Interview mit Hans Meyer:"Jupp ist noch zu jung für die Rente"

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Mönchengladbachs Trainer Hans Meyer, 66, über den Wert von Erfahrung und Jürgen Klinsmanns größten Fehler.

Ulrich Hartmann und Philipp Selldorf

SZ: Herr Meyer, in dieser Woche meldete der Gladbacher Boulevard, dass Sie die Mission Klassenerhalt intern bereits als aussichtslos bezeichnet hätten.

Mönchengladbachs Trainer Hans Meyer trifft mit seiner Mannschaft auf eine Elf, die ebenfalls ein Trainer-Haudegen coacht - den FC Bayern. (Foto: Foto: ddp)

Meyer: Ich bitte Sie! Aber solche Geschichten gibt es leider permanent. Ich bin gerade angerufen und um einen Satz zur Situation in München gebeten worden. Der Anrufer hatte eine nette Stimme, da habe ich ihm einen Satz gesagt. Aber ein Satz ist bei mir halt lang. Ich habe gesagt: Wenn es so ist, dass sich - was ich nicht einschätzen kann - zwischen dem Jürgen Klinsmann und der Mannschaft so ein Spannungsfeld aufgebaut hat, dass sie alle froh sind, den anderen nicht mehr zu sehen, dann ist jeder Trainer, der kommt, ganz egal wer, ein Nachteil für uns. Wenn aber die Mannschaft seit ein paar Tagen in der Kabine sitzt und weint, weil der Jürgen gegangen ist, dann wäre es ein Riesenvorteil für uns.

SZ: Und was vermuten Sie?

Meyer: Warten Sie. Ich bin ja nicht in der Lage, das einzuschätzen, weil ich die internen Verhältnisse nicht kenne. Aber am Abend bin ich dann von jemandem angerufen worden, was ich denn da erzählt hätte, weil im Videotext stand: "Hans Meyer: Es ist ein großer Vorteil für uns, was in München passiert ist."

SZ: Wie sehen Sie die Lage in München denn tatsächlich? Oder interessiert Sie nicht, was beim Gegner passiert?

Meyer: Natürlich interessiert mich das. Aber es ist nichts, was mich nicht schlafen lässt. Ich sage es mal so: Für mich war das ganze Projekt aus Münchner Sicht ein richtiges Experiment. Man hat sich überzeugen lassen von einer Konzeption, von der allerdings die Hälfte nichts damit zu tun hatte, ob die Bayern am Saisonende Meister werden oder nicht. Es ist ja eigentlich selbstverständlich, dass der FC Bayern Möglichkeiten dafür schafft, dass sich die Mannschaft zwischen zwei Trainingseinheiten sinnvoll niederlassen, in Ruhe essen und ein Buch lesen kann. Da hat Jürgen Klinsmann versucht, ein paar Gedanken umzusetzen, die absolut lobenswert sind, aber wenn er zehn Jahre älter wäre, hätte er es gelassen.

SZ: Warum?

Meyer: Weil der Großteil der Jungs geprägt ist. Ein Beispiel: Du sprichst mit einem Spieler und fragst ihn: Du, ihr habt jetzt zwei Tage frei, was machst du, Wilhelm? Der heißt nicht Wilhelm, aber wir nennen ihn jetzt mal so. Wilhelm antwortet: "Meine Frau ist nicht da, ich werde mal essen gehen." Du wohnst doch in Düsseldorf, du kannst mal ins Theater gehen, ins Kino oder ins Kabarett. Dann sagt Wilhelm: "Och, nöö." Das interessiert ihn halt nicht so.

SZ: Typisch für Profifußballer?

Meyer: Ich will Ihnen was anderes erzählen: Während der ersten 13 Jahre meiner Tätigkeit, bei Carl Zeiss Jena, waren wir ständig im Ausland . In Kairo zum Beispiel oder in Baalbek im Libanongebirge. Da kommen jeden Tag Tausende Touristen hin, aus USA, aus Japan, die legen Tausende Dollar hin, um das mal zu sehen, die riesigen Steine, die Tempelreste. Ist eine Stunde von Beirut entfernt, interessant, sich das mal anzuschauen. Haben wir gemacht. Aber die meisten blieben provozierend im Bus sitzen, und der Roland Ducke, mein Bester, sagt: "Schon wieder Steene!" Steene ist auf Sächsisch Steine.

