Bayern-Gegner FC Arsenal:"Das Team missbraucht Wengers Vertrauen"

Arsenal s Mesut Ozil puts his shot over the bar during the Premier League match at the Emirates Stad

Elegant kicken kann er ja, aber auch willensstark? Bei Mesut Özil (re.) sind die Arsenal-Fans geteilter Meinung.

(Foto: imago/Sportimage)

Im Interview spricht Ex-Arsenal-Stürmer Ian Wright über das chronische Versagen der Londoner, die Amtsmüdigkeit des Trainers - und warum viele Fans Probleme mit Mesut Özil haben.

Interview von Raphael Honigstein

Mittelstürmer Ian Wright war fast 33 Jahre alt, als Teamchef Arsène Wenger im September 1996 den FC Arsenal übernahm. Die professionellen Methoden des Franzosen ließen ihn zum (damaligen) Rekordtorschützen werden (185 Arsenal-Treffer), 1997/98 gewann er mit dem Londoner Team das englische Double. Er ist immer noch glühender Fan der "Gunners", einer der beliebtesten ehemaligen Spieler des Landes, über London hinaus, und er arbeitet heute als Experte für die BBC und BT Sport. Ein guter Gesprächspartner also vor dem Champions-League-Achtelfinale zwischen Arsenal und dem FC Bayern, das mit dem Hinspiel an diesem Mittwoch in München beginnt.

SZ: Mister Wright, Sie haben am Samstag das 2:0 gegen Hull City im Emirates-Stadion verfolgt. Welchen Eindruck macht der FC Arsenal vor dem Hinspiel in München?

Ian Wright: Sie haben gegen Hull nicht besonders gut gespielt. 49 Prozent Ballbesitz gegen einen Abstiegskandidaten - im eigenen Stadion! Eine Arsenal-Elf mit Selbstbewusstsein tritt ganz anders auf, man konnte spüren, dass die zwei Liga-Spiele zuvor (gegen Watford und Chelsea) verloren wurden. Hull hätte einen Punkt verdient gehabt. Alle reden davon, dass die Bayern momentan Probleme haben, dass sie nicht in der Form der vergangenen Jahre sind. Ich bin mir aber sicher, dass Bayern am Ball sehr dominant sein wird, bestimmt besser als Hull. Man muss sich auf jeden Fall Sorgen um Arsenal machen, weil der Gegner stark ist, das eigene Zutrauen niedrig und der Druck sehr hoch. Es steht eine Menge auf dem Spiel, für den Verein und den Trainer. Die Meisterschaft ist mal wieder kein Thema - und das Achtelfinale haben wir seit sieben Jahren nicht überstanden.

Woran liegt das? Der Arsenal-Kader ist ja nicht schlecht besetzt.

Die Spieler haben durchweg nur gutes Premier-League-Niveau. Die Ausnahmen sind Mesut Özil und Alexis Sanchez - beide sind echte Klassespieler.

Angreifer Sanchez ist mit seinen 19 Treffern ohne Frage der beste Mann bei den Gunners. Wie sehen Sie aber Mesut Özils Leistungen in der laufenden Saison?

Er spaltet die Gemüter. Viele Fans behaupten, er drehe nur gegen kleinere Teams auf. Ich verstehe das ehrlich gesagt nicht. Der Mann ist Weltmeister. Es ist sehr leicht, sich an ihm abzureagieren, weil es bei ihm so mühelos aussieht. Wir Engländer lieben es, uns über Körpersprache aufzuregen. Das war schon bei Chris Waddle vor 30 Jahren so, der war vielen zu elegant. Er schwitzte nicht genug. Arsenal muss es schaffen, Özil so an den Ball zu bringen, dass er seine Dynamik im letzten Drittel ausspielen kann. Er braucht Leute um ihn herum, die er anspielen kann, die ihn auch mal in die Tiefe schicken. Das größte Problem ist nicht die Qualität, sondern die Mentalität der Truppe. Arsenal kann es an guten Tagen gegen jede Mannschaft aufnehmen. Von diesen guten Tagen gibt es aber viel zu wenige. Es fehlt der Biss; die Fähigkeit, Siege zu erkämpfen; der Wille, alles für den Erfolg zu tun. Erst, wenn es um nichts mehr geht, weil man das Hinspiel hoch verloren hat, wenn der Druck ganz weg ist, dann spielen sie manchmal toll auf gegen die Großen in Europa - scheiden aber trotzdem aus. Und danach tröstet man sich damit, dass es gegen die Favoriten am Ende doch wieder ganz knapp war.

