beim VfB ausgebildet. Ist das nicht wirklich auffällig?

Löw: Lassen Sie mich erst noch was zu dem Tribünen-Vorwurf sagen. Natürlich sitze ich auch mal im Westen oder im Norden auf der Tribüne, aber das Wichtigste ist, dass alle Kandidaten unter ständiger Beobachtung sind. Wir sind immer über die gesamte Republik verteilt, das sind nicht nur Hansi Flick oder ich, sondern auch Leute, die man in der Öffentlichkeit nicht so kennt. Manchmal wollen wir genau das: dass die Spieler nicht merken, dass einer vom DFB sie beobachtet.

SZ: Aber nochmal, ganz konkret: Warum gerade diese Spieler und warum nicht der Schalker Jermaine Jones oder Sebastian Kehl, der eine überragende Rückrunde hinter sich hat?

Löw: Weil ich auf dieser Position keine Vakanzen sehe. Im defensiven Mittelfeld haben wir Thomas Hitzlsperger und Simon Rolfes, mit denen ich in dieser Saison sehr zufrieden war, und wir haben Torsten Frings. Sebastian Kehl ist ein guter Spieler, aber wir haben auf dieser Position mit Christian Gentner und Sami Khedira, der gerade bei der U21 ist, auch noch interessante Perspektivspieler.

SZ: Khedira spielt in Stuttgart ...

Löw: Ja, aber die Vereinszugehörigkeit spielt da keine Rolle. Wir handeln nach unserem Anforderungsprofil, wir wissen, welchen Spielertypen wir wollen und wie er ausgebildet sein soll. Deshalb haben wir die Reise ganz bewusst unter das Motto gestellt: Wir wollen die Zukunft sehen. Wir wollten keinen mitnehmen, zu dem wir sagen müssen: Flieg ruhig mal mit, aber die große Perspektive hast du nicht bei uns.

SZ: Bei der letzten verbandspolitischen Reise, beim Confed Cup 1999 unter Erich Ribbeck, haben Spieler wie Heiko Gerber oder Ronald Maul debütiert, die später keine Rolle mehr gespielt haben.

Löw: Genau das wollten wir vermeiden. Wir wollen Spieler sehen, die uns auch nach der WM 2010 helfen können.

SZ: Mit anderen Worten: Kehl und Jones haben keine Perspektive?

Löw: Wie gesagt, ich sehe auf dieser Position keinen großen Bedarf. Gentner ist ein hervorragender Spieler, der in Wolfsburg eher links spielt, den ich aber zentral sehe. Und Khedira hat unglaubliches Potenzial. Er bringt Symmetrie ins Spiel, kann richtig gut Fußball spielen und ist auch noch torgefährlich. Spätestens nach der WM 2010 kommt Khediras Zeit, aber ich denke, dass er wie Christian Gentner schon vorher eine Rolle spielen kann. Und perspektivisch sehe ich auch Bastian Schweinsteiger nicht mehr auf dem Flügel, sondern eher zentral. Sie merken, das ist ein großes Angebot.

SZ: Wie verträgt sich die Nominierung von Tobias Weis, der eine schwache Rückrunde gespielt hat, mit Ihrem Bekenntnis zur Leistungsgesellschaft?

Löw: Auch bei ihm interessiert mich die Perspektive. Ich sehe ihn am ehesten als Dribbler auf der rechten offensiven Außenbahn, da haben wir außer Schweinsteiger kaum Kandidaten. Wir brauchen aber Spielertypen, die für diese Position ausgebildet sind. Deshalb interessiert uns auch Cacau, auch wenn er 28 ist. Er ist ein kombinationsstarker Stürmer, der gerne neben oder hinter einem Keilstürmer wie Klose oder Gomez spielt. In dieser Rolle hat er bei durchaus Perspektiven - auf Cacau bin ich gespannt, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es passt.

SZ: Und Christian Träsch, der Rechtsverteidiger aus Stuttgart? Ihn kennen wenige, er hat erst 20 Bundesligaspiele.

Löw: Natürlich waren viele überrascht und man kann über seine Nominierung sicher am ehesten diskutieren, weil man bei ihm nicht unbedingt sagen muss: Er ist A-Nationalspieler. Aber Andreas Beck fehlt uns im Moment ja wegen der U21-EM, und deswegen habe ich mich für Christian Träsch entschieden. Er hat sich im letzten halben Jahr extrem entwickelt, deshalb hat er den Vorzug vor dem Wolfsburger Sascha Riether erhalten. Das war eine knappe Entscheidung, und Riether ist auch nicht abgeschrieben.

SZ: Werden Sie Klaus Allofs oder Jürgen Klopp Ihren Kader auch erklären, wenn Sie die beiden mal sehen?

Löw: Ach, das würde ich nicht so hoch hängen. Und man kann an dieser Stelle ruhig mal an den Spruch von Jürgen Klopp erinnern, der vor einigen Wochen noch gesagt hat: Soll bloß keiner auf die Idee kommen, Spieler von uns auf die Asienreise mitzunehmen.

© SZ vom 26.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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