Inter Mailand:Frösche, die niemals Prinzen werden

CELTIC V INTER MILAN

Xherdan Shaqiri: Will gegen Wolfsburg bestehen

(Foto: dpa)
  • Das Mittelfeld fantasielos, die Abwehr naiv, der Angriff seriös: Wolfsburgs Europa-League-Gegner Inter Mailand sucht nach altem Glanz.
  • Doch der Klubchef gibt sich sparsam.
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Von Birgit Schönau, Rom

Roberto Mancini ist bekannt dafür, dass er nicht um den heißen Brei herumredet. Selbst die vernichtendsten Urteile spricht der 50-jährige Italiener gelassen aus - besonders, wenn es um seine eigenen Spieler geht: "Meine Abwehr ist ein bisschen naiv", kommentierte Mancini nach dem 2:2 am Sonntag im neapolitanischen San-Paolo-Stadion, wo Inter Mailand nach einem 0:2-Rückstand am Ende beim Tabellenvierten noch ein 2:2 erwirtschaftet hatte. Ein bisschen blauäugig war das formuliert: Schlimmer kann es um eine italienische Hintermannschaft dann eigentlich nicht stehen.

Denn naiv, das waren im Mutterland des calcio cinico, wo ein gewisser José Mourinho anno 2010 für Inter mit beinhartem Defensivfußball ein historisches Triple erzwang, eigentlich immer nur die anderen.

In dieser Saison aber hat Mancinis Inter bereits 34 Gegentore kassiert (zum Vergleich: Tabellenführer Juventus bekam nur 14) - die allermeisten unter Mitwirkung der freundlichen vier vor dem eigenen Tor: der Italiener Davide Santon, 24, Leihgabe des englischen Klubs Newcastle, ist unbestritten noch der umsichtigste dieses Quartetts. Andrea Ranocchia, 27, Nationalspieler und Inter-Kapitän, wird hingegen gnadenlos von den eigenen Fans verhöhnt: "Aus dem wird nie ein Prinz." Der Nachname Ranocchia bedeutet Frosch, ideal für die Kurvenspötter. Noch härter trifft es allerdings den Brasilianer Juan Jesus, 23, über den die Blasphemiker der Gazzetta dello Sport nach dem Neapel-Spiel eiskalt kalauerten: "Jesus am Kreuz".

Der vierte im Bunde ist der rustikale Italiener Danilo D'Ambrosio, 26. Aber Jesus ist eindeutig das Sorgenkind, der große Naive. Bärenstark aber nicht besonders reaktionsschnell, lässt das Riesenbaby Jesus auf das Schmerzlichste den Argentinier Walter Samuel vermissen. "The wall" wurde Samuel bei Inter genannt, an ihm kam kaum einer vorbei. An Jesus fast jeder. Der VfL Wolfsburg, bei dem Inter am Donnerstag in der Europa League antritt, habe einen "attacco atomico", warnt die Gazzetta - also die Hölle für die Säulenheiligen und Frösche in der Abwehr.

Zum Glück kann sich Mancini auf seine Offensivabteilung verlassen, wo sich insbesondere der Argentinier Mauro Icardi, 22, hervortut. 15 Ligatore gehen auf Icardis Konto, vier in der Europa League. Er ist äußerst beweglich, extrem unverfroren, kein bisschen naiv und wäre vermutlich noch viel gefährlicher, wenn das Mittelfeld etwas mehr Biss hätte. Doch dort führen der Kolumbianer Fredy Guarin und der Chilene Gary Medel ein fantasieloses Regiment der Mittelmäßigkeit, kongenial ergänzt von Zugang Xherdan Shaqiri (vom FC Bayern), der auch nicht gerade durch Ideenreichtum auffällt. Arsenal-Leihgabe Lukas Podolski (in der Europa League nicht dabei) ist nach Anfangslorbeeren schon wieder in Ungnade gefallen - und wenn es bei Mancini schon so weit ist, hat ein Spieler verdammt schlechte Karten.

Über 200 Millionen Schulden

"Manchmal frage ich mich, wieso ich eigentlich hier bin", gestand der Trainer soeben, und gab gleich die Antwort: "Aus Anhänglichkeit" - wobei ein Jahresnettogehalt von 2,7 Millionen Euro auch nicht zu verachten ist. Von 2004 bis 2008 hatte der frühere Nationalspieler schon mal bei Inter auf der Bank gesessen, bevor er zu Manchester City und zu den Trainerfressern von Galatasaray Istanbul weiterzog. Jetzt lässt Mancini es in Mailand langsam angehen: "Die Mannschaft ist mit mir schon viel besser geworden", verkündet er, aber leider könne er auch mit Jesus im Team keine Wunder vollbringen: "Die Spieler waren psychisch ziemlich niedergeschlagen. Inzwischen zeigen sie viel Einsatz und guten Willen, aber erst nächstes Jahr werden wir wieder um den Meistertitel mitspielen können." Derzeit ist es Tabellenplatz neun.

Dass die Mailänder Internazionale ein Schauplatz unerfüllter Versprechen geworden ist, liegt weniger am Trainer Mancini als an der Klubführung. Der Indonesier Erick Thohir, seit November 2013 Präsident des Traditionsklubs, hat die Erwartungen auf einen Neuanfang durch massive Investitionen bisher nicht erfüllt. Das Management glänzt vielmehr durch Abwesenheit. Nur selten zeigt sich der Präsident in Mailand, die Auftritte seiner Angestellten pflegt Thohir daheim in Jakarta am Fernsehen zu verfolgen. Gern leistet ihm dort der Geschäftsführer Michael Bolingbroke Gesellschaft. Der Engländer war zuletzt bei Manchester United für das Stadion-Management zuständig und hatte Mancini noch im Dezember freie Hand für den Transfermarkt garantiert: "Der Coach bekommt von mir einen Blankoscheck."

Den habe er tatsächlich bekommen, frotzelte der Trainer: "Aber Bolingbroke hatte leider den Stift für die Unterschrift vergessen." Der Klub ist mit über 200 Millionen Euro verschuldet, "wir müssen unbedingt wieder in die Champions League", sagt der Geschäftsführer, damit die Fernseh-Millionen fließen. Aber zuvor müsste Thohir seinen Geldbeutel öffnen, und der denkt ganz offensichtlich nicht daran.

Anstatt wie der Lokalrivale Milan (ebenfalls kurz vor dem Verkauf an einen Investor aus Asien) an Plänen für ein eigenes Stadion zu feilen, will Thohir zur Miete in der Arena San Siro bleiben, die der Stadt Mailand gehört. Auch im Ligaverband, wo sich die Progressisten um Juventus-Chef Andrea Agnelli mit dem stockkonservativen Altherrenverein um Lazio Roms Claudio Lotito befehden, hat der Inter-Boss sich auf die Seite der provinziellen Feudalherren geschlagen. Alles Leute, die naive Angestellte ganz in Ordnung finden - solange sie wenig kosten.

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