Interview mit DFB-Chef Zwanziger:"Ich fühle mich nicht als Täter"

DFB-Chef Theo Zwanziger bezieht Stellung zu seiner Auseinandersetzung mit einem freien Journalisten um den "Demagogen"-Vorwurf. Ein Gespräch über Meinungsfreiheit und Konfliktkultur.

Christopher Keil

Am 25. Juli schrieb der freie Sportjournalist Jens Weinreich, 43, in dem öffentlichen Internet-Blog "Direkter Freistoss" über Theo Zwanziger, den Präsidenten des Deutschen Fußbal-Bundes (DFB): "Ich (habe) schon viele Auftritte von Sportfunktionären erlebt, aber dieser von Zwanziger war einer der schlimmsten in der nach unten offenen Peinlichkeitsskala. Er dreht nach der Kartellamtsentscheidung völlig durch. Er ist ein unglaublicher Demagoge. Schuld an allen Problemen des Fußballs, des DFB im allgemeinen und der DFL im besonderen ist einzig und allein das Bosman-Urteil - das, behauptete Zwanziger fast wörtlich mehrfach. Es ist das alte Lied, wenn er sagt: ,Die Spezifika des Sports hat man in der europäischen Entwicklung schlicht und einfach nicht gesehen und verschlafen.' Es ist das Lied derer, die die Kosten vergesellschaftlichen und die Gewinne privatisieren. Derer, die nach Autonomie schreien, wenn es Vergehen von Funktionären zu vertuschen gilt, die aber immer nach Sonderregeln und Ausnahmegesetzen schreien, wenn ihr Milliardengeschäft an ganz normalen Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten gemessen wird."

Interview mit DFB-Chef Zwanziger: Theo Zwanziger vertritt die Meinung, dass er verunglimpft wurde.

Theo Zwanziger vertritt die Meinung, dass er verunglimpft wurde.

(Foto: Foto: ddp)

Zweimal versuchte Zwanziger im September und Oktober, Weinreich gerichtlich verbieten zu lassen, ihn als Demagoge zu bezeichnen. Der 63-Jährige sieht sich in seiner Ehre verletzt. Am 14. November veröffentlichte der DFB eine sehr ausführliche Pressemitteilung, in der ausgedrückt wird, dass der DFB die Einlassungen Weinreichs als "Diffamierung" empfinde und scharf missbillige. Dass Zwanziger mit seinen Einstweiligen Verfügungen scheiterte, wird verschwiegen, dafür behauptet, Weinreich habe nun auf eine Klageandrohung hin eingelenkt. Der Journalist, der auch für die "Süddeutsche Zeitung" schreibt und der den gesamten Fall in seinem Blog (www.jensweinreich.de) dokumentiert hat, bestreitet das und wirft dem DFB Wahrheitsbeugung, Irreführung und Lüge vor. Ein Gespräch mit DFB-Präsident Zwanziger über Meinungsfreiheit, Demagogen und Konfliktkultur.

SZ: Herr Zwanziger, warum verschweigt der DFB in einer aktuellen Pressemitteilung zum Streit mit dem freien Journalisten Jens Weinreich, dass Sie bisher gerichtlich zweimal gegen Weinreich verloren haben?

Theo Zwanziger: Wir hatten einstweilige Verfügungsverfahren. Das sind vorläufige Verfahren, die sich nicht mit dem Gesamtsachverhalt ausreichend beschäftigt haben. Dafür sind Hauptsacheverfahren zuständig, ein Urteil ergeht dann nur nach Klage und einer mündlichen Verhandlung. Folglich haben wir bisher kein Urteil, sondern eine vorläufige Beurteilung. Wir haben auch nicht sofort geklagt, wie behauptet wird, wir haben den Journalisten zur Unterlassung aufgefordert und ihn gebeten, das nicht weiter zu behaupten.

SZ: Die Richter waren der Meinung, der Journalist habe Sie unter Wahrnehmung seines Rechtes auf freie Meinungsäußerung als "unglaublichen Demagogen" bezeichnet, er habe Sie folglich nicht diffamiert, wie der DFB verbreitet hat.

Zwanziger: Ich sehe die Äußerung des Journalisten als ehrverletzend an, also mache ich Gebrauch von den rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die Angelegenheit zu klären. Wenn Weinreich nun den Begriff "Demagoge" anders wertet als ich . . .

SZ: Wie haben Sie es gewertet?

Zwanziger: Mit Demagoge ist Volksverhetzer verbunden und damit auch eine Nähe zum Nationalsozialismus.

SZ: Aber den Zusammenhang kann man wirklich nicht herstellen, wenn man den Blog-Eintrag liest.

Zwanziger: Deshalb habe ich auch sofort gesagt, die Sache hat sich erledigt, als mich unser Vizepräsident Rainer Koch auf eine Internetdarstellung von Herrn Weinreich aufmerksam machte, aus der hervorging, dass er mit dem Begriff "Demagoge" nicht das gleiche Verständnis wie ich hatte. Und dies hat dann sein Anwalt uns gegenüber nochmals klargestellt. Damit war für mich der Vorgang beendet, deshalb haben wir auch keine Unterlassungsklage erhoben.

SZ: Sie planten aber doch, mit der Unterlassungsklage nach Koblenz zu gehen, wo Sie ein paar Jahre als Verwaltungsrichter und Regierungspräsident tätig waren?

Zwanziger: Das ist das Interessanteste an diesem Fall: Unabhängigkeit von Richtern, ist wohl davon abhängig, wo jemand wohnt . . . Oh nein. Eine Unterlassungsklage kann an mehreren Gerichtsständen eingereicht werden. Dort findet dann eine mündliche Verhandlung statt. Also gehe ich entweder an das zuständige Gericht meines Wohnortes, das ist Koblenz, oder ich gehe nach Frankfurt, wo der DFB seinen Dienstsitz hat. Ich bin aber bereit, auch an jedes andere Gericht zu gehen. Ich fände es unglaublich, wenn mir unterstellt würde, ich suchte mir ein Gericht aus, das mir gefällig ist. Wer so die Unabhängigkeit von Richtern in Zweifel zieht, stellt sich selbst ins Abseits.

SZ: Sie sind in Koblenz ein bekannter Mann, man könnte das möglicherweise als ein günstiges Umfeld für Sie bezeichnen. So deutete es der Anwalt Weinreichs in einem Schreiben an Sie an.

Zwanziger: Ich weiß nicht, wie die Anwaltskammer über die Äußerung des Anwalts von Herrn Weinreich denken würde. Ich habe doch als Kläger die Chance, das Gericht auszuwählen, wenn dies rechtlich zulässig ist. Und wenn es eine mündliche Verhandlung gibt, gehe ich doch zu dem Gericht, das ich schnell erreichen kann. Was für eine Geisteshaltung ist das eigentlich, ohne die Richter zu kennen, ihnen zu unterstellen, in Koblenz gäbe es ein gefälliges Urteil für mich?

"Ich fühle mich nicht als Täter"

SZ: Der DFB erweckt den Eindruck, Weinreich habe sich aktiv am 12. November von dem Eindruck distanziert, er habe Demagoge in dem von Ihnen zunächst angenommen Sinn geschrieben. Tatsächlich wurde der Anwalt des Journalisten aufgefordert, sein Mandant solle sich äußern, andernfalls komme es zu einer Unterlassungsklage. Weinreich dokumentiert in seinem Blog: "Wir haben dem DFB die Absurdität der Forderungen, die der DFB-Präsident erhoben hat, deutlich gemacht." Das ist kein Zurückrudern oder sich distanzieren.

Interview mit DFB-Chef Zwanziger: Theo Zwanziger (ganz links) bei einem Spiel der Fußball-Europameisterschaft.

Theo Zwanziger (ganz links) bei einem Spiel der Fußball-Europameisterschaft.

(Foto: Foto: ddp)

Zwanziger: Warum hat er es nur in seinem Blog geschrieben, warum hat er mir nicht eine Abschrift zugeschickt und uns erläutert, wie sein Verständnis von Demagoge war? Für uns war erst das Schreiben seines Anwalts vom 12. November ausreichend.

SZ: Warum eskalierte so ein vergleichsweise harmloser Meinungsstreit zum Thema Zukunft des Sportes und des Fußballs? Der Deutsche Journalisten-Verband und der Verband Deutscher Sportjournalisten fordern den DFB inzwischen auf, den Dissens mit Weinreich beizulegen. Der Journalist müsse sich nicht öffentlich anprangern lassen.

Zwanziger: Zur Eskalation müssen Sie Herrn Weinreich fragen. Es scheint mir so, als würden Ursache und Wirkung verwechselt.

