Interview:"Das ist kein schwieriger Fall - sondern ein eindeutiger"

Der Chef des französischen Anti-Doping-Labors über die Echtheit der Armstrong-Proben und die Recherchen von L'Équipe.

Jacques de Ceaurriz, 56, leitet das französische Anti-Doping-Labor in Châtenay-Malabry bei Paris seit 1997. Sein Institut entwickelte im Jahr 2000 ein Testverfahren, das den Nachweis von Blutdoping mit Erythropoetin (Epo) erbrachte; der Test wurde bei den Olympischen Spielen in Sydney erstmals eingesetzt. Nun hat De Ceaurriz mit seinen Mitarbeitern offenbar ein verfeinertes Verfahren entwickelt, das Lance Armstrong als Dopingsünder entlarvt hat.

Lance Armstrong

Der Verdacht war Armstrongs ständiger Begleiter.

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Monsieur de Ceaurriz, wie sind Sie an die Proben gekommen?

Jacques de Ceaurriz: Seit 1998 werden die Proben von allen getesteten Fahrern am Abend der Touretappe zu unserem Labor geschickt. Am Ende jeder Tour liegen unserem Labor dann ungefähr 200 Dopingproben vor. Wir haben jetzt die Proben der Touren von 1998 und 1999 untersucht, insgesamt etwa 150 Proben. Mehr waren nach all den Jahren nicht mehr übrig.

SZ: War es jeweils die erste Analyse der Proben?

De Ceaurriz: Nein, die Proben sind schon mehrmals untersucht worden, erstmals direkt nach den Touren von 1998 und 1999. Damals gab es aber noch keine Epo-Tests - man konnte demnach kein Epo finden. Im Jahr 2000 hat man sich dann mit neuen Testmethoden nochmal die 98er-Proben vorgenommen - wieder ohne Ergebnis. Nun haben wir - in Zusammenarbeit mit der Wada (Welt-Antidoping-Agentur; d. Red.) - erneut die 98er und 99er Proben analysiert.

SZ: Warum?

De Ceaurriz: Die Wada wollte wissen, ob die Sportler ihre Dopingmethoden in den vergangenen Jahren verändert haben. Sie vermutete auch, dass die Fahrer im Training stärkere Dosen nehmen und diese dann im Rennen nur noch auffrischen. Wir sollten herausfinden, ob diese geringen Dosen während des Rennens noch zu entdecken sind. Die Überlegung, die dahinter steckt, ist die: Wenn die Dosen während des Rennens wirklich so gering sind, muss man dann nicht die Kriterien, ab wann ein Fahrer gedopt ist, verändern?

SZ: Wie sind Sie vorgegangen?

De Ceaurriz: Wir haben bei klinischen Untersuchungen mit Nierenkranken einen mathematischen Test entwickelt, wie man auch noch so geringe Mengen körperfremden Epos entdecken kann. An den Proben von 1998/1999 haben wir das neue mathematische Modell getestet.

"Das ist kein schwieriger Fall – sondern ein eindeutiger"

SZ: Es gab zwölf positive Proben. Waren die ausschließlich von 1999?

Jacques de Ceaurriz

Jacques de Ceaurriz entlarvte Armstrong.

(Foto: Foto: AFP)

De Ceaurriz: Ja, doch die veröffentlichten Fakten sind nur ein Teil der wissenschaftlichen Informationen, die wir an die Wada weitergegeben haben. Es gibt auch positive Proben aus dem Jahr 1998. Von 1999 haben wir etwa 80 Proben untersucht - davon waren zwölf positiv. Von 1998 wurden rund 70 untersucht - und davon waren 40 positiv. Das bedeutet aber nicht, dass 40 verschiedene Fahrer gedopt waren. Es kann auch nur einen kleinen Teil des Feldes betreffen.

SZ: Wie hoch war der Epo-Anteil in Armstrongs Positivproben, können Sie sicher von körperfremdem Epo ausgehen?

De Ceaurriz: Der Test misst keine Epo-Mengen, sondern er kann synthetisches - also körperfremdes Epo - aufspüren. Alle Positivproben weisen jetzt sichere Spuren von körperfremdem Epo auf.

SZ: Nach so vielen Tests an den Proben - hatten Sie da überhaupt noch ausreichend Urin für ihre Versuche übrig?

De Ceaurriz: Natürlich wird die vorhandene Menge an Urin nach jeder Untersuchung geringer. Aber es war noch genügend vorhanden für die Tests - und es ist auch immer noch welcher vorhanden.

