Iker Romero:"Mein Knie fleht mich an"

Die Finalrunde mit Berlin im EHF-Pokal ist einer der letzten Auftritte des großen Handballers.

interview Von Javier Cáceres

Iker Romero erhebt sich aus einer Sitzecke eines Cafés im Berliner Bezirk Charlottenburg und versucht, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Vergeblich, er stöhnt auf. Sein Knie ist offenbar unwiederbringlich hinüber. Als er später das Lokal verlässt, ist nicht zu sagen, welches Knie er nun hinter dem anderen herzieht - das linke oder das rechte? Es ist offensichtlich der Preis, den 20 Jahre Profi-Handball fordern. Nun nähern sie sich ihrem Ende: Romero, der im Juni 35 wird, hört mit dem Handball auf. Am Wochenende aber spielt er noch mal um einen europäischen Pokal. Mit den Reinickendorfer Füchsen im EHF-Final-Four-Turnier in Berlin.

SZ: Herr, Romero, kommt Ihnen das hier nicht bekannt vor? Vor Jahresfrist gaben Sie schon einmal ein Interview - genau in diesem Lokal.

Romero: Die ganzen letzten Wochen sind wie ein Déjà Vu ...

Schon damals ging es um Ihr Karriereende. Sie hatten es gerade verkündet. Es gab sogar einen Termin für Ihr letztes Spiel. Es war alles geplant. Warum haben Sie doch noch ein Jahr drangehängt?

Bob Henning trug mir die Idee vor. Dann dachte ich: Vielleicht denkst du nach der Rückkehr nach Vitoria ins Baskenland, du hättest noch ein Jahr aushalten können. Und da sagte ich mir: Scheiß drauf. Versuch's. Sonst wirst du's bereuen. Jetzt bin begeistert, hiergeblieben zu sein, den letzten Punch gelandet zu haben.

Diesmal gehen Sie definitiv?

Ganz sicher. Vor einem Jahr sagte mein Körper: Probier's zumindest. Und mein Kopf sagte: Du stehst ganz sicher noch ein Jahr durch. Diesmal sagt mein Kopf: Ein Jahr wäre schwierig, und mein Körper, mein Knie sagen: Das schaffst du nicht mehr. Sie flehen mich an, aufzuhören.

Sie haben eine Reihe von Verletzungen hinter sich.

Allein im rechten Knie hatte ich fünf Operationen.

Bänder? Meniskus?

Alles. Ich habe eine chronische Arthrose. Und nach Spielen hab ich oft das Gefühl, dass das Knie platzt. Wenn du dann nach einer Auswärtspartie noch acht Stunden im Bus sitzen musst und morgens in Berlin wieder aussteigst... Dann lernst du, was schwierige Momente sind.

Wie hält man das aus? Mit Beruhigungsmitteln?

Ich nehme auch Pillen, klar. Aber ich werde auch gut betreut und geschont. Ich trainiere weniger. Aber es ist schwierig.

Berlin Deutschland 21 04 2015 Handball 1 Bundesliga Saison 2014 2015 Füchse Fuechse Berlin

Handballprofi zu sein, empfand Iker Romero als gut bezahltes Privileg. Jetzt, sagt er, "kehre ich zurück ins wahre Leben".

(Foto: imago)

Welche Verletzungen hatten Sie noch?

Uff! Frakturen in beiden Knöcheln, eine chronische Sehnenscheidenentzündung im linken Knie, einen Riss der Supra-ich-weiß-nicht-was-Sehne im Ellbogen, einen rechten Schulterbruch, bei dem zwei von drei Sehnen gerissen sind. Der einzige Finger, der mir nicht brach, ist dieser hier (er zeigt den rechten Zeigefinger). Der ist mir völlig rausgeflogen. Zwei Nasenbeinbrüche, sechs Stiche, als mein rechtes Auge genäht werden musste, oder links? Das weiß ich jetzt nicht mehr. Ich klopf jetzt mal auf Holz, aber ich hatte in 20 Jahren keine einzige Muskelverletzung. Meine Muskeln sind langsam, das ja. Aber kaputt waren bei mir immer nur die Knochen.

Sie sagen dennoch: Das war's wert?

Siiiiihh!

Welche Erinnerungen überwiegen?

