HSV gewinnt Abstiegs-Duell:Den Schrecken besiegt

Fünf Monate hatte Pierre-Michel Lasogga kein Tor mehr erzielt - bis ihm ausgerechnet gegen Angstgegner Werder ein Doppelpack gelingt. Die Hamburger sind damit schon fast gerettet.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der Hamburger SV hatte in den vergangenen zehn Jahren eine Art Werder-Trauma. 2006 schnappte der Nord-Rivale ihm die direkte Teilnahme an der Champions League weg. 2009 verspielte man gegen die Bremer in vier Spielen binnen 19 Tagen die Final-Teilnahmen im DFB-Pokal, im Uefa-Cup sowie das Mitwirken an der Champions League; und in der Saison 2013/2014 hätten zwei verlorene Lokal-Derbys fast den Abstieg bedeutet.

Auch HSV-Stürmer Pierre-Michel Lasogga musste seit fünf Monaten mit Misserfolgen umgehen. Sein vorerst letztes Tor schoss er im November 2015, es war ein Foulelfmeter beim 3:1 gegen Borussia Dortmund. Seitdem: 669 Minuten auf dem Rasen ohne Treffer. Ein Torjäger, der seinen Job nicht mehr erfüllte.

Am Freitagabend haben sowohl seine Mannschaft als auch er selber den Schrecken besiegt. Der HSV hat mit dem 2:1 im 104. Bundesliga-Duell gegen die Bremer, das erneut als Abstiegs-Derby in die Geschichte einging, fast den Klassenerhalt geschafft und erstmals nach 38 Jahren wieder beide Punktspiele (Hinserie 3:1) gewonnen. Und wer hat die beiden Tore geschossen, die Werder stattdessen noch tiefer in den Abstiegssumpf trieben? Natürlich Lasogga, jener Stürmer, der eigentlich hätte verzweifeln müssen ob seiner permanenten Erfolglosigkeit.

Hamburger SV - Werder Bremen

Starker Schädel: Beim Jubel trifft Pierre-Michel Lasoggas Kopf, mit dem er gerade das 1:0 erzielt hat, auf die Brust seines Hamburger Kollegen Emir Spahic.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Lasogga sagt: "Ich habe immer gewusst, dass ich es kann"

Die meisten Psychologen empfehlen Trauma-Patienten, sich der Angst zu stellen. Lasogga dagegen hatte sein eigenes Rezept: "Ich habe nie darüber nachgedacht und immer gewusst, dass ich es kann." Es wurden seine Saisontore sieben und acht, beide Male nach exzellenten Flanken. Erst war Nicolai Müller dem Werder-Verteidiger Papy Djilobodji in der 5. Minute mühelos enteilt und hatte den Ball auf Lasoggas Kopf geschaufelt; eine knappe halbe Stunde später zirkelte Matthias Ostrzolek das Leder von der linken Seite vor das Tor, und der 90-Kilo-Mann Lasogga rammte ihn brachial per Schädel in den Kasten, ohne dass ihn jemand hindern konnte.

Womöglich hatte auch der Trainer Bruno Labbadia seinen psychologischen Anteil an diesem Comeback. Er habe, berichtete Lasogga, ihn vor der Partie beiseite genommen und gesagt, er sei ein Spieler, der Emotionen brauche. Und deshalb sei das Nordderby "genau mein Spiel". Sportchef Peter Knäbel ergänzte später: "Wenn die Nummer neun funktioniert, funktioniert das ganze Team."

Nach Abpfiff war Lasogga platt, in Mainz ist er gesperrt

Dabei hat streng genommen das Team nur eine Halbzeit funktioniert. Dann, hat Offensivspieler Ivo Ilicevic korrekt analysiert, "haben wir aufgehört, Fußball zu spielen und die Konter sehr schwach ausgespielt". An den schlecht gespielten Kontern hatte auch der Bulle Lasogga, der von seiner Berater-Mutter Kerstin den öffentlichen Spitznamen "pml 10 Maschine" zugeteilt bekam, seinen Anteil. Einige technische Mängel waren ebenso wenig zu übersehen wie die schwindende Kraft. "Der Körper ist leer, ich bin komplett platt", beschrieb Lasogga seinen Zustand nach dem Abpfiff. Zudem handelte er sich wie Michael Gregoritsch die fünfte Gelbe Karte ein und fehlt nun in der Auswärtsbegegnung bei Mainz 05.

Schema & Statistik

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Dafür machte er sich wieder einen Namen als Teamspieler. Nach dem 1:0 stürmte er auf seinen Konkurrenten Sven Schipplock zu, der auf der Ersatzbank saß, und umarmte ihn. Und weil er nun nicht in Mainz spielen darf, sagte er: "Jetzt ist Sven dran. Ich hoffe, dass er seine Chance nutzt und sein erstes Tor macht." Da klang ein bisschen Mitgefühl mit seinem Stürmerkollegen durch, der noch nicht ein Mal traf, seit er im vergangenen Sommer von Hoffenheim nach Hamburg wechselte.

"Drobo ist ein abgewichster Hund", lobte Labbadia seinen Torwart-Oldie

Der zweite Derby-Held war Jaroslav Drobny, der den gesperrten Keeper René Adler vertrat. Denn nach der Pause enterte Werder, das zunehmend seine Müdigkeit vom DFB-Pokalspiel beim FC Bayern am Dienstag aus den Beinen schüttelte, seinen Strafraum. So hielt er in der 56. Minute einen Elfmeter von Claudio Pizarro, nachdem dieser von HSV-Kapitän Johan Djourou gefoult worden war. So schlecht hat der matte Peruaner allerdings noch nie einen Strafstoß geschossen. "Drobo ist ein abgewichster Hund", lobte Labbadia seinen 36 Jahre alten Team-Oldie: "Wenn er gebraucht wird, ist er da." Nur gegen den Nachschuss von Anthony Ujah (65.) war er machtlos, was den Hamburgern noch etliche brenzlige Minuten bescherte.

Während Werder sich nun auf den nächsten Abstiegsgipfel am 2. Mai gegen den VfB Stuttgart vorbereiten muss, könnte dem HSV vielleicht schon ein Remis in Mainz reichen, um die nächste Bundesliga-Saison planen zu können. Wie wichtig es war, das Werder-Trauma zu besiegen, wird schon an den Punktezahlen deutlich. Im vergangenen Jahr bedeuteten 35 Punkte für die Hamburger den Relegationsplatz. 2016 reichen dafür vielleicht nicht jene 37 Zähler, die der HSV jetzt erkämpft hat. Die würde Werder erreichen, wenn die Heimspiele gegen Stuttgart und Frankfurt gewonnen werden. Die HSV-Fans haben schon einmal die Häme zurück gegeben, die ihnen in den beiden Relationsjahren aus Bremen entgegenschlug. Sie sangen: "Zweite Liga - Bremen ist dabei!"

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