SZ: Also könnte man von den Resten der Positiv-Proben von 1999 theoretisch eine DNA-Analyse erstellen - etwa für ein Gerichtsverfahren - um zu beweisen, dass es sich zweifelsfrei um Lance Armstrongs Proben handelt?

De Ceaurriz: Bei den allermeisten könnte man das, ja sicher.

SZ: Viele fragen sich: Wieso kommen die Ergebnisse erst jetzt ans Licht?

De Ceaurriz: Die Wada ist erst 2004 mit ihrer Anfrage auf uns zugekommen. Eigentlich sind diese Ergebnisse nur ein Teil einer größeren wissenschaftlichen Untersuchung. Als unsere Tests abgeschlossen waren, haben wir die Unterlagen sofort an die Wada weitergeleitet. Das war am Montag, den 22. August 2005, vor wenigen Tagen also.

"Das ist kein schwieriger Fall – sondern ein eindeutiger"

SZ: Wie konnte die L'Équipe denn die Code-Nummern so schnell einem Namen zuordnen?

De Ceaurriz: Weiß ich nicht. Unser Labor behandelt Proben anonym, wir kannten also keine Namen.

SZ: Waren sie von den spektakulären Recherchen der Zeitung überrascht?

De Ceaurriz: Ich wusste nur, dass sich verschiedene Medien frühzeitig dahinter geklemmt hatten, nicht nur die L'Équipe. Die haben von irgendwo einen Wink erhalten, dass unser Labor Untersuchungen zur Tour 1998 und 1999 macht. Ich war also nicht wirklich überrascht.

SZ: Kann man denn den Ergebnissen der L'Équipe trauen ?

De Ceaurriz: Ich denke, man kann ihnen absolut vertrauen. Sie haben alles getan, um Beweise zu erbringen.

SZ: Wo werden die Kontrollprotokolle archiviert, mit denen die Zeitung die positiven Proben von Lance Armstrong verglichen hat?

De Ceaurriz: Die liegen zum Beispiel bei der UCI, dem Internationalen Radsportverband.

"Das ist kein schwieriger Fall – sondern ein eindeutiger"

SZ: Die Wada und die UCI äußern sich jedoch nur zögerlich zu diesem Fall.

De Ceaurriz: Solche Organisationen lassen sich eben oft Zeit zum Nachdenken. Ich glaube, sie werden sich konkret äußern, sobald sie es für richtig befinden. Man darf nicht vergessen, dass unsere Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Wada vorgenommen wurde. Sie besitzt jetzt die Ergebnisse - und damit alle Elemente, um darüber zu urteilen.

SZ: Haben Sie Vertrauen, dass diese Organisationen Ihre Resultate angemessen bewerten werden?

De Ceaurriz: Nun, dieser Fall zeigt zumindest, dass deren bestehende Dopingkontrollen absolut nichts nützen - denn die Sportler können nur in einem sehr begrenzten juristischen Rahmen bestraft werden. Man müsste diesen juristischen Rahmen öffnen, damit der Anti-Doping-Kampf repressiver werden kann. Wir brauchen nicht nur punktuelle Strafen wie bisher, sondern Strafen, die wirklich abschreckend sind - darum müssten sich die Wada und die UCI kümmern.

SZ: Haben Sie Angst vor den Juristen, vor Armstrongs Anwälten?

De Ceaurriz: Hören Sie, unser Labor hatte eine bestimmte Information, die wir den Behörden weitergegeben haben. Das Labor hat die Infos nicht direkt an die Presse weitergegeben - das Labor hat die Anonymität der Proben respektiert. Wir haben niemals die Kontrollprotokolle mit den Namen gesehen.

SZ: Haben Sie Anwälte eingeschaltet?

De Ceaurriz: Wir beschäftigen ab und an welche, wenn wir sie brauchen. Bei schwierigen Fällen.

SZ: Wie diesem hier?

De Ceaurriz: Das ist doch kein schwieriger Fall, sondern ein eindeutiger mit klaren Fakten. Wir haben hier wirklich schon Schlimmeres erlebt, etwa vor der WM 1998, als wir bei französischen und internationalen Fußballern Nandrolon gefunden haben.

SZ: Sie bewegen sich also häufig in einem Metier des Betruges.

De Ceaurriz: Ja, aber leider sind diese Ergebnisse hier wohl für die aktuelle Sportgerichtsbarkeit nicht nutzbar.

Interview: Stéphanie Souron und Andreas Burkert

(SZ vom 26.8.2005)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: