Ilkay Gündogan vor dem Spiel gegen Bayern:Verspätete Ankunft eines Unterschätzten

Vom Fehleinkauf zum Zukunftsspieler: Das Beispiel des talentierten Mittelfeldakteurs Ilkay Gündogan zeigt, wie BVB-Trainer Jürgen Klopp seine Profis an den hitzigen Jagd- und Balleroberungsfußball der Dortmunder heranführt. Dabei hatte der junge Deutschtürke bei der Borussia einen äußerst schwierigen Start.

Freddie Röckenhaus, Dortmund

Es ist gerade mal drei Wochen her, da haben sie Ilkay Gündogan beim Auswärtsspiel in Fürth noch im gegnerischen Stadion vergessen. "Illy", wie sie ihn in Dortmund rufen, war da doch ein bisschen verdutzt, denn er hatte an diesem Abend mit einem aufsehenerregenden Schuss in der 120. Spielminute immerhin das Halbfinale des DFB-Pokals mit 1:0 zugunsten von Borussia Dortmund entschieden.

VfL Wolfsburg - Borussia Dortmund

Endlich so stark wie zu Nürnberger Zeiten: Ilkay Gündogan brauchte einige Monate, um sich in Dortmund einzufinden.

(Foto: dpa)

Es dauerte ein Weilchen, bis die Polizei den BVB-Teambus zurück zum Fürther Stadion eskortiert hatte und Gündogan zusteigen konnte. In Dortmund, so viel hatte der 21-jährige Mittelfeldspieler spätestens an diesem Abend gelernt, musst du schnell sein, wenn du dabei sein willst.

In den drei Wochen seit seinem Last-Second-Treffer sind ihm zwei weitere Tore gelungen, das bislang letzte am vergangenen Samstag beim 3:1-Sieg in Wolfsburg war ein so elegant-ausgefuchster Schlenzer, dass Freunde der Fußtechnik den Kunststoß in die Lehr-Sammlung aufgenommen haben. Zuvor hatte Gündogan Bestnoten für rasiermesserscharfe Pässe und für seine Spielmacher-Qualitäten beim 6:1 in Köln eingeheimst.

Und beim spektakulären 4:4 des BVB gegen den VfB Stuttgart war er der einzige Gewinner der Schwarzgelben, weil er beim Stand von 2:0 für Dortmund ausgewechselt wurde. Danach ging es drunter und drüber. Nachher sagte Gündogan das, was Profis nach Vereinswechseln und abgeschlossenen Anlaufphasen zu sagen pflegen: "Ich bin jetzt angekommen."

Ob diese verspätete Ankunft für Gündogan an diesem Mittwoch zu einem Startplatz gegen den FC Bayern schon reicht, ist offen, weil die Konkurrenz um die beiden "Sechser"-Plätze im Dortmunder Mittelfeld heftig ist. Zumindest aber bei Fan-Abstimmungen würde er derzeit in die erste Elf gewählt, und das muss man im ausgeglichenen, fast hierarchiefreien BVB-Kader erst einmal schaffen.

Auf seiner Position konkurriert der Jung-Nationalspieler mit Sven Bender sowie Sebastian Kehl, beide defensiv stärker als Gündogan, und mit Moritz Leitner, 19, der vor einigen Wochen im internen Sechser-Ranking noch weit vor ihm platziert zu sein schien. Hinzu kommt, dass Gündogan gebürtiger Gelsenkirchener ist, was unter Dortmunds Fans bekanntlich reflexartiges Stirnrunzeln verursacht. Für den Erzrivalen Schalke hat Gündogan allerdings nur eine Saison lang als Zehnjähriger gespielt.

Wenn man kurz nach der letztjährigen Meisterschaftsfeier den Trainer Jürgen Klopp auf den Verlust von Spielmacher Nuri Sahin (zu Real Madrid) ansprach, dann platzte es aus ihm förmlich heraus: "Dann wartet mal, wie Ilkay Gündogan nächstes Jahr spielen wird." Im Nachhinein hätte Klopp sich seinen vorauseilenden Überschwang gerne verkniffen. Den Ranzen, den er als Sahin-Nachfolger aufgepackt bekam, konnte der Filigrantechniker zunächst nicht tragen.

In den ersten sechs Spielen spielte Gündogan - und der BVB kassierte damals alle seine drei bis heute zu Buche stehenden Saison-Niederlagen. Gündogan verschwand aus der Startaufstellung, dann sogar von der Ersatzbank auf die Tribüne, dann aus dem Bewusstsein. Dortmund veränderte die interne Rollenstruktur, passte sich dem Fehlen von Sahin an, lernte auch, ohne den bis dahin überragenden, damals verletzten Torjäger Lucas Barrios zu leben, ersetzte später reibungslos den zwischenzeitlich zum neuen Helden ausgerufenen Mario Götze - und verlor 23 Ligaspiele in Serie nicht mehr.

Es ist kaum sechs Wochen her, da nannten sie Gündogan eher Fehleinkauf als Zukunftsspieler, einen, der es kaum schaffen werde, noch einmal an dem jüngeren Moritz Leitner vorbeizukommen. Und das mit 21. Ähnlich wie es sein Freund und Vorgänger Sahin als sechstes Rad am Wagen bei Real Madrid erlebte, erging es Gündogan in Dortmund. Mit dem Etikett, die Bälle zu verschleppen, statt sie schnell zu spielen.

Nur sollte man einen wie Gündogan nicht unterschätzen. Während anderen Jungprofis, wie zuletzt Mario Götze, das letzte Jahr vor dem Abitur oft zu anstrengend ist und sie sich deshalb mit dem Fachabitur begnügen, hat Gündogan sich in seiner kurzen Zeit beim 1. FC Nürnberg an der Bertolt-Brecht-Schule bis zum Abi im Frühjahr 2011 durchgebissen.

Während der Oberstufe (Hauptfächer: Mathematik, Sport, Englisch, Ethik) hat er zuerst beim VfL Bochum den Sprung in den Bundesligakader geschafft, dann den Wechsel nach Nürnberg gewagt, sich auch dort etabliert und gleichzeitig mit "Nachführunterricht", dem organisierten Aufholen versäumten Unterrichtsstoffs, auch noch das Abi gemacht. Gündogans Eltern waren dahinter wohl die treibende Kraft, Gündogans Bruder Ilker studiert in Bochum Ostasien-Wirtschaft und -Politik.

Inzwischen hat Klopp Gündogan an den manchmal fast überhitzten Jagd- und Balleroberungs-Fußball der Borussia herangeführt. Seine Körperdrehungen sind fast so verblüffend wie die des Kollegen Shinji Kagawa, die Präzision mancher Pässe erinnert jetzt an ein Skalpell im OP-Einsatz. "Ich soll auch drei-, viermal pro Halbzeit aufs Tor schießen", habe ihm Trainer Klopp aufgetragen.

Vor zwei Wochen hat Gündogan vorsichtshalber schon mal in einem Interview eingestreut, dass er fest überzeugt sei, noch etliche Spiele für die DFB-Nationalelf zu machen, für die sich der Deutsch-Türke entschieden hat. Und nach dem Sieg in Wolfsburg hat "Illy" mit der ganzen Wucht seines Selbstbewusstseins die Botschaft nach München gesandt: "Wir haben die Qualität, die Bayern zu schlagen. Wir haben das schon im Hinspiel bewiesen."

Ein Satz, der das Selbstwertgefühl der gesamten Dortmunder Mannschaft auf den Punkt bringen dürfte. Und das von einem, der nicht einmal sicher sein kann, dass er von Anfang an spielt.

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