Ich werde oft gefragt, ob's die Titel sind. Und natürlich gibt's ein, zwei Spiele, die sofort im Kopf auftauchen. Aber ganz ehrlich: Ich weiß nicht mal, wie viele Titel ich gewonnen habe. Vielleicht erinnere ich mich sogar mehr an die Titel, die ich verloren habe. Das Halbfinale der Olympischen Spiele in Peking zum Beispiel. Ich habe den Europameister und den Weltmeistertitel gewonnen, habe Bronze gewonnen. Aber olympisches Gold, das fehlt mir.

Wann fingen Sie mit dem Handball an?

Mit acht Jahren. In der Schule. Bei uns in Vitoria gibt es eine Handball-Kultur. Als ich 14 war, habe ich die Schule abgebrochen, und mit 15 angefangen, zu arbeiten, Autos zu waschen. In einer Waschstraße. Anderthalb Jahre lang. Bis ich 16 war. Da hat mich Balonmano Valladolid verpflichtet.

Waren Sie schon immer überragend?

Im Gegenteil. Als Bub war ich dicklich. Mit 14, 15 hat mich niemand zu den Regionalauswahlen mitgenommen. Mein erstes Auswahlspiel war nicht mit dem Baskenland, sondern mit Spanien, mit 16. Ich muss mit der Zeit besser geworden sein ...

Dennoch gab es noch viel zu lernen..

In der ersten Liga habe ich mit 17 debütiert. Gegen CB Naranco de Oviedo, daran erinnere ich mich zum Beispiel noch. Ich war Verteidiger, musste Alberto Entrerríos spielen - der hat in Spanien Geschichte geschrieben. Ich stand fünf Minuten auf dem Feld und Entrerríos schloss von vier Angriffen vier mit einem Tor ab. Eigentlich hätte ich da meinen Rücktritt erklären müssen. Aber im nächsten Spiel habe ich mein erstes Tor erzielt.

EHF-Finalrunde: Spielplan

Halbfinals

HSV Handball - Skjern Handbold Sa., 14.00 Uhr

Berlin - Rk Gorenje Velenje Sa., 17.00 Uhr

Finalspiele

Spiel um Platz drei So., 14.00 Uhr

Finale So., 16.30 Uhr

TV: live auf Sky

Es sind dann einige Spiele zusammengekommen. Sie haben allein 200 Länderspiele hinter sich ...

... und auf Vereinsebene sind 80, 90 Spiele pro Jahr dazugekommen. 20 Jahre lang.

Wie hat sich der Handball in dieser Zeit verändert?

Er ist viel schneller geworden. Früher gab's 35, 40 Angriffe pro Partie, wenn alles gut lief, endete ein Spiel 25:22, 24:20. Eine Mannschaft konnte Tempo rausnehmen und zwei Minuten lang angreifen. Heute rennen die Außenstürmer los, sobald der Ball erobert ist. Angriffe dauern 20 Sekunden. Maximal.

Ein Wandel zum Besseren?

Neulich habe ich das olympische Finale von 2000 gesehen, Schweden gegen Russland. Ich dachte nur: Verdammt! Es gibt nicht viele Spieler, die das machen, was die damals machten. In jener schwedischen Mannschaft wusste jeder in jeder Sekunde, in jedem Raum, wo er angreifen musste. Jeder Pass war perfekt.

Technik und Qualität leiden unter der Schnelligkeit?

Sie ruhen nun auf den Schultern von den zwei, drei Spielern, die jedes Team braucht, um eine Partie an sich zu reißen: auf den Cracks. Früher war es so, dass die Mannschaft Priorität hatte. Und die Intuition. Die Rückraumspieler wussten mit einem Blick, wo der Ball hinmusste, und du wusstest, ob du kreuzen oder lang gehen musstest. Unsere Spielzüge hatten ja nicht mal Namen. Heute musst du als Rückraumspieler alle ansagen: "1A, 1B, B1, C, CA..."

Klingt nach Schiffe versenken.

Nicht wahr? Das sind die Chiffren für Angriffsbewegungen.

Wie viele Spielzüge haben Sie?

Oii! Verdammt. Warte mal ... 25 bis 30, würde ich sagen.

Haben Sie Lieblingsspielzüge?

Ich gebe möglichst die einfachsten Spielzüge vor, damit alle Raum haben, ihre Freiheit auszuleben. Handball ist ein sehr schöner Sport. Aber es ist auch ein sehr einfacher Sport. Sobald ein Spieler zwei Gegner überwindet, ist Handball nur noch Mathematik. Einer steht frei.

Woher kommt diese Mechanisierung des Handballs, die Sie bedauern?

