Inter Mailand:Beton zerfließt zu Weichgummi

Werder Bremens Gegner aus Mailand spezialisiert sich auf Unentschieden, doch die Abwehr ist die Abteilung der Vernachlässigten. Eine groteske Situation.

Von Birgit Schönau

Nach dem neunten Remis beschwor die Gazzetta noch die "Verdammnis des ewigen Unentschiedens", also höhere Gewalt. Jetzt ist Nummer zehn da und Massimo Moratti, der Patron, sagt: "Die Situation ist grotesk." Zehnmal X in zwölf Tagen, die letzten sechs in Folge, so kann es weitergehen bis Merry X-Mas. Vom Geheimnisvollen zum Lächerlichen ist es eben manchmal nur ein Schritt, in diesem Fall ein 3:3 gegen Cagliari, immerhin eine Aufholjagd, anstatt des üblichen Einbrechens nach vorgelegten Treffern des unermüdlichen Brasilianers Adriano.

Schon oft war die Mailänder Internazionale in den letzten Jahren die Lachnummer der Serie A gewesen, aber damals lief die Groteske stets unter dem Motto "Außer Spesen nichts gewesen": Steinreicher Erdölunternehmer (Moratti) kauft alles zusammen, was bei drei nicht auf dem Baum ist, und erhält so ein sündhaft teures Ensemble von schwer Erziehbaren aus aller Herren Länder, die sich ihrem Gehalt angepasst wie Diven aufführen, aber nichts gewinnen.

Das ist es diesmal nicht. Inter hat tolle Spieler in dieser Saison, außer dem schon erwähnten brillanten Linksfüßer Adriano - ein kraftvoller Hüne, der mit neun Treffern die Torschützenliste anführt - den Argentinier Juan Sebastian Veron, die Niederländer Edgar Davids und Andy Van der Meyde, den wendigen Türken Emre, den erfahrenen Dänen Thomas Helveg, den pfeilschnellen Nigerianer Obafemi Martins.

Es liegt an der Abwehr

Ein Kader mit 16 Ausländern, aber das war bei Inter immer so. Hinzu kommt der schwierige italienische Nationalspieler Christian Vieri, den sie in Mailand unbeirrbar für den stärksten Stürmer der Welt halten - der bizzaren These mag sich außerhalb der Stadtgrenzen kaum jemand anschließen.

Die Mannschaft ist Gruppenerster in der Champions League, am heutigen Mittwoch tritt sie in Bremen zum Rückspiel gegen Werder an (Hinspiel: 2:0). Nur zu Hause läuft es nicht rund. Platz sieben, 15 Punkte Abstand auf Tabellenführer Juventus, der von Moratti so inbrünstig ersehnte Meistertitel in weiter Ferne. Es liegt an der Abwehr. Wirklich grotesk ist das, ein Treppenwitz der Fußballhistorie: ausgerechnet Inter, wo ein gewisser Helenio Herrera als Magier des Catenaccio den Defensivkult auf die Spitze trieb, und sein Landsmann Hector Cuper die Saga der unerbittlichen Maurerelf weiterschrieb.

Inter spielte wie in Beton gegossen, selbst Moratti mochte es nicht mehr sehen und trat als Präsident zurück. Sein Nachfolger wurde das alter Inter-Idol Giacinto Facchetti, einer der größten Defensivspieler. Und Erbe, man traut sich kaum, es zu schreiben, des wie ein Reliquar verehrten Notizbuchs von Herrera. Auf dass der Geist des Catenaccio niemals aus der Inter-Kabine ziehe.

Aber irgendjemand muss die Tür sperrangelweit offen gelassen haben, zum Durchlüften vielleicht, und schwupp! war das Phantom der Zement-Oper entfleucht. 20 Tore in zwölf Tagen, erst in Toldos Tor, dann kassierte der in blanker Verzweiflung aufgebotene 37-Jährige Ersatzkeeper Fontana, jetzt steht Toldo wieder unter Beschuss. Die drittschlechteste Abwehr der Liga, knapp vor Lecce und dem AS Rom, zum Haareraufen. Von wegen Schicksal, schimpft Facchetti. "Ich kenne da nur einen Weg: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Wir brauchen Organisation und ein eingepauktes Schema. Torchancen haben wir übrigens genug, aber noch nicht mal jede dritte wird genutzt."

Der Adressat dieser Philippika ist natürlich Roberto Mancini, der noch nicht 40-jährige Trainer, den Moratti in diesem Sommer nach hartnäckigem Werben Lazio Rom abgeluchst hat. Facchetti muss geahnt haben, welches Kuckucksei er sich ins Nest legte. Zwanzig Jahre Angriffsfußball hat Mancini hinter sich, er gilt als einer der besten italienischen Offensivregisseure aller Zeiten. Bei Inter stellte er alles auf den Kopf. Das Team hat plötzlich Spiel, macht Tore (23), bietet Spektakel. Mancini ist optimistisch: "Abgerechnet wird am Ende der Saison."

Wenn er es bis dahin schafft. In San Siro musste er die ersten Pfiffe einstecken, denn während der Beau aus Jesi über die Ästhetik seines Spiels philosophiert, wollen die Tifosi ausnahmsweise mal dasselbe wie die Klubleitung: Ergebnisse sehen. In Punkten. Juventus, der Erzgegner, der am nächsten Spieltag (28. November) zum Derby d'Italia der einzigen Nie-Abgestiegenen erwartet wird, macht es ja vor. Systematisch Einzunull, Kasten sauber halten, durchmarschieren.

Naja, sagt Mancini. "Wir haben 'ne schlechte Phase. Ein kleiner Fehler, und sofort haben wir wieder einen drin." Ohne Cannavaro, der zu Juventus wechselte, sieht Mancinis Abwehr verloren aus. Eine Abteilung von Vernachlässigten. Vielleicht kommt im Januar Walter Samuel, Ex AS-Rom, jetzt Real Madrid. Aber erst einmal muss Mancini gegen Juve gewinnen. Oder verlieren, aber nur nullzueins. Ein Unentschieden könnte nämlich schicksalhaft sein - für ihn.

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