SZ: (lacht)

Meyer: Sie lachen. Aber ich, als junger Mensch, habe mich furchtbar aufgeregt, vielleicht mehr als Klinsmann. In Rom habe ich versucht, ihnen zu erklären, dass wir doch mal das Forum Romanum sehen sollten oder das Kolosseum. Oder als wir in Neapel waren: Pompeji. Vergiss es. Es macht keinen Sinn, Fußballer auf eine höhere Ebene zu heben, damit sie es auf dem Platz wiedergeben.

SZ: Das erinnert an eine Geschichte aus den Siebzigern. Eine britische Mannschaft ist in China. Sie können die chinesische Mauer besichtigen, damals noch ein seltenes Privileg. Doch der Kapitän sagt: "Warum sollen wir diese Mauer besichtigen? Wenn du eine Mauer gesehen hast, hast du alle gesehen."

Meyer: Das passt. In China war ich mal mit Twente Enschede. Drei Spieler sind die 50 Kilometer mit dem Taxi rübergefahren. Was Klinsmann da angedacht hat - ich fürchte, das ist den meisten Spielern lästig gewesen. Aber nicht falsch verstehen: Dass man der Kopfkomponente Bedeutung beimisst, ist vollkommen richtig.

SZ: Es gibt Parallelen zwischen Bayern und Mönchengladbach. Beide vertrauen Bundesliga-Neulingen Mitte 40 den Trainerposten an, Klinsmann und Jos Luhukay, und wechseln sie dann mangels Erfolg mitten in der Saison gegen ältere Modelle mit einschlägiger Erfahrung aus.

Meyer: Zufall. Auf jeden Fall kann die Presse nicht wie bei mir darauf zielen, dass der Jupp bei Misserfolg in Rente geschickt wird. Er ist noch zu jung dafür.

SZ: Heynckes ist 63, Sie sind 66 Jahre alt. Bekommen Sie tatsächlich Rente?

Meyer: Soll ich Ihnen verraten wie viel?

SZ: Wenn zwei so prominente Vereine diesen Umkehrschluss in der Trainerfrage ziehen, von jung und ambitioniert zu alt und erfahren - ist das dann ein Signal für den Trainerstand?

Meyer: Weiß ich nicht. Aber die Parallele gibt es sicher. Uli Hoeneß hat mit Jupp mehrere Jahre gut gearbeitet, ist mit ihm befreundet. Er hat gewusst, wer ihm bei diesen fünf Spielen helfen kann. Auch bei uns hat die Klubleitung die Situation so vertrackt gesehen, dass sie sich entschieden hat, einen Trainer zu holen, von dem sie weiß, wie er die Sache angeht.

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SZ: Heynckes muss in München nicht so viel verändern wie Sie in Gladbach.

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Meyer: Dem Jupp Heynckes muss keiner sagen, wie Luca Toni spielt. Das war bei mir etwas problematischer. Ein Alexander Baumjohann hatte ja bis zum Sommer nirgendwo gespielt. Der Jupp Heynckes mit seiner Erfahrung weiß, wenn er so einen Anruf bekommt, drei Minuten später, wen er auf welche Position setzt. Das ist auch notwendig, denn er hat nur fünf Spiele, und ich kam nach dem achten Spieltag, das ist schon ein Unterschied.

SZ: Der FC Bayern hat eine recht gut besetzte Mannschaft - Sie haben nach Ihrer Ankunft in Mönchengladbach schnell gesagt, der Kader müsse ergänzt werden.

Meyer: Aus Gladbacher Sicht sind die Sorgen der Bayern natürlich lächerlich. Wenn die fünf Spieltage vor Schluss die Reißleine ziehen, dann muss sie aber wirklich was gedrückt haben.