Sie sprechen die Einstellung an, aber sind die Schwächen nicht auch eine Folge von taktischen Defiziten? Arsenal wirkt ohne Ball oft hilflos.

Das stimmt. Arsenal fühlt sich mit Ball sehr viel wohler. Hoch zu pressen, Räume zuzustellen und den Ball zurück zu erobern, das ist nicht ihr Spiel. Das ist der anstrengende Teil des Fußballs, den bei dieser Mannschaft keiner gerne macht. Ein guter Sechs-Meter-Sprint vorne kann dir den 30-Meter-Weg weiter hinten ersparen, aber von Arsenal sehen wir das, wenn überhaupt, nur in den ersten paar Minuten eines Spiels - und dann ist es auch schon wieder vorbei. Das Mittelfeld steht nicht eng beim Mann; mit zwei, drei Pässen durch die Mitte kommt der Gegner ins letzte Drittel durch. Ich bin mir nicht sicher, wie hart im Training geübt wird, gegen den Ball zu arbeiten. Unter George Graham, dem Vorgänger von Arsène Wenger, konnten wir geschlossen verteidigen und kontern. Arsenal macht das heute kaum. Ein einziges Mal in den vergangenen Jahren, beim Auswärtssieg gegen Manchester City (2:0, im Jahr 2015), haben sie so gespielt. Doch das war Zufall, nicht geplant.

Coach Wenger wird sich und seinen Fußball-Stil mit seinen 67 Jahren wohl nicht mehr ändern.

Er ist mit seiner Idee, ganz auf die technische Qualität seines Teams zu vertrauen, ja nicht so schlecht gefahren. Arsenal hat es in 20 Jahren unter ihm immer in die Champions League geschafft. Aber für die großen Titel braucht man eine andere Einstellung, und dazu ein paar Weltklassespieler, die in der Lage sind, während des Matches selbständig zu reagieren, wenn es nicht von alleine läuft. Sanchez ist so einer, ein Krieger. Ob Özil das auch kann, weiß ich nicht, aber man könnte es ihm wohl beibringen. Beim Rest bin ich nicht sicher, ob sie das nötige Herz und die Leidenschaft aufbringen. Das war früher, vor gar nicht allzu langer Zeit anders: Arsenal stand für Kunst am Ball und Widerstandskraft.

Bayern-Gegner FC Arsenal: Der einstige Torjäger Ian Wright hatte dagegen häufig Grund zum Jubeln.

Der einstige Torjäger Ian Wright hatte dagegen häufig Grund zum Jubeln.

(Foto: imago)

Damals brillierten Thierry Henry, Dennis Bergkamp, Emmanuel Petit und Patrick Vieira mit einem revolutionären Kurzpassspiel auf der Insel.

Und hinter ihnen stand eine perfekt eingespielte Hintermannschaft. Das Allerwichtigste war jedoch, dass sich diese Elf selbst motivierte. Sie müssen verstehen: Arsène Wengers Trainerstil ist ziemlich passiv. Ich fand das persönlich wunderbar, denn ich war es früher gewöhnt, von Trainern ständig angeschrien zu werden. Wenger behandelte uns dagegen wie erwachsene Menschen, er verteilte Lob, betonte, dass man das Spiel genießen und lieben sollte, dass wir uns über unser Glück freuen sollten. In den vergangenen Jahren hatten wir zu viele Spieler, die Wengers Gutmütigkeit ausnutzten.

Was meinen Sie damit?

