Holland scheidet sieglos aus:So schlecht wie 1984

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Oranje am Boden: Die Niederländer verlieren auch ihr drittes Gruppenspiel mit 1:2 gegen Portugal und verabschieden sich zutiefst enttäuscht von der EM - lange präsentierte sich keine Elftal mehr so erfolglos. Die Portugiesen sichern sich dank des überragenden Cristiano Ronaldo den Viertelfinal-Einzug.

Johannes Aumüller

Es waren noch mehr als 20 Minuten zu spielen, doch Bert van Marwijk deutete schon hektisch auf die Uhr, sobald das Spiel für eine Millisekunde unterbrochen war. Weiter, weiter, schrie der Trainer der Niederlande, doch es ging nicht weiter, jedenfalls nicht für seine Elf. 1:2 (1:1) verlor es gegen Portugal und wurde damit punktlos Tabellenletzter. Erstmals seit 1984 findet ein EM-Turnier nach der Vorrunde ohne die Niederlande statt, während Portugal nun im Viertelfinale auf Tschechien trifft.

EM-Aus trotz Tor und Pfostenschuss: Rafael van der Vaart muss mit Holland nach Hause fahren. (Foto: dapd)

Wenn man das in den vergangenen Tagen richtig mitbekommen hatte, hatte sich bis zum Anpfiff ja jeder Holländer bis hinauf zu Königin Beatrix für jene Aufstellungsvariante ausgesprochen, in der vorne Robin van Persie und Klaas-Jan Huntelaar gemeinsam agieren und in der im Mittelfeld Rafael van der Vaart anstelle von Mark van Bommel aufläuft.

Und endlich, endlich ließ sich auch Bondscoach van Marwijk davon überzeugen und brachte diese Formation erstmals bei der EM von Beginn an - eine solche Offensive schien einfach zwingend notwendig zu sein, um denn erforder- lichen Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied herauszuschießen.

Van der Vaart punktet früh

Doch zunächst sah alles so aus, als sei die ganze Umstellung ein irre guter Bluff gewesen. Denn der Mark van