SZ: Sie haben im Frühjahr gut gespielt und schienen sich durch ein 4:1 gegen Hamburg und ein 4:2 in Köln zu befreien. Warum ist es danach wieder abgerissen?

Meyer: Die große Hypothek aus dem Herbst hat uns die ganze Zeit an den Beinen gehangen wie ein Klotz. Als wir uns in eine Situation gebracht hatten, wo man wieder hoffen konnte, fuhren die Spieler für zwei Wochen zu ihren Nationalmannschaften: Marin hat nur zwölf Minuten gegen Liechtenstein gespielt, Baumjohann zwei Mal mit der U21 verloren, Daems mit Belgien gegen Bosnien eine Klatsche gekriegt, Bradley war in Übersee. Danach machst du fünf Spiele, aus denen du nur zwei Punkte holst, dadurch ist diese herrliche Situation hin, die du dir schwer erarbeitet hast, während Karlsruhe und Cottbus wie Phoenix aus der Asche kommen. Wir haben eine zum Teil sehr junge Mannschaft, Marin, Baumjohann, Matmour und Bradley sind 22 und jünger, das ist für den Abstiegskampf nicht die allerbeste Voraussetzung. Jetzt sind wir wieder auf Resultate anderer angewiesen. Das ist immer Mist.

SZ: Nach dem 1:1 gegen Bielefeld wirkten Sie ganz besonders ernüchtert.

Meyer: Ich wüsste gern mal, was Ihr Euch so vorstellt, wie ein Trainer reagieren soll, wenn er weiß, wir sind eigentlich nicht mehr Vorletzter, sondern Letzter, denn Karlsruhe hat noch ein Heimspiel mehr. Wir sind letzten Sonntag nicht abgestiegen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist gestiegen. Aber resignieren? Ich habe noch nie resigniert!

SZ: In solchen Situationen bemühen andere Trainer Durchhalteparolen ...

Meyer: ... aber ich kann mich ja schlecht lächerlich machen. Kurz nach so einem Spiel hast du die Schnauze voll, was erwartet Ihr da von dem Verantwortlichen, dem Deppen? Was sollst du denn sagen an klugen Sachen? Und das kann mir am Sonntag schon wieder so gehen. Ich gehe nach dem Bayern-Spiel zum DSF-Doppelpass am Sonntagmittag. Wenn wir gegen die Bayern verlieren und vielleicht sogar Letzter sind, weiß ich doch, was ich da für ein Problem habe. Ich muss dann versuchen, drüber zu stehen, und Hans Meyer wird in dieser Situation für die Fans vielleicht wieder so rüberkommen, als ob ihm alles egal wäre, nur weil er zwischendurch nicht heult. Das ist genau das Problem: Du präsentierst dich dort, und an irgendeiner Stelle interpretiert immer irgendjemand irgendetwas hinein.

SZ: Was bringt dann so ein Auftritt?

Meyer: Vielleicht habe ich die Chance, dort was für unsere Fans zu tun, denn deren Zuversicht und Unterstützung werden wir in den letzten Spielen brauchen.

SZ: Oder Sie gewinnen in der Sitzrunde das Pointen-Duell gegen Udo Lattek.

Meyer: Das ist natürlich eine Riesenherausforderung.

SZ: Sie haben da womöglich bessere Gewinnchancen als Ihre Mannschaft zuvor in der Arena.

Meyer: Erstens ist die Situation in der Liga so, dass bislang schon viele Ergebnisse nicht vorherzusagen gewesen wären, und zweitens will sich die Mannschaft gut verkaufen, weil sie weiß: Wir werden doch von allen schon abgeschrieben.

SZ: Wie groß ist die Gefahr, dass München nach dem Trainerwechsel befreit aufspielt?

Meyer: Man weiß, dass man in so einer Situation mit großer Erleichterung bei dem einen oder anderen Spieler rechnen muss. Wir müssen so spielen, dass wir unser Gesicht wahren und damit unsere Chance für die restlichen Spiele.

