IAAF:Doping-Bericht erschüttert die Leichtathletik

FILE WADA IAAF Report on Doping

Auch auf zerstörte Dopingproben sollen die Ermittler gestoßen sein (Archivbild)

(Foto: dpa)
  • Die Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur will den russischen Leichtathletik-Verband aus dem Welt-Leichtathletik-Verband IAAF ausschließen lassen.
  • Sie ist überzeugt davon, dass es im russischen Leichtathletik-Verband systematisches Doping gegeben hat.
  • Die staatlichen Ermittler stehen noch am Anfang, so war eine weitere Botschaft, die am Montag mitschwang: Es dürften weitere Wellen heranrollen.

Von Johannes Knuth

Am 19. August erklomm Sebastian Coe ein Podest im Konferenzzentrum von Peking. Coe war gerade ins höchste Amt des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gewählt worden. Er sprach über seine Freude, seine Familie, er umgab die meist fremden Zuhörer mit warmen, unverbindlichen Worten. Und dann sprach der ehemalige Weltrekordhalter von dem Fundament, auf dem er seinen krisengeschüttelten Sport wieder aufbauen wolle: "Unser höchstes Gut ist Glaubwürdigkeit. Die Zuschauer müssen glauben, dass die Leistungen im Stadion auf legalem Weg zustande kommen. Die Eltern müssen glauben, dass sie ihre Kinder einem Sport anvertrauen, in dem ihnen kein Schaden zugefügt wird."

Spätestens seit Montag ist aktenkundig, dass die olympische Kernsportart sich in den vergangenen Jahren kaum weiter von diesen Werten hätte entfernen können. Und dass Coes Fundament bereits zerbröselt war, als er mit den weiteren Bauarbeiten beginnen wollte.

Denn am Montag betraten die Kanadier Richard Pound und Richard McLaren sowie der Münchner Günter Younger einen Konferenzsaal im Mandarin Oriental Hotel in Genf; im Gepäck trugen sie einen 335-seitigen Bericht, der nicht nur der Glaubwürdigkeit des olympischen Kernsports, sondern der Glaubwürdigkeit des gesamten Weltsports einen mächtigen Tiefschlag verpasste.

Die Ermittler sollten im Rahmen einer unabhängigen, von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) installierten Kommission prüfen, was die ARD vor einem Jahr über systemisches Doping in der russischen Leichtathletik behauptet hatte. Und jetzt berichtete Pound, das alles noch viel schlimmer sei, er erzählte von "Korruption und Schmiergeld-Praktiken auf höchster Ebene in der Welt-Leichtathletik". Und dass man der IAAF dringend empfehle, den russischen Verband 2016 von allen internationalen Wettbewerben auszuschließen. Auch von Olympia.

Als Begründung zog Pound den Tatbestand des "staatlich gestützten Dopings" heran. Praktiken also, die jene von Coe in Peking besungene Glaubwürdigkeit zerschmettern: Dass die Zuschauer das glauben dürfen, was sie im Stadion sehen. Die Ermittler ordneten Akteure aus der ARD-Dokumentation der Betrugsseite zu, sie fügten weitere Darsteller dazu, die zeigten, wie tief das Betrugssystem in Russland Wurzeln geschlagen hat. Im Verband habe eine "Kultur des Betrügens" geherrscht, die teils bis heute andauere. Gregory Rodschenkow, Chef des von der Wada akkreditierten Anti-Doping-Labors in Moskau, soll 1417 Dopingproben zerstört haben. Ein zweites, baugleiches Labor habe offenbar dazu gedient, Dopingproben vorzutesten; die Kontrolleure ließen positive Proben verschwinden, negative reichten sie an die offizielle Testbehörde weiter. Agenten des russischen Geheimdiensts FSB sollen in Laboren in Moskau und während der Winterspiele 2014 in Sotschi dabei ein "Klima der Einschüchterung" verbreitet haben.

Brisante Folgen für den Weltsport

Staatliche Eingriffe waren derart üblich, so Pound, dass Witali Mutko, der russische Sportminister, unmöglich nichts von all dem habe wissen können; Mutko soll sogar angeordnet haben, Proben zu vernichten. Und die Sommerspiele 2012 waren vermutlich "sabotiert" von einer "Laissez-Faire-Politik der IAAF", die verdächtige Blutwerte russischer Athleten sowie der Türkin Asli Alptekin zuvor nicht ausreichend verfolgt hatte. "Wir empfehlen der Wada, dass der russische Verband für 2016 suspendiert wird", folgert der Bericht nüchtern; außerdem solle man dem Labor in Moskau die Akkreditierung zu kündigen. Zudem rät die Kommission, fünf russische Mittelstreckenläufer sowie fünf Trainer lebenslang zu sperren, darunter Olympiasiegern Marija Sawinowa. Pound ergänzte: "Wir hoffen, dass Russland sein Problem attackiert, dass das Potenzial hat, den Sport zu zerstören."

Manche Befunde waren derart brisant, dass die Wada-Ermittler zuletzt die französische Staatsanwaltschaft alarmiert hatten. Die setzte daraufhin in der vorigen Woche die alte Administration der IAAF fest, allen voran Lamine Diack, den ehemaligen Präsidenten, der 1,2 Millionen Euro damit erlöst haben soll, positive Dopingtests verschwinden zu lassen; dazu Gabriel Dollé, Ex-Chef der medizinischen Abteilung. Interpol teilte am Montag mit, man werde ebenfalls in die Ermittlungen eintauchen. Es dürften also neue Wellen heranrollen, nicht nur aus Russland. "Wir haben erst die Spitze des Eisbergs gesehen", sagte Pound. Die 16 Jahre währende Ära Diacks dürfte schon jetzt als verloren gelten. Denn welchen Bildern kann man noch trauen, wenn die Verbände selbst das größte Problem im Anti-Doping-Kampf waren?

Die an Russland adressierten Forderungen bergen große Brisanz für den Weltsport, auch für Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Der Sport verbrüdert sich ja seit langem mit dem Kreml. Staatschef Putin hat zig Führungsposten bei internationalen Verbänden und im IOC mit Vertrauten bestückt. Wada-Chef Craig Reedie hatte seinem Freund Mutko zudem im Sommer eröffnet, man werde schon nichts unternehmen, was die Freundschaft trüben werde. Es war kein Zufall, dass Pound nun vor allem ARD-Journalist Hajo Seppelt beglückwünschte, der die Ermittlungen von Pounds Kommission angeschoben hatte.

Coe, der Seppelts Recherchen einst als "Kriegserklärung" klassifiziert und zuletzt den Eindruck erweckt hatte, er sei eher Teil des Problems als der Lösung, sagte: Er habe das IAAF-Council gedrängt, "Sanktionen gegen Russland zu erwägen". Aus Russland trafen Botschaften ein, die weniger einsichtig klangen; man halte das für einen politisch motivierten Schlag gegen den russischen Sport. Und Minister Mutko sagte, man habe die Proben auf Geheiß der Wada vernichtet. Fortsetzung folgt.

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