HSV-Sieg gegen Leverkusen:Mit tausend Pfiffen zum Erfolg

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Wieder da: Rafael van der Vaart rückte wieder in die Startelf des HSV und traf dann sicher vom Elfmeterpunkt.

(Foto: AFP)

Schubsen, treten, rangeln: In einer intensiven Auseinandersetzung schlägt der Hamburger SV Bayer 04 Leverkusen durch ein Elfmetertor mit 1:0. Am härtesten erwischt es Hakan Calhanoglu, der das ganze Stadion gegen sich hat.

Von Ralf Wiegand, Hamburg

Auf den Hamburger SV oder möglicherweise auch auf die Architekten der nun auch nicht mehr ganz so neuen Arena im Volkspark dürften demnächst hohe Regressforderungen zukommen. In diesem Stadion, bespielt in der Regel alle vierzehn Tage von den Fußballern des HSV, kam es am Samstagnachmittag nämlich zu zahlreichen Verletzungen von Trommelfellen, irritierten Gehörknöchelchen und gereizten Hörnerven.

Das Wort Pfeifkonzert, bei solchen Anlässen wie der Rückkehr Hakan Calhanoglus in sein altes Revier sonst gerne benutzt, ist in diesem Zusammenhang eine unverschämte Verniedlichung. Den 20-jährigen Spielmacher, vor dieser Saison aus Hamburg nach Leverkusen verzogen, wollte das Publikum nicht einfach nur auspfeifen, als er mit Bayer zum Bundesligaspiel in der Hansestadt aufkreuzte. Sie nutzten die besondere Akustik der steilen Ränge dieses Fußballtempels, um einen Orkan der Unfreundlichkeit zu entfachen. Ende der ersten Halbzeit hätte er fast das ganze Spiel weggefegt, das zu eskalieren drohte. Es endete dann aber doch regulär mit einem 1:0 für den HSV.

Die Hamburger haben Calhanoglu nicht verziehen

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Die Zeiten, als ganz Hamburg treu den Worten von Vereinsidol Uwe Seeler gehorchte, sind eben auch schon lange vorbei. "Man sollte einem jungen Menschen verzeihen", sagte Seeler dem Sender Sky, aber wenn "einige pfeifen", dann müsse er da eben jetzt durch. Es pfiffen dann nicht einige, sondern alle, die wissen, wie das auf zwei Fingern geht.

Schon als nur das Bild aus dem Inneren des Stadion auf die Videowände übertragen würde, hob das Getöse an, und dann in jeder Szene wieder, in der Calhanoglu nur irgendwie dem Ball nahe kam, mit dem Schiedsrichter redete oder sonst physisch in Erscheinung trat. Die zahlende Hamburger Kundschaft hat dem in Mannheim geborenen türkischen Auswahlspieler jedenfalls nicht verziehen, dass sie ihn vergangene Saison zu ihrem Märchenprinzen krönten, er sie dann aber nach einem unwürdigen Transferspektakel sitzen ließ.

Dass der HSV ohne seine Künste "in der letzten Saison abgestiegen wäre", wie Leverkusens Sportdirektor ebenfalls auf Sky bemerkte - egal. Beschimpft wurde Calhanoglu jedenfalls nach den Texten des schmutzigsten aller Liederbücher für Fangesänge. "Uns als Mannschaft ist doch nur wichtig, dass Leverkusen hier als Verlierer vom Platz geht", beteuerte Hamburgs Heiko Westermann nach dem Spiel, dann stellte er zufrieden fest: "Der Rasen hat gebrannt."

Bayer Leverkusen, sonst auswärts als so genannter seelenloser Plastikklub eher gleichgültig zur Kenntnis genommen, durfte sich in Hamburg plötzlich fühlen wie sonst dort nur, sagen wir, Werder Bremen. Das Spiel entwickelte sich entsprechend hitzig, die Leverkusener spielten nicklig, der HSV bissig. Spielfluss entwickelte sich so kaum, Torchancen lange Zeit überhaupt keine. Freistoß reihte sich an Freistoß, die für Bayer trat allesamt Hakan Calhanoglu, die für den HSV meistens Rafael van der Vaart. Dazwischen: Schubsen, treten, ziehen, rangeln. "Wir hatten alle den Eindruck, dass der Schiedsrichter uns besser hätte schützen können", beschwerte sich Bayers Sportdirektor Rudi Völler nach der Partie, er gab aber auch zu: "Wir haben uns leider anstecken lassen von der Hektik."

