Initiative Protect Our Winters:Weiße Liebe in Gefahr

BESTPIX  Winter Games NZ - Day 12: Snowboard Big Air

Immer häufiger in Gefahr: Wintersport in makellosem Weiß.

(Foto: Getty Images)

Weg von Maschinenschnee-Pisten und Kunsteis: Unter Wintersportlern wächst das Bewusstsein dafür, dass der Klimawandel ihren natürlichen Lebensraum gefährdet. Die Initiative Protect Our Winters zeigt, dass es Athleten gibt, die nicht nur um Medaillen kämpfen wollen.

Von Thomas Hahn

Nicolas Müller deutet nach draußen durch die Fenster des Cafés, auf die kahlen Häuserdächer der Stadt. "Es war damals wie jetzt." Ein Winter, der wie ein kranker Mann über dem Land lag, müde, kraftlos, grau. "Noch schlimmer." Es war ein Winter, der überhaupt nicht mehr auf die Beine zu kommen schien. "Im Januar waren wir im T-Shirt hier in Zürich." An Snowboarden in der Schweiz war nicht zu denken, und Nicolas Müller machte das, was ein Snowboardprofi mit guter Sponsoren-Ausstattung eben machen kann: Er kaufte ein Flugticket, um in den Schnee zu reisen, nach Kanada.

Wenig später saß er im Flugzeug und versuchte zu verstehen, was er da gerade tat. Er wechselte von einem Winter in den nächsten, um ein paar Linien im Tiefschnee zu ziehen. "Da habe ich gedacht, das kann's ja auch nicht sein, dass mein Ego jetzt powdern kann." Er dachte weiter, und irgendwann war ihm klar, dass er durch die eiskristallene Herrlichkeit des Winters nicht einfach nur durchfahren darf. Sondern dass er sich auch ein bisschen darum kümmern muss.

Es kann schon sein, dass es Leute gibt, die den Klimawandel gar nicht schlecht finden. Sie sagen, dass sie keinen Winter brauchen, weil sie seine rauen Seiten nicht mögen. In der Tat kann der Winter sehr grimmig sein. Bevor er seine Schönheit entfaltet, bringt er Sauwetter und sabotiert Nah- wie Fernverkehr. Aber er ist eben ein Naturphänomen, nichts was man sich aussuchen kann. Wenn der Winter schwächer wird, weil die Erde wegen der Treibhausgase aus der Menschenwelt insgesamt wärmer wird, heißt das nichts anderes, als dass das Leben auf der Erde ins Ungleichgewicht gerät.

Insofern ist es keineswegs egal, was mit dem Winter ist. Und insofern ist es auch ganz gut, dass sich Profis des Wintersports daran beteiligen, den Winter zu schützen, ohne den sie nicht sein können. Leute wie Nicolas Müller, 31, aus Laax zum Beispiel, der einer der größten Stilisten des Freestyle-Snowboardens ist und einer der prominentesten Europäer bei der Athleten- und Klimaschutz-Initiative Protect Our Winters (POW).

Ein Sportprofi kann noch was anderes, außer sein Publikum bespaßen und irgendeinen Nationalstolz mit Siegen befriedigen. Das kann man von den POW-Athleten lernen. Sie alle verbindet eine Liebe zum Winter, die mehr verlangt als Maschinenschnee-Pisten und Kunsteis. Die meisten von ihnen sind freischaffende Wintersportakrobaten und Abenteuerer, die ihr Geld mit Foto- und Filmarbeiten im Hinterland verdienen und die deshalb einen besonders scharfen Blick für die Folgen des Klimawandels haben. Der amerikanische Freerider Jeremy Jones, 38, gründete POW 2007, weil er nicht mehr tatenlos hinnehmen wollte, dass ihm seine Snowboard-Gründe unter dem Brett wegschmolzen. Aber es gibt auch POW-Mitglieder aus der olympischen Welt.

Kikkan Randall, 30, Langläuferin und Teamsprint-Weltmeisterin aus den USA; sitzt im Athleten-Hotel in Lillehammer, tags vor einem Weltcup-Rennen. Es ist Anfang Dezember, und der norwegische Winter zeigt sich als starker Mann mit weiß vermummtem Wald und gedeckten Straßen. Allerdings erst seit zwei Tagen, davor hatte auch er vor allem laue Luft zu bieten. "Ungewöhnlich", sagten die Norweger, und Kikkan Randall konnte beobachten, was sie auch bei sich zu Hause in Anchorage/Alaska festgestellt hat: Der Winter ist schwächer geworden. "Als ich klein war, hatten wir immer Ende Oktober guten Schnee", sagt sie, "jetzt ist es vielleicht 50:50."

Kikkan Randall ist eine sonnige Person, sie trägt pinke Locken, und wenn man ein Beispiel für angewandtes amerikanisches Positivdenken erleben will, muss man sich mit ihr nur übers Profi-Langlaufen unterhalten. Aber in Umweltfragen redet sie sich nichts schön. Da geht es auch um mehr, nämlich um ihren Lebensraum. Kikkan Randall ist ein Winter-Mädchen, sie liebt den Geschmack der Kälte, sie ist damit aufgewachsen. Viele, viele Kilometer legt Kikkan Randall im Jahr zurück, immer draußen, in den Bergen, in den Wäldern, bei jedem Wetter, möglichst oft auf Schnee, und sie kann ziemlich anschaulich davon erzählen, dass ihr diese Tätigkeit eine tiefe, ehrliche Freude bereitet. "Die natürliche Schönheit von allem, das Gefühl, auf Schnee zu gleiten - das macht mich einfach froh."

