HSV vor Nordderby:Neuanfang in der Existenzkrise

Labbadia neuer Cheftrainer beim Hamburger SV

Der neue Hoffnungsträger beim HSV: Trainer Bruno Labbadia

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Im Werder-Museum ist jene Papierkugel die Attraktion, die den Bremern Anfang Mai 2009 zum 3:1 im Uefa-Cup-Halbfinale beim Hamburger SV verhalf. Das von einem Fan auf den Rasen gefeuerte Knäuel hatte dazu geführt, dass der Ball ein wenig die Richtung änderte und der HSV-Verteidiger Michael Gravgaard ihn zum Eckball ins Aus hoppeln ließ, statt ihn zu Torhüter Frank Rost zurückzupassen.

Daraus entstand das 1:3. Der HSV hatte von vier Spielen binnen 18 Tagen gegen den Nord-Rivalen (zweimal Uefa-Cup, einmal DFB-Pokal, einmal Bundesliga) drei verloren. Es gibt Menschen in Hamburg, die dieses Papierkugel-Drama noch immer dafür verantwortlich machen, dass es mit dem Klub seitdem bergab ging.

Doch das Ungemach, das seitdem über den Hamburger SV hereinbrach, hat eher wenig mit den Launen einer Papierkugel zu tun. Dass ausgerechnet der SV Werder Bremen dem Erzfeind am Sonntag im 102. Bundesliga-Derby nach 52 Jahren fast den Todesstoß in der ersten Liga versetzen könnte, hat mit dem unterschiedlichen Umgang mit den dann folgenden Krisen bei beiden Klubs zu tun.

Als der HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer in dieser Woche in Bruno Labbadia den vierten Trainer der Saison vorstellte, ätzten Hamburger Medien, das sei seine erste richtige Entscheidung gewesen, seit er 2014 den Vorsitz der Fußball AG übernahm. Manche halten ihn nicht für einen richtigen Chef. Dabei sollte Beiersdorfer, wie ein Messias empfangen, den HSV aus seiner ewigen Notlage befreien. Der Klub, in dem sich die Fraktionen mögen wie CDU und Linke, hatte zuvor zahllose Manager, Trainer, Profis und Millionen verbraucht. Nun sollte Beiersdorfer dem Klub eine neue Vision (etwa mit Trainer Tuchel) vermitteln.

Die Millionen, die Anteilseigner Klaus-Michael Kühne zur Verfügung stellte, sollten helfen. Dabei hatten beide Vereine zunächst den gleichen Niedergang zu beklagen. Die Teams waren zu teuer geworden, nachdem sie 2011 (HSV) beziehungsweise 2012 (Werder) nicht mehr in Europa mitspielen durften. Beide haben in den vergangenen vier Jahren mehr als 30 Millionen Euro Minus gemacht. Der HSV hat inzwischen ein negatives Eigenkapital von fast 27 Millionen. Doch während die Bremer den Profi-Etat Stück für Stück von 54 auf 30 Millionen Euro reduzierten, hat ihn der auf die Finanzkraft Hamburgs setzende HSV wegen diverser Notkäufe wieder auf über 50 Millionen Euro ansteigen lassen. Nur weitere Geldgeber könnten ihn finanziell aus der Bredouille befreien.

Krisenbewältigung auf Werder-Art

In Bremen ist Geschäftsführer Thomas Eichin, der Anfang 2013 das Erbe von Klaus Allofs übernahm, nicht besonders beliebt. Aber er hat die fällige Trennung von Dauer-Coach Thomas Schaaf 2013 gut gemeistert und auch mit wenig Geld einige gute Transfers getätigt. Die Modernisierung des Aufsichtsrates im vergangenen Jahr, als Marco Bode dem Vorsitzenden Willi Lemke folgte, wurde trotz politischer Auseinandersetzungen ebenfalls auf Werder-Art bewerkstelligt - relativ dezent.

Und als im Oktober Trainer Robin Dutt scheiterte, wurde - auch mit Bodes Hilfe - der alte Werderaner Viktor Skripnik zum neuen Coach gemacht. Werder ist jetzt also wieder Werder. Beiersdorfer hat dagegen noch viel zu tun, um den HSV wieder zum HSV zu machen. Vielleicht ist Bruno Labbadia ein Anfang. Immerhin hat der ja auch eine HSV-Vergangenheit.

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