Internationaler Fußball:Katars Fußballlabor gedeiht in Ostbelgien

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Grund zum Jubeln: Die KAS Eupen gewinnt neuerdings sogar Erstligaspiele. Ein Spieler stammt aus Katar, fünf weitere aus anderen afrikanischen Ländern. Und auch wenn viele Fans die Übernahme skeptisch sehen: Vor allem ist man in Eupen froh, dass es den Klub überhaupt noch gibt. (Foto: imago)
  • Das Emirat übernahm den belgischen Klub KAS Eupen komplett, stieg in die erste Liga auf und transferiert nun Talente nach Ostbelgien.
  • Die meisten Spieler kommen aus Afrika. Die Verantwortlichen bestreiten, dass sie bei der WM 2022 für Katar auflaufen sollen.
  • Stattdessen sei der Klub ein humanitäres Projekt, das Emirat wolle den Spielern helfen.

Von Christopher Gerards, Eupen

Das Stadion, über das vor vier Jahren die globalisierte Fußballwelt hereinbrach, in ihrer radikalsten Form, hat sich zuletzt ein bisschen verändert. Noch immer führt ein Kiesweg zur Kasse, das ist schon lange so; die Imbissbude steht, wo sie schon lange steht; und noch immer kommt man so nah an den Rasen, dass man draufspucken könnte, wenn man wollte. Aber hier und da haben sie umgebaut. Sie haben zum Beispiel einen Zaun aufgestellt, gleich hinter der Stehtribüne, mit grünen Planen behängt. Der Zaun verdeckt, was vorher jeder sehen konnte: Urinrinnen. Und ihre Nutzer.

Willkommen in Ostbelgien. Willkommen an dem Ort, an dem sich Katar eine Art fußballerische Außenstelle in Europa hält.

Zwischen Aachen und Lüttich liegt Eupen, Hauptstadt der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. 19 000 Einwohner, hohe Dichte an Bäckereien, viel Leerstand im größten Einkaufszentrum. Auf einem Hügel steht das Stadion der KAS Eupen, eines Klubs, der lange ein unauffälliges Leben führte. Der Verein spielte in der zweiten Liga, er stieg 2010 in die erste auf, er stieg wieder ab. Investoren kamen und gingen, 2012 war der Klub so gut wie ruiniert. Es war das Jahr, in dem ein neuer Investor kam und den Verein komplett übernahm, inklusive mehr als vier Millionen Euro Schulden. Der Investor hieß Aspire Zone Foundation, und er kam aus Katar.

Jetzt ist Eupen kein Zweitligist mehr, der ums Überleben kämpft. Eupen ist: seit dem Sommer ein Erstligist; seit Dienstag ein Team, das den Meister aus Brügge aus dem Pokal schmiss; und fortwährend ein Klub, auf den Bundesliga-Scouts genauso schauen wie Kritiker der katarischen WM-Pläne für das Jahr 2022.

Der Mann, der Katars Interessen in Eupen mitregelt, heißt Andreas Bleicher. Er ist promovierter Sportwissenschaftler, war Leiter des Olympiastützpunkts Köln/Bonn/Leverkusen. Ein athletischer Mann, 51, der derart fließend Business-Englisch spricht, dass ihm manchmal die deutschen Übersetzungen entfallen. Er ist Sportdirektor der Aspire Academy, eines vom Emir finanzierten Sportzentrums in Katar, das oft in die Schlagzeilen kommt, wenn der FC Bayern dorthin ins Trainingslager reist. Außerdem trägt er Funktionstitel namens "Chief Advisor International Football Affairs" der Aspire Zone Foundation und "Consultant Supreme Committee for Delivery and Legacy Qatar 2022".

Grund zum Jubeln: Die KAS Eupen gewinnt neuerdings sogar Erstligaspiele. Ein Spieler stammt aus Katar, fünf weitere aus anderen afrikanischen Ländern. Und auch wenn viele Fans die Übernahme skeptisch sehen: Vor allem ist man in Eupen froh, dass es den Klub überhaupt noch gibt. (Foto: imago)

Zu Bleichers Job gehört, Fußballtalente zu finden. Einerseits in Katar. Andererseits scouten seine Mitarbeiter jedes Jahr Hunderttausende Jugendliche in 18 weiteren Ländern. Sie testen die Spieler in mehreren Runden, die besten kommen an eine Akademie in Senegal, fünf Jahre lang werden sie trainiert, wenn sie volljährig sind, gehen einige nach Eupen, zu dem Klub, dessen Vorstandsmitglied Andreas Bleicher ist.

"Wenn ich einen Verein steuern will, macht es Sinn, ihn auch steuern zu können. Wie kann ich einen Verein steuern? Indem ich ihn übernehme." Das sind typische Bleicher-Sätze. Er mag rhetorische Fragen. Er baut sie auch dann ein, wenn er erläutert, warum sie in die ostbelgische Provinz gegangen sind.

Wo bekommen die Spieler eine Arbeitserlaubnis? Wo dürfen wie viele Spieler antreten, die nicht aus der EU kommen? Wo gibt es keine 50+1-Regel? Wo passt es kulturell und sprachlich? Am Ende blieb Belgien übrig, und Bleicher hielt es für eine gute Idee, die Spieler nicht nach Brüssel zu schicken, sondern in eine kleinere Stadt. So kam Aspire nach Eupen.

Die Frage ist, warum Bleichers Arbeitgeber diesen Aufwand betreibt, und die Antwort darauf ist nicht ganz unkompliziert.

Ein Samstagabend Ende November, Eupen spielt gegen Westerlo. Etwas mehr als 4000 Zuschauer sind da. Eupen startet nur mit einem Spieler aus Katar, aber mit insgesamt sechs Spielern, die in Afrika entdeckt wurden. Sie heißen zum Beispiel Ibrahim Diallo, Diawandou Diagne oder Henry Onyekuru, sie sind 20, 22, 19, sie kommen aus Mali, Senegal, Nigeria. Sie sollen in Eupen Spielpraxis sammeln und, wenn es gut läuft, zu größeren Klubs gehen. Könnte es sein, dass man sie wiedersieht bei der WM 2022? Und werden sie dann wirklich für Mali, Senegal und Nigeria antreten - oder für den Ausrichter der WM, für Katar?

Andreas Bleicher beantwortet das mit rhetorischen Fragen. 160 Spieler aus ganz Afrika habe Aspire in Senegal ausgebildet. "Wie viele haben jemals für Katar gespielt?" Kurze Pause. "Ich kann's Ihnen ganz genau sagen: null." Er verweist auf Regularien der Fifa, demnach müssen Fußballer fünf Jahre am Stück in einem Land gelebt haben, bevor sie in dessen Nationalelf spielen dürfen. "Wo sind die ganzen afrikanischen Spieler? In Katar? No." Bleicher spricht von einem humanitären Projekt, sie wollten den Spielern eine Ausbildung bieten, schulisch und fußballerisch.

Andererseits weiß er selbst, woran die Menschen in Europa gerade denken, wenn sie Katar hören: an Menschenrechtsorganisationen, die das Land anprangern, unter anderem für die Arbeitsbedingungen und die toten Arbeiter auf den WM-Baustellen. So gesehen ist dieses Projekt, in dem Katar sich als Helfer inszenieren kann, gute Öffentlichkeitsarbeit. Das Land hat eine globale Sport- und Fußballoffensive gestartet, Qatar Airways etwa ist derzeit Hauptsponsor des FC Barcelona. Eupen ist ein Teil dieser Offensive.

Die KAS ist praktischerweise ein Verein, der eher über kein sogenanntes Umfeld verfügt. Es gibt eine deutschsprachige Zeitung und einen Fernsehsender, deren Logos man neulich auf Mannschaftspostern im Stadion finden konnte. Der Klub kooperiert mit einem anderen Fußballverein aus der Gegend. Und die Fans sind froh, dass ihr Klub überhaupt noch existiert. Der Betreiber einer Gaststätte in der Innenstadt von Eupen sagt, dass der eine oder andere die Sache mit Katar schon kritisch sehe. Er selbst gehört nicht zu diesen Skeptikern. "Es ist wie ein Sechser im Lotto. Mit Zusatzzahl." Er denkt nicht zuallererst in Kategorien von Baustellen, Menschenrechtsorganisationen oder der Weltmeisterschaft in sechs Jahren. Er denkt an den Verein, dessen Fan er seit 52 Jahren ist.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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