Medaillen gewinnen - und Bedenken äußern

Sie ist überzeugtes POW-Mitglied. Sie glaubt an die Kraft der politischen Teilhabe, weshalb sie in der Athletenkommission des Weltskiverbandes Fis sitzt. Und dieser Glaube ist offensichtlich auch so etwas wie ihr Trost, wenn sie an ihr großes, zwiespältiges Ziel in diesem Winter denkt. Für Olympia in Sotschi haben die Russen mit vollen Baggerschaufeln in die Natur des Kaukasus gegriffen. "Das ist eine sehr aggressive Art, wie sie das alles aufgebaut haben", sagt Kikkan Randall.

Sie wird dort trotzdem um Medaillen kämpfen, sie kann ja nicht ihre eigene Arbeit boykottieren. Aber über ihre Bedenken reden will sie auch. Es gehe ums Hinschauen und Lernen, damit es nicht noch mal ein Sotschi gibt. "Und in meiner Position als Fis-Athleten-Sprecherin kann ich mit der Athleten-Kommission des Internationalen Olympischen Komitees arbeiten, um den Druck aufs IOC aufrecht zu erhalten, damit Olympia-Veranstalter die Spiele künftig auf verantwortliche Art organisieren."

Es ist, als wollte Kikkan Randall sagen: Wenn ein Sportler keine Marionette von Großverbänden und Marketendern sein will, dann muss er das auch nicht sein. Wenn sie sich da mal nicht täuscht. Aber immerhin, POW zeigt, dass man mit etwas Enthusiasmus zumindest anfangen kann, die ganz dicken Bretter zu bohren. 500 000 Dollar Spenden- und Sponsorengeld, sagt die Non-Profit-Organisation, habe sie seit 2007 in Aufmerksamkeits-Kampagnen, Erziehungsprogramme und lokale Umweltprojekte gesteckt. Unternehmen der Outdoor-Industrie, die Klimaschutz schon aus blankem Geschäftsinteresse betreiben müssen, nutzen POW als Plattform für ihre eigene Nachhaltigkeitspolitik. Donna Carpenter, Präsidentin und Mit-Inhaberin des Snowboard-Unternehmens Burton, nennt POW "den perfekten Partner".

Und wenn man Bill McKibben richtig versteht, liegt in dieser Art von Lobby-Arbeit durchaus eine Hoffnung. McKibben ist ein Umweltexperte aus den USA, Buchautor und leidenschaftlicher Langläufer. "Es gibt keine Chance, die Erderwärmung insgesamt zu stoppen", schreibt er via Email, "aber es gibt noch eine Chance, zu verhindern, dass es schlimmer wird, als es werden muss. Wenn die Leute, die Wintersport lieben, zu einer organisierten Kraft für politischen Wandel würden, dann hätten wir eine reale Chance. Es ist ein strukturelles Problem, das strukturelle Veränderungen erfordert, in erster Linie muss man sich die Macht der Erdöl-Firmen vornehmen." Über POW sagt Bill McKibben: "Sie machen sehr gute Arbeit."

Nicolas Müller ist ein feingliedriger Mensch, sanft, bedächtig. Dass er dem globalen Turbokapitalismus im Dienste des Winters den Marsch bläst, ist nicht zu erwarten. Aber ein paar Werkzeuge hat er schon, um für seinen Winter was zu tun. Zuletzt hat er mit den Liftbetreibern von Laax über deren möglichen Einstieg bei POW gesprochen. Er trägt sein Umweltbewusstsein in die Unternehmen hinein, die ihn sponsern. Er spricht öffentlich darüber. Er versucht, seine Linie zu halten bei der Auswahl seiner Werbepartner. Beim Taurin-Limonaden-Hersteller Red Bull könnte er zum Beispiel nicht unter Vertrag stehen. Red Bull ist einer der mächtigsten Actionsport-Sponsoren. Trotzdem. "Ich kann einfach nicht hinter dem Getränk stehen."

Und er kann vom Snowboarden erzählen. Vom Geist des Winters, von der wohligen Kälte eines hellen Schneetages. Nicolas Müller ist ein Winterjunge, der Schnee hat ihn schon als Kind hinausgezogen. Bei Contests und Filmpremieren ist es ihm schon so vorgekommen, als wiederhole sich alles. Der Winter ist für ihn immer ein einzigartiges Ereignis. Seine Launen, seine knorrige Art, die Landschaft zuzudecken, seine väterliche Ruhe und Klarheit. Nicolas Müller denkt ans Snowboarden. "Es kann in Laax sein, wo ich mit dem ersten Lift hochgehe und irgendwo abbiege, wo es niemand kennt und ich im Wald bin, irgendwo hinter Felsen. Da hörst du keinen Ton, und es ist einfach weiß."

Versonnen schaut Nicolas Müller seiner Sehnsucht nach. Und draußen haucht der kranke Winter den Versuch eines Nieselregens durch die Straßen.

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