Ingolstadt - Union Berlin 0:1:Tag des Handwerks

FC Ingolstadt 04 - 1. FC Union Berlin

Unherzlich willkommen: Steven Skrzybski von Union Berlin (l.) zeigt Marcel Gaus vom FC Ingolstadt, wie giftig in Liga zwei die Zweikämpfe geführt werden.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Bundesliga-Absteiger FC Ingolstadt müht sich gegen schnörkellose Berliner und verliert sein erstes Saisonspiel. Beim 0:1 zeigt sich, dass der FCI sich noch an seine neue Rolle als Mitfavorit gewöhnen muss.

Von Johannes Kirchmeier, Ingolstadt

Manche Arbeitgeber verbieten ihren Angestellten kurze Hosen - auch bei hohen Temperaturen. Darauf machte etwa der Brite Joey Barge in den sozialen Medien im Juni aufmerksam, nachdem er mit einem Kleid zur Arbeit kam, weil er zuvor mit Shorts nach Hause geschickt worden war. Barge arbeitet in einem Callcenter, wäre er beim Fußball-Zweitligisten 1. FC Union Berlin angestellt, ginge es ihm da viel besser.

Der Klub ließ seinen prominentesten Angestellten, Trainer Jens Keller am sonnigen Samstagnachmittag an der Ingolstädter Seitenlinie mit kurzer Hose seiner Arbeit nachgehen (wie im Übrigen auch dessen Assistenten). Dort dirigierte Keller seine Spieler dank Reibeisenstimme, kurzen "Hey"-Rufen und Pfiffen am Ende so erfolgreich übers Feld, dass er danach zusammenfassen konnte: "Wir haben uns heute drei wichtige Punkte und Selbstvertrauen beim Topfavoriten geholt."

Es war ja nicht zu erwarten, dass Union nach einem starken Weitschuss von Rechtsverteidiger Christopher Trimmel mit dem 1:0 (0:0) gleich ein so guter Auftakt in die Saison gelingt. Schließlich trafen die Berliner, die in der vergangenen Saison im Aufstiegskampf knapp gescheitert waren, im ersten Spiel der zweiten Fußball-Bundesliga auf den nominell stärkeren der beiden Absteiger: den FC Ingolstadt. Union ist zwar ohne Frage zweitligaerprobt und nach dem Abstieg des TSV 1860 München der sozusagen dienstälteste Klub der Liga (neunte Saison), doch Ingolstadt hat sich prominent verstärkt und wurde von den meisten Liga-Trainern als Aufstiegsfavorit genannt.

Am Anfang sieht es so aus, als müsse der FCI sich nicht groß anpassen an die 2. Liga

Coach Maik Walpurgis kündigte schon unter der Woche an: "Wir haben in der zweiten Liga eine andere Rolle, in der Bundesliga waren wir mehr Underdog. Wir haben jetzt eher die gestaltende Rolle, die wollen wir auch annehmen." Wie das mit der Rolle des Gestalters aussah, zeigte sich schnell in der hektischen Anfangsphase der attraktiven Partie, die erst die Ingolstädter dominierten.

Walpurgis hatte elf Picassos aufs Feld geschickt, die von Beginn an den Ball flink und effektiv in ihren Reihen zirkulieren ließen, mit dem Willen im Strafraum ihr Gemälde fertig zu pinseln. Schon nach drei Minuten scheiterte der mit der Empfehlung von 16 Zweitligatoren aus Dresden nach Ingolstadt gekommene Stefan Kutschke am angegrauten Berliner Handwerker Marc Torrejón. Der grätschte ihm den Ball weg, und auch sonst stand er ihm bester Kreisliga-Manier das ganze Spiel über auf den Latschen. Gleich darauf versuchte es wieder Kutschke mit einem Pass zu Nebenmann Dario Lezcano, der an einem Berliner Abwehrbein hängenblieb.

