Internationales Olympisches Komitee:Schlupflöcher für Russland

Internationales Olympisches Komitee: Mächtiger Türöffner: IOC-Präsident Thomas Bach schürt nach dem Treffen in Lausanne Hoffnung auf russische Olympiaerlebnisse.

Mächtiger Türöffner: IOC-Präsident Thomas Bach schürt nach dem Treffen in Lausanne Hoffnung auf russische Olympiaerlebnisse.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Das IOC verzichtet auf einen Gesamtausschluss und kommt Moskau in vielen Punkte entgegen. Wegen der Sanktionierung seiner Leichtathleten kündigt das russische NOK Klagen vor dem Sportgerichtshof an.

Von Johannes Aumüller

Eine Stunde lang war Thomas Bach um einen ernsten Vortrag und die passende ernste Miene bemüht, wie es sich gehört für einen, der große Strenge im Anti-Doping-Kampf vorgeben möchte. Aber am Ende der Pressekonferenz in Lausanne fing der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) dann doch das Lachen an. Aus dem Auditorium kam die Frage, ob er in den vergangenen Tagen in einem persönlichen oder telefonischen Kontakt mit Russlands Präsident Wladimir Putin gestanden habe. Bach sagte also: "Nein, und diese Spekulation erzeugt eh ein Lachen in meinem Gesicht."

Bach will also nicht direkt mit Putin geredet haben, zu dem er seit seiner Wahl 2013 und seit den Spielen in Sotschi 2014 ein bekannt gutes Verhältnis hat. Aber das von Doping offenkundig durchzogene Sportrussland konnte auch ohne bilaterale Kommunikation der beiden obersten Herren zufrieden sein mit den in Lausanne präsentierten Ergebnissen des "Olympic Summit". Dieses von Bach geleitete Gremium aus ausgewählten olympischen Funktionären hat in der Ringe-Welt zwar keine formalen Entscheidungskompetenzen, seine Deklaration darf aber vorerst als Regierungserklärung des IOC gelten. Am wichtigsten dabei für Russland: Ein in den vergangenen Tagen immer wieder diskutierter Komplett-Ausschluss des russischen Teams von den Sommerspielen in Rio ist vom Tisch - egal, was bis zu den Spielen noch an Dopingschmutz auftaucht.

Auch in vielen anderen Punkten kam der Summit Russlands Interessen sehr entgegen. Am Freitag hatte der internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) die Suspendierung des russischen Verbandes verlängert und das Olympia-Aus der russischen Leichtathleten besiegelt. Eine Expertengruppe dokumentierte in einem Bericht, dass sich an der tief wurzelnden Betrugskultur und der Toleranz dafür nichts verändert habe. Nun bekundete Bach zwar, er respektiere die Entscheidung der IAAF, aber es sei das gute Recht eines jeden, vor den Internationalen Sportgerichtshof (Cas) zu ziehen. Prompt kündigte Alexander Schukow, Chef des russischen olympischen Komitees (NOK), diesen Schritt an, noch während Bach seine Pressekonferenz abhielt.

Der Start russischer wie auch kenianischer Athleten hängt nun an Tests der Weltverbände

"Russische Athleten, die niemals gegen Anti-Doping-Regeln verstoßen haben, werden sich wie der Leichtathletikverband an den Cas wenden, um die eigenen Interessen zu schützen und die Interessen von anderen sauberen Athleten", sagte Schukow. Das russische NOK werde diese Klagen unterstützen, "um russische Athleten vor einer Diskriminierung zu schützen". Zwar gab es erst kürzlich einen ähnlichen Fall, als der Cas einen kollektiven Olympia-Ausschluss aller bulgarischen Gewichtheber durch deren Weltverband bestätigte. Aber nun bleibt abzuwarten, wie der umstrittene Gerichtshof in Russlands Fall urteilt. Russischen Leichtathleten, die sich außerhalb des eigenen Landes auf Doping testen ließen, will das IOC ohnehin den Olympiastart erlauben. Und wie viele russische Sportler es am Ende dieser sportpolitischen Ränkespiele auch sein mögen - sie dürfen in jedem Fall unter russischer Flagge starten. Die IAAF hatte zuvor dafür plädiert, etwaige russische Einzelstarter unter einer neutralen Fahne zu versammeln. Aber Bach verwies darauf, dass das russische NOK nicht suspendiert und der Start unter russischem Banner daher möglich sei. Russland gab sich zufrieden: "Wir werden alles machen, was das IOC uns sagt", sagte Sportminister Witalij Mutko.

Daneben teilte Bach mit, dass russische und kenianische Athleten in allen Sportarten nur nach einer speziellen Prüfung durch die internationalen Verbände an den Start gehen könnten. Die Kenianer erhielten diese Auflage, weil auch ihre nationale Anti-Doping-Agentur nicht den Standards entspricht. Zur Prüfung zählten auch unabhängige internationale Tests. Große Sorgen muss das den Athleten nicht machen.

Entweder waren sie bisher schon Teil internationaler Testpools; waren sie es nicht, wissen sie jetzt, was auf sie zukommt. Potenzielle Doper haben ihre wichtigste Einnehmphase ohnehin hinter sich. In jedem Fall ist es schwer vorstellbar, wie internationale Fachverbände in kurzer Zeit so eine Prüfung seriös bewerkstelligen sollen.

Bemerkenswert war zudem, dass Bach mehrfach das russische NOK für dessen Hilfe und bedeutende Rolle bei den Untersuchungen der IAAF lobte. Dessen Präsident Schukow ist ein Vertrauter von Staatschef Putin, diente ihm früher als Vize-Premier, und in seiner Funktion als NOK-Boss war er Teilnehmer des "Olympic Summit". Bachs Interpretation der NOK-Rolle dürfte die Autoren des Leichtathletik-Reports, vorsichtig formuliert, erstaunt haben.

Alle diese Aspekte des Summits waren umso bemerkenswerter, weil der Sportpolitik demnächst ja noch ein weiterer - und zwar der vermutlich heikelste - Report zur russischen Dopingkultur bevorsteht. Am 15. Juli will eine von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) beauftragte Gruppe um den kanadischen Anwalt Richard McLaren ihre Ergebnisse zu den Vorwürfen des früheren Moskauer Labor-Chefs Grigorij Rodtschenkow präsentieren. Dieser hatte kürzlich von einem staatlichen Dopingsystem und einer systematischen Manipulation von Proben in Russland rund um die Winterspiele 2014 gesprochen. Bach sagte, er wolle dazu "nicht spekulieren".

Andererseits aber hatte McLaren Teile seiner Erkenntnisse schon den IAAF-Ermittlern zur Verfügung gestellt. Demnach gibt es klare Beweise, dass das russische Sportministerium von 2011 bis 2013 in die Dopingvertuschung involviert war. An der Spitze stand damals und steht bis heute Witalij Mutko. Doch als am Dienstag die Frage aufkam, ob Bachs klare Forderung, dass in Doping-Fälle verwickelte Trainer, Offizielle und Ärzte keine Akkreditierung erhalten sollen, sich auch auf Mutko beziehe - da gab es kein klares Ja, sondern nur die Flucht in einen Allgemeinplatz.

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