SZ: Sie haben sofort die Gerichte bemüht.

Zwanziger: Das heißt, der, der klagt ist Täter?

SZ: Der Kläger wählt jedenfalls die Mittel der Auseinandersetzung, das Gespräch haben Sie nicht gesucht.

Zwanziger: Ich fühle mich nicht als Täter. Ich bin beleidigt und verunglimpft worden und kann von dem, der das getan hat, eine Klarstellung erwarten.

SZ: Der Journalist hat seine Meinung geäußert. Ist er Täter?

Zwanziger: Meinung zu äußern, ist in Ordnung. Aber wenn die Meinung an Grenzen heranreicht, die die persönliche Ehre verletzen können, dann ist das nicht in Ordnung.

SZ: Die Richter haben doch festgestellt, dass es sich um Meinungsäußerungen handelte.

Zwanziger: Noch einmal: Es ist kein Klageverfahren. Ich habe alle Möglichkeiten, das Verfahren zu überprüfen.

SZ: Mit welchen Chancen? Sie haben den Moderator einer Podiumsdiskussion Anfang November in Gießen gemaßregelt: Er stelle "demagogische Fragen".

Zwanziger: Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe. Es gibt viele, die anwesend waren und gesagt haben: Nein.

SZ: Der Gießener Anzeiger hat sie so zitiert, und der Moderator soll bereit sein, an Eides statt zu erklären, dass Sie sich so geäußert haben.

Zwanziger: Die anderen drei Personen, die auf dem Podium saßen, versichern mir das Gegenteil, und im Übrigen hat sich der Chefredakteur des Gießener Anzeigers wegen der Berichterstattung seiner Redaktion bei mir entschuldigt. Hätte Herr Weinreich geschrieben, der Zwanziger hatte einen "demagogischen Auftritt", hätte ich dem keine Bedeutung beigemessen.

SZ: Sie können sich nicht mehr erinnern?

Zwanziger: Nein, und weil ich nicht sicher war, habe ich den Moderator angerufen, weil es ja sein konnte, dass ich einen Menschen verletzt habe. Und das will ich nicht.

SZ: Wenn Sie "Demagoge" grundsätzlich so verletzt, wie sie verletzt waren, wieso können Sie dann nicht ausschließen, dass "demagogisch" nicht zu Ihrem Wortschatz zählt?

Zwanziger: Für meine Person schließe ich es aus. Ich kann es nur nicht beweisen. Ich habe gefragt, ob es ein Tonband gab? Gab es nicht. Es gibt unterschiedliche Aussagen dazu, und dann unterstelle ich nicht das für mich Günstige, sondern unterstelle, dass ich einem anderen vielleicht Unrecht getan habe, deshalb habe ich zum Telefon gegriffen. Und der Betroffene hat mir gesagt, die Sache sei ausgeräumt. So hätte ich es mir auch von Herrn Weinreich gewünscht. Denn bereits in unserer Unterlassungsaufforderung vom 18. August konnte er klar erkennen, dass der nationalsozialistische Zusammenhang für mein Empfinden eine große Bedeutung hat. Respekt ist keine Einbahnstraße.

SZ: Der Journalist hat doch nicht per se keinen Respekt vor Menschen, zu denen er eine Meinung hat.

Zwanziger: Die Beantwortung der Frage, ob Demagoge unter die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit fällt und keine Ehrkränkung darstellt, hängt nach ständiger Rechtssprechung - auch des Bundesverfassungsgerichtes - unter anderem davon ab, ob es einen öffentlichen Meinungsstreit gegeben hat, der dies rechtfertigt. Es ist in dieser Sache überhaupt nicht herausgearbeitet worden, was der Anlass dafür war, dass ich mich als Demagoge bezeichnen lassen musste.

"Ich fühle mich nicht als Täter"

SZ: Es gab einen Kongress des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Berlin, Sie haben dort Position bezogen, der Journalist hat gewertet.

Zwanziger: Das hätte ich gerne in einer mündlichen Verhandlung erläutert. Denn meine in Berlin geäußerte sportpolitische Meinung entspricht exakt der Auffassung unserer Bundesregierung, wie mir der Bundesinnenminister gerade heute schriftlich bestätigt hat. Die Bundesregierung sieht in der Sache den gleichen Handlungsbedarf wie wir.

SZ: DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach behauptet, Weinreich habe sich in einem anonymen Blog geäußert. Der Blog war aber nicht anonym.

Zwanziger: Das sind zwei getrennte Fälle. Im einen geht es um Ehrverletzung, im anderen äußern sich Repräsentanten des DFB. Aber für meine Präsidiumskollegen gilt auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wolfgang Niersbach hat nicht gesagt, dass sich Herr Weinreich anonym in einem Blog äußert, sondern wollte abstrakt zum Ausdruck bringen, dass sich in Internetblogs zahllose User - vielfach unter Pseudonym - an Debatten beteiligen, deren Verfasser nicht mehr direkt, sondern nur noch durch Teilnahme an der Blogdiskussion ansprechbar sind.

SZ: Niersbach behauptet auch, Weinreich habe die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten, obwohl die Richter das Gegenteil feststellten.

Zwanziger: Die Ablehnung ist nur vorläufig. Die Presseerklärung ist eine Entgegnung, wir hatten uns vorher nicht geäußert. Der DFB darf doch auch sagen, was er von einer Sache hält.

SZ: Aber er unterschlägt Tatsachen.

Zwanziger: Wir haben nie verschwiegen, dass es einstweilige Verfügungen gab. Diese Tatsache war doch ohnehin durch die ausführliche Dokumentation von Herrn Weinreich bekannt.

SZ: Sollten die Maßstäbe, die Sie für sich reklamieren, nicht auch für Journalisten gelten?

Zwanziger: Gelten sie auch, wenn die Journalisten nicht unqualifiziert polemisieren.

SZ: Sie sind als DFB-Präsident für die Presseerklärung organverantwortlich.

Zwanziger: Der DFB hat einen Präsidenten, und die Kollegen des DFB halten die Beurteilung, die über mich in dem Blog verfasst wurde, für absolut ungerecht, unabhängig, ob sie von der Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht. Für dieses Zeichen der Solidarität war und bin ich dankbar. Oder gilt das Recht auf Meinungsfreiheit nur für Herrn Weinreich und nicht für uns?

SZ: Niersbach unterstellt außerdem eine einseitige Berichterstattung. Ist die Pressemitteilung nicht einseitig?

Zwanziger: Unsere Position dazu habe ich gerade erläutert. Diese Pressemitteilung weist unhaltbare Verdrehungen zurück und hat nicht die Aufgabe, den gesamten Vorgang chronologisch aufzuarbeiten.

SZ: Müssen Sie nicht fürchten, dass der Eindruck entsteht, eine mächtige Organisation möchte einen einzelnen an seiner wirtschaftlichen Basis diskreditieren?

Zwanziger: Nein, ich würde niemals jemandem, mit dem ich Differenzen habe, wirtschaftlich schaden wollen. Der eine Teil der ganzen Auseinandersetzung ist der, den ich persönlich mit Herrn Weinreich auszufechten habe. Der andere Teil betrifft die Pressemitteilung des DFB. Meine Kollegen des Präsidiums waren loyal. Sie können das gerne mal mit unserem Vizepräsidenten Rainer Koch diskutieren.

SZ: Warum gab es dann einen Email-Verteilerkreis für die Presseerklärung des DFB, der über 100 Personen umfasste, darunter sehr viele Entscheider des deutschen Sports? Weinreichs Spezialgebiet ist die Sportpolitik. Kam Ihnen nie der Gedanke, der DFB könnte einen Journalisten in seinem typischen Arbeitsumfeld schädigen?

Zwanziger: Nein, wirklich nicht. Ein solcher Eindruck darf nicht entstehen, das ist nicht meine Absicht und nicht die meiner Kollegen. Der zusätzliche Verteiler für die Pressemitteilung ist ein Kreis von Personen, die mich kennen, die mir nahe stehen oder mit denen ich in unseren Gremien arbeite. Sie hatten auch Anspruch darauf, nicht nur über das Internet von Herrn Weinreich informiert zu werden.

SZ: Tragen Sie die Prozesskosten selbst?

Zwanziger: Wenn ich verliere und die Rechtsschutzversicherung nicht zahlt, werde ich eine entsprechende Spende für gemeinnützige Zwecke machen.

SZ: Sie haben zweimal verloren.

Zwanziger: Damit schließt sich der Kreis und wir sind am Anfang unseres Interviews. Eins ist klar: Wenn die Versicherungsfrage geklärt ist, wird dem DFB kein Schaden entstehen.

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