Erinnern Sie sich, dass José Mourinho Wenger vor drei Jahren als "Spezialist im Versagen" bezeichnete? Meine Arsenal-Mannschaft hätte so eine Respektlosigkeit nicht so einfach stehen gelassen, wir hätten auf dem Platz reagiert. Wissen Sie, was das Team von 2014 gemacht hat?

Sagen Sie es uns, bitte!

Es verlor einen Monat später in Chelsea, bei Wengers 1000. Spiel auf der Arsenal-Bank mit 0:6. Gegen Mourinho, Wengers Erzfeind. Das sagte alles über diese Elf aus. Rio Ferdinand, der ehemalige Manchester-United-Spieler, hat neulich erzählt, dass man gegen Arsenal nach 2007 nur ein bisschen härter spielen musste, denn man wusste ja: Die kommen damit nicht klar. Wenn es ernst wird, fällt das Team auseinander, jede Saison aufs Neue. Es missbraucht Wengers Vertrauen Jahr für Jahr und wird dafür noch belohnt. Und der Boss muss alles ausbaden.

"Das Geschäft ist für Arsenal wichtiger als der Fußball"

Es scheint, als habe die Unzufriedenheit über Wenger nach den jüngsten Rückschlägen im Titelrennen ein neues Niveau erreicht. Entscheidet sich in den Partien gegen Bayern seine Zukunft im Verein?

Wenger entscheidet allein darüber, ob er seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert, das Angebot liegt ihm schon länger vor. Die Champions League ist aber seine letzte Chance, die Saison zu retten, denn Meister werden wir zum dreizehnten Mal in Serie wieder nicht. Ich weiß nicht, ob sich die Fans ein weiteres Mal mit Platz vier und einem guten Abschneiden im FA-Pokal zufriedengeben. Viele Fans wollen das nicht mehr sehen. Sie wollen, dass sich die Dinge nachhaltig ändern. Wenger lässt diese Proteststimmung nicht kalt.

Sie sagten neulich, der Franzose wirke amtsmüde auf Sie.

Ich hatte nach einem Fantreffen diesen Eindruck. Er hat sich mir gegenüber nicht konkret dazu geäußert. Aber er scheint die Sache sehr sorgfältig abzuwägen, sonst hätte er ja schon unterschrieben. An seiner Stelle würde ich wahrscheinlich denken: "Das war es." Aber von mir oder irgendeinem anderen Ex-Arsenal-Spieler werden Sie nie die Forderung hören, dass er gehen soll. Dafür haben wir alle zu viel Respekt vor ihm. Glauben Sie mir: Viele Spieler werden erst hinterher verstehen, wie gut es ihnen mit diesem Visionär erging. Wenn sie mit dem nackten Hintern auf der Straße sitzen, weil ein anderer Wind weht.

Sie bemängeln die fehlende Siegermentalität in der Kabine. Aber fängt das nicht viel weiter oben an? Vereinsbesitzer Stan Kroenke scheint sich nicht besonders für Titel zu interessieren.

Wenger hat viel Macht, weil er die wirtschaftlichen Auflagen des Eigentümers jedes Jahr perfekt erfüllt. Für Kroenke ist der FC Arsenal ein Unternehmen, und Arsène Wenger ist einer der besten Geschäftsführer, die man sich vorstellen kann. Seine Zahlen sind hervorragend, er macht unheimlich viel Geld für die Firma. Das kann man ihm nicht vorwerfen; er macht das sicher nicht, um dem Team zu schaden. Aber die Fans stört es, dass das Geschäft für Arsenal wichtiger als der Fußball ist. Sie sind seit Jahren frustriert und unglücklich. Dem Verein ist das jedoch egal.

Was sagt Ihr Gefühl: Kann Wenger die Stimmung noch einmal drehen, oder läuft es auf das Ende zu?

Nach den Spielen gegen Watford, Chelsea und Hull habe ich nur wenig Hoffnung. Klar: Arsenal kann die Bayern schlagen. Aber würde ich mein Haus darauf verwetten? Sicher nicht.

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