Es sah so ein bisschen aus, als müsste sich nicht Ingolstadt an die neue Liga anpassen, wie Walpurgis in den vergangenen Wochen lange und oft betonte, sondern Union an den neuen Gegner. Wie effektiv Ingolstadt agierte, zeigte der Blick zum Gegner: Union hielt den Ball anfangs länger, wusste jedoch keine gefährliche Chance damit zu kreieren. Die Berliner waren, um im Bild zu bleiben, eher die Kunstlehrer in der Schule, die ja jeden Tag andere malen lassen und eher Dienst nach Vorschrift in dieser zweiten Liga taten. Bis sich die Partie später wenden sollte.

Schiedsrichter Sascha Stegemann schien unterdessen etwas erheitert davon gewesen zu sein, dass die Saison wieder losging. Er ahndete nur wenige Aktionen. Einige fragwürdige Entscheidungen blieben hängen, etwa ein eingesprungener Schultercheck gegen den FCI-Verteidiger Hauke Wahl oder später die größte Chance der ersten Halbzeit, die so nicht stattfinden hätte dürfen: Der Paraguayaner Lezcano setzte sich nach einem Abschlag seines Torhüters Martin Hansen im Duell gegen Christopher Trimmel durch, obwohl er ihn unfair zu Boden drückte. Dann stand er auf der Seite alleine vor Berlins Torwart Jakob Busk, dem er mit einer Finte nach innen entfliehen wollte. Dort machten jedoch die zurückgeeilten Berliner wie Türsteher im Berghain dicht. Lezcano schoss Busk an - statt zum besser postierten und zum Torabschluss bereiten Kutschke zu passen (21.).

Ein Traumtor entscheidet die Partie

Dann schickte der Ingolstädter Innenverteidiger Romain Brégerie den Ball verhängnisvoll in Richtung seines Torhüters Hansen zurück, durchs Stadion ging ein Raunen aus Angst vor einem Eigentor, doch der Ball überlegte es sich nach einem Hopser vor dem Tor anders und flog wieder weg vom Tor (27.). Dennoch sollte diese knappe Szene das Spiel verändern: Berlin, ein eingespieltes Team, das zum Start nur auf zwei Zugänge (Torrejón und Marcel Hartel, und Ingolstadt auf vier) zurückgriff, traute sich plötzlich mehr zu: Etwa in der 43. Minute, als Felix Kroos sich mit einem scharfen Weitschuss versuchte. "Wir haben gezeigt, dass wir uns in so ein Spiel hineinkämpfen können", sagte Kroos hinterher. "Das ist ein gutes Zeichen."

Die Berliner profitierten auch davon, dass sich mit zunehmender Spieldauer eine intensive Zweitligapartie entwickelte: Eine nicklige Aktion reihte sich an die nächste, es wurde ruppiger. Und Ingolstadt verlor seine Linie. "Unsere Räume wurden zu groß", sagte Kutschke. Der FCI versucht sich ja in dieser Saison im neuen 3-5-2-System, in dem er noch nicht vollends überzeugen kann. Union bekam zu viel Platz: Nach zwei guten Abschlüssen bediente später Kristian Pedersen per Einwurf von links den Mittelstürmer Sebastian Polter, der an die Strafraumkante zurücklegte, wo Christopher Trimmel die Kugel mit vollem Risiko ins rechte obere Toreck drosch - ein Traumtor (59.), und ein entscheidendes.

Denn obwohl die Ingolstädter zum Ende noch einmal alles versuchten, sich Chancen in einer turbulenten Schlussphase erarbeiteten, sollte Trimmels Treffer der einzige bleiben. Auch weil Kutschke aus sechs Metern freistehend am Tor vorbeiköpfelte (83.): "Das muss ein Tor sein", meinte er kopfschüttelnd. Später ließ er sich noch theatralisch fallen, doch Stegemann blieb seiner Laissez-Faire-Linie treu - weder er noch Lezcano, der ebenfalls in letzter Minute und noch etwas fragwürdiger als Kutschke im Strafraum gelegt wurde, bekamen einen Elfmeter. Und so musste am Ende der langhosige Walpurgis, der sich auch noch einmal beim Schiedsrichter über die beiden strittigen Situationen am Ende beschwerte, dem kuzhosigen Keller gratulieren. Joey Barge dürfte sich freuen. Dienst nach Vorschrift.

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