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SZ: Man merkt Ihnen trotz Ihrer Neigung zum Zynismus an, dass Sie an Ihrer Arbeit nicht den Spaß verloren haben.

Meyer: Vor meinem Studium, bis zur erweiterten Oberschule, also bis zum Abitur, hatte ich viel, viel mehr Tage, an denen ich morgens gesagt habe, ich möchte eigentlich lieber im Bett bleiben. Wenn ich absolut keine Neigung hatte zu Latein oder Mathe oder was weiß ich - für mich war fast jedes Fach schwierig. Als Trainer, ich mache jetzt keinen Quatsch, gab es nicht einen einzigen Tag, an dem ich lieber zu Hause geblieben wäre.

SZ: Trotzdem bemängeln Sie zunehmend den zu großen Einfluss der Medien und den Verlust der inneren Einheit in der Mannschaft durch Einflüsse von außen. Sind sie pessimistischer geworden?

Meyer: Ich? Pessimistisch? Ich bin doch einer der ganz wenigen, die die Weltwirtschaftskrise negieren! Nein, ich ärgere mich manchmal sogar über meinen Realismus. Ich denke manchmal, ich könnte gefühlsmäßiger reagieren und wäre damit glücklicher.

SZ: Sie sind aber Kulturpessimist und beklagen den Verfall bestimmter Werte.

Meyer: Das stimmt! Ich habe vor einigen Dingen im Leben Angst, dass sie uns aus den Händen gleiten könnten. Wenn für ein paar Stunden ein Mobilfunknetz zusammenbricht und das zu einem Riesendrama aufgebauscht wird, ist das doch lächerlich. Aber wenn du beobachtest, was im technischen Bereich läuft und wie abhängig wir von einigen wenigen werden, wenn du siehst, wie in der Wirtschaft einzelne Scharlatane einen solchen Schaden anrichten, da kriege ich Angst.

SZ: Auch beim Fußball regen Sie sich häufiger über gewisse Dinge auf.

Meyer: Stimmt doch nicht. Ich habe immer noch jeden Tag richtig viel Spaß daran und sehe wahnsinnig gern einen taktischen Leckerbissen wie am Dienstag, als Chelsea in Barcelona aber noch altmodischer gespielt hat als der Meyer beim Rückrundenauftakt in Stuttgart.

SZ: Sie meinen das Spiel, in dem sie mit Galasek als Libero gespielt haben.

Meyer: Wisst Ihr was? Vielleicht spiele ich auch in München mit Dreierkette.

SZ: Ist das eine Finte?

Meyer: Nein. Aber das wollt Ihr doch auch nicht schreiben!?

SZ: Natürlich.

Meyer: Dann schreibt mal lieber, dass ich mit zwei Ausputzern spiele. Ich werde Beton anrühren wie Chelsea in Barcelona.

SZ: Gut ist, dass der gegnerische Trainer das Wort Ausputzer sogar versteht.

Meyer: Der Jupp ist neben mir sicher der Einzige, der das noch kennt.

SZ: Was ist überhaupt vom Duell zweier alter Trainer-Haudegen zu erwarten?

Meyer: Man muss abwarten, wer den moderneren Fußball spielt. Ich denke, dass man beim FC Bayern schon deutlich sehen wird, dass der Jupp noch drei Jahre jünger ist als ich.

SZ: Sie sind aktuell der älteste Bundesligatrainer - wie lange wird es den Trainer Hans Meyer noch geben?

Meyer: Ich denke, wenn wir den Klassenerhalt schaffen, werde ich noch ein Jahr in Mönchengladbach bleiben.

SZ: Und wenn Sie absteigen?

Meyer: Mit einem Hans Meyer, der abgestiegen ist, sollte man hier nicht weitermachen. Das kann man getrost vergessen.

SZ: Würden wir Sie als Trainer dann noch mal woanders wiedersehen?

Meyer: Wenn ein 70-jähriger Tscheche einen Job als österreichischer Nationaltrainer bekommt, dann müssten beim Hans Meyer die Angebote von Nationalmannschaften aus der ganzen Welt aber nur so reinhageln.

© SZ vom 02.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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