Folgerichtig fällt das 1:0 per Elfmeter

Folgerichtig fiel die Hamburger Führung durch einen Elfmeter, und dem aufgeregten Spiel angemessen gab Schiedsrichter Florian Meyer den Strafstoß nach Foul von Bayer-Torwart Leno an Marcell Jansen nicht einfach so, sondern erst nach intensiver Rücksprache mit dem Assistenten Holger Henschel. Ob der Meyer gerufen hatte oder Meyer selbst Zweifel befielen, als er sich erst gegen die wütenden Proteste der Hamburger für Abstoß entschieden zu haben schien, blieb zunächst offen. Rafael van der Vaart jedenfalls verwandelte in der 24. Minute.

Hätte es nicht die Nachspielzeit der ersten Halbzeit gegeben, könnte man gleich bis zum Schlusspfiff vorspulen. Doch in den letzten Sekunden vor dem Pausenpfiff belegte das Spiel beinahe exemplarisch, was passiert, wenn die Atmosphäres derart überhitzt ist wie durch diese Calhanoglu-Sache. Während eines späten Freistoßes direkt an der Torauslinie, unmittelbar vor den HSV-Fans, flogen zunächst Gegenstände aufs Spielfeld, begleitet von üblen Schmähgesängen.

Gelbe Karte, Pause, Puh.

Und in der ersten Sekunden nach diesem Freistoß trat Leverkusens Donati gegen Jansen zu, was den gleichen Effekt hatte wie eine Bockwurst auf dem Hundeübungsplatz: Rudelbildung vom Feinsten! Florian Meyer zückte hie und da eine gelbe Karte, Pause, Puh.

Die zweite Hälfte brachte immerhin weniger Härte, aber auch nicht viel mehr Fußball. Dafür hätte schon Leverkusen sorgen müssen, aber die Rheinländer schienen beeindruckt von der aufgeladenen Atmosphäre in Hamburg und dem Kampfgeist des Gegners. Die wenigen Situationen im Strafraum des HSV blieben völlig ungefährlich, Torjäger Kießling ein Totalausfall, Calhanoglu bemüht, aber unpräzise. Nur Karim Bellarabi hatte eine wirkliche Chance, in allerletzter Sekunde, traf aber den Innenpfosten.

Der HSV seinerseits riskierte nichts, um eine Entscheidung zu erzwingen, sondern verließ sich auf den starken Valon Behrami im defensiven Mittelfeld und die diesmal fehlerlose Innenverteidigung, obwohl Heiko Westermann mitspielte. Rafael van der Vaart, der andere altgediente Problemfall im Team, wurde nach einer Stunde ausgewechselt. Ein bisschen war das der nun noch defensiveren Taktik geschuldet, aber es bahnt sich eben auch eine Zeitenwende in Hamburg an: van der Vaart kann so ein Spiel zwar noch entscheiden, aber er bestimmt es nicht mehr.

Für diesen Fall hatte der HSV einst Hakan Calhanoglu verpflichtet, den Kronprinz, den Nachfolger. Es ist alles ganz anders gekommen. Den vorerst letzten Gefallen tat der verlorene Sohn, als er mit Beginn der Nachspielzeit einen Freistoß aus verheißungsvoller Position harmlos in den Strafraum schob. Da bejubelten ihn sogar die HSV-Fans.

Nach dem 90-minütigen Spießrutenlauf für Calhanoglu und einem lautstarken Wortgefecht der beiden Coaches setzten sich die Scharmützel auch nach Spielende nahtlos fort. Verbal. "Was auf dem Platz veranstaltet wurde, hatte wenig mit Fußball zu tun.", polterte Leverkusens Trainer Roger Schmidt. "Ich denke, beide Mannschaften haben sich von der Hektik anstecken lassen", sagte HSV-Trainer Joe Zinnbauer, der naturgemäß eine völlig andere Sicht auf das harte Spiel hatte: "Der Kollege sagt, dass sie oft durch Fouls unterbrochen wurden. Ich denke, wir auch." Schon während der Partie waren die beiden Trainer nicht gerade entspannt miteinander umgegangen.

"Ich wollte nur sprechen", sagte Zinnbauer später zur Szene kurz vor dem Seitenwechsel: "Es hat vielleicht so ausgesehen, dass ich ihm an die Wäsche wollte, aber das war nicht so." Schmidt sprach nach dem Spiel von einer "Treibjagd" auf seinen Spieler Donati. "Das fand ich nicht in Ordnung und habe es so artikuliert, wie es in solch einer Situation möglich ist", meinte der 47-Jährige, der sich bisher noch keinen Namen als gelassener Verlierer gemacht hat.

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