Ein Grund dafür ist, dass es früher nicht so viele Spielerwechsel gab. Sogar bei den Nationalmannschaften gibt es eine größere Fluktuation als früher. In Berlin haben wir in der Saison mit den wenigsten Wechseln noch fünf Spieler ausgetauscht. Da brauchst du Muster.

Was unterscheidet den deutschen vom spanischen Handball?

Der deutsche ist viel physischer. Hier dominieren harte, große, starke Verteidiger. Es gibt mehr Konter und eins-gegen-eins-Situationen, mehr Würfe aus der zweiten Reihe. Der spanische Handball ist taktischer.

Iker Romero: "Ich weiß nicht mal, wie viele Titel ich gewonnen habe. Vielleicht erinnere ich mich mehr an die Titel, die ich verloren habe", sagt Romero.

"Ich weiß nicht mal, wie viele Titel ich gewonnen habe. Vielleicht erinnere ich mich mehr an die Titel, die ich verloren habe", sagt Romero.

(Foto: imago)

Was gefällt Ihnen besser?

Ein Mix aus beidem. Reine Taktik reicht nicht. Schauen Sie sich die französischen Olympiasieger an, mit sieben Kerlen, die 120 Kilo wiegen, die nimmst du mit Technik und Taktik allein nicht auseinander. Kiel hat fünf der letzten sechs Meisterschaften gewonnen, weil sie einen guten Mix haben. Sie vereinen Kraft und Schnelligkeit mit Klasse, Qualität, Technik.

Was war in diesem Jahr mit den Füchsen los? Sie sind in der Bundesliga abgeschlagen, im Pokal sind sie gescheitert...

Es gibt viele Gründe dafür, weshalb eine Mannschaft nicht erfolgreich ist. Einer ist, dass es nicht immer auf Anhieb klappt, fünf neue Spieler zu integrieren. Aber wir sind noch beim EHF-Final-Four dabei, für mich ist das Glas halb voll, nicht halb leer.

Sie sollten ja auch deshalb bleiben, weil Sie eines der größten Talente des deutschen Handballs, Paul Drux, anlernen sollten. Wie sehen Sie seine Entwicklung?

Paul ist - wie Fabian Wiede - ein junger Spieler, der schon in der Nationalelf spielt und es wirklich gut macht. Drux hat alles, was ein großer Spieler braucht: Körper, Qualität, einen guten Sprung, Finten. Er verteidigt, ist jung, hat Lust zu lernen.

Was bringen Sie ihm bei?

Situationen richtig zu interpretieren. Es gibt Momente, in denen man clever sein muss, ein richtiger Hund, und es nicht reicht, einstudierte Spielzüge abzuspulen. Das lernt man mit der Zeit. Und durch die richtigen Hinweise.

Auch diese Arbeit scheint Ihnen Freude zu machen. In Berlin zu bleiben, war keine Option?

Nein. Natürlich wird mir von Berlin viel bleiben. Die Stadt ist großartig. Der Handball hat mir viel gegeben, aber auch eins genommen: die Familie, die Heimat, meine Liebsten. Ich klage nicht, ich hab's ja gewollt. Aber jetzt will ich nach Hause.

Wie sehen Ihre Pläne aus?

Ich will mich die ersten zwei, drei Monate ausruhen, um das Knie zu beruhigen. Ich habe einen Plan, der nichts mit Handball zu tun hat, über den ich aber erst sprechen möchte, wenn er in trockenen Tüchern ist. Erst einmal will ich wieder ins wahre Leben zurückkehren.

Sie sagen: zurückkehren?

Handball-Profi zu sein, ist ein Privileg. Ich bekomme Geld für etwas, was ich gratis machen würde. Und genieße! An einem trainingsintensiven Tag bin ich gerade mal vier Stunden lang tätig - für eine Summe, für die ein anderer einen ganzen Tag arbeiten muss.

Money for nothing, wie die Dire Straits sangen?

Nicht for nothing! Du musst schon Qualität haben. Nicht jeder kann Handballspieler werden. Und vier Stunden lang auf die Rippen zu bekommen, ist hart.

Ist das EHF-Finale noch mal ein Höhepunkt zum Abschluss Ihrer Karriere?

Natürlich würde ich den Pokal gerne mitnehmen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Ich glaube kaum, dass ich den EHF-Pokal als den Höhepunkt meiner Karriere in Erinnerung behalten werde, als den finalen Paukenschlag. Woran ich mich erinnern werde, ist, dass ich 20 Jahre lang gekämpft habe. Mich selbst gefordert habe. Das bleibt.

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