HSV-Spielmacher Rafael van der Vaart:Abhängig von den Launen des Kapitäns

Hamburg SV's van der Vaart reacts after the German first division Bundesliga soccer match against Schalke 04 in Gelsenkirchen

Umstrittener Spielführer: Rafael van der Vaart nach dem 3:3 des Hamburger SV am ersten Bundesliga-Spieltag bei Schalke 04.

(Foto: REUTERS)

Seine grandiosen Pässe werden weniger, seine wunderbaren Tore auch: Über Rafael van der Vaart wird mehr in der Klatschpresse berichtet als wegen sportlicher Großtaten. Beim HSV ist eine Debatte entbrannt, ob der Holländer Mitschuld an der Mentalitäts-Misere des Teams trägt.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Am Freitag hat sich mal wieder Klaus-Michael Kühne, 76, gemeldet. Der Speditions-Milliardär fordert im Hamburger Abendblatt, der HSV müsse sich komplett neu aufstellen. Fast alle Amtsträger müssten seiner Meinung nach gehen: der Vorstand, der Aufsichtsrat, der Sportchef, der Trainer. Und einen Vorschlag erneuerte er auch: Präsident solle Felix Magath werden, der Held von 1983, der das Tor zum 1:0-Sieg gegen Juventus Turin im Finale des europäischen Landesmeister-Cups geschossen hatte. Andernfalls will der reiche HSV-Fan seinem Lieblingsklub kein Geld mehr zur Verfügung stellen.

Wäre Kühne konsequent gewesen, hätte er bei seinen Restaurations-Ideen auch seinen Lieblingsspieler Rafael van der Vaart ("Er hat sich auf das Niveau der Mannschaft herunterziehen lassen") auf die Transfer-Liste setzen müssen. Denn der 13 Millionen Euro teure Niederländer, den der Neben-Regent Kühne vor einem Jahr dem zögernden HSV-Vorstand aufschwatzte, indem er dem Klub ein Darlehen als Teil der Ablöse an Tottenham Hotspur gab, liefert immer wieder Anlass, an seiner professionellen Einstellung zu zweifeln.

Seitdem van der Vaart am zweiten Liga-Spieltag nach seiner Auswechslung bei der 1:5-Pleite gegen Hoffenheim die Kapitänsbinde wütend zu Boden warf, ist intern eine Debatte darüber entbrannt, in welchem Maß der Spielmacher Mitschuld trägt an der Mentalitäts-Misere des Teams, die seit dem Amtsbeginn des von Kühne als "Drittligamanager" abqualifizierten Sportchefs Oliver Kreuzer ein großes Thema ist beim HSV. Gern wird diese Schwäche als Hauptgrund dafür genannt, dass der Klub nicht auf die Beine kommt.

Öffentlich fand Kreuzer die Entgleisung "nicht so schlimm". Eine Bestrafung van der Vaarts blieb aus. Kreuzer beißt sich lieber auf die Zunge, als nach seinen diversen Brandreden gegen die Dienstauffassung der Profis eine weitere Baustelle um den Spielmacher zu eröffnen. Gleichwohl weiß der Sportchef inzwischen, dass sein teuerster Spieler nicht das Vorbild ist, als das Trainer Thorsten Fink ihn gerne hinstellt. Es gibt eine Menge Geschichten, die das belegen. Der Kapitän komme vor dem Training meist als einer der Letzten, sei dafür aber als einer der Ersten wieder verschwunden, heißt es. Er bemühe sich insgesamt zu wenig um ein positives Betriebsklima.

Kreuzer war einst als Spieler dabei, "als der FC Bayern in den neunziger Jahren zum FC Hollywood wurde", wie er sich dieser Tage erinnert. Nun wurde der HSV von einigen Medien zum "SV Hollywood" ausgerufen. "Und wir liefern die Vorlagen dazu, das nervt", bekannte der frühere Abwehrspieler Kreuzer. Van der Vaart trägt dazu am meisten bei, auch wenn die Mallorca-Affäre zuletzt die Schlagzeilen bestimmte: Dennis Aogo und Tomas Rincon düsten während der von Trainer Fink trotz des Hoffenheim-Fiaskos gewährten zwei freien Tage ab auf die Insel - nun sind sie für die Auswärtspartie an diesem Samstag bei Hertha BSC suspendiert.

"Wir sind besser als letzte Saison"

Zwar ging vor einem Jahr der Plan auf, mit van der Vaart, der schon von 2005 bis 2008 beim HSV war, einen Stimmungsumschwung hinzubekommen. Doch fortan wurde über den vermeintlichen Retter mehr auf den Klatschseiten berichtet als über sportliche Großtaten - über seine Trennung von Gattin Sylvie, über seine neue Liebe Sabia Boulahrouz und über weitere Details aus der Familie.

Der 30-jährige van der Vaart ist inzwischen ein schwieriger Fall. Seine grandiosen Pässe werden seltener, seine wunderbaren Tore auch. Aber der HSV scheint abhängig geworden zu sein von seiner Phantasie und Tagesform: Ist van der Vaart gut drauf, ist mit dem HSV zu rechnen, wie zum Saisonstart beim zunächst erstaunlichen 3:3 auf Schalke.

Ist er es nicht, geht der HSV eindrucksvoll unter wie nur eine Woche später beim Fünf-Gegentore-Debakel gegen Hoffenheim. So recht scheint er noch nicht wieder in Form zu sein, nachdem er - trotz glanzlos absolvierter Rückrunde - mit einigem Übergewicht aus dem Sommerurlaub zum HSV zurückkehrte.

Ein Kapitän, so die Meinung gerade an der Waterkant, sollte vorbildhaft vorausgehen. Doch in Hamburg grassiert gerade eine Debatte über die Dienstauffassung, die van der Vaart noch befeuert: Aogos und Rincons Kurztrip nach Mallorca fand er zwar "nicht schlau", es sei für ihn aber "kein Problem". Und für die zwei freien Tage lobte er seinen Chef Fink ausdrücklich. Da habe er mal "etwas mit der Familie machen und den Kopf frei bekommen können". Die Frage ist nur, ob der HSV-Fan diese Argumentation angesichts der extremen Formschwankungen des Klubs noch versteht.

Gleichwohl sieht van der Vaart die Lage beim HSV nicht dramatisch. Vergangene Saison habe man nach drei Spielen keinen Punkt gehabt, nun habe man nach zwei Spielen einen. "Wir sind also besser", schließt er daraus. Und dann verspricht er mal wieder mit seinem jungenhaften Charme: "Wir müssen uns in Berlin die Ehre und die Liebe der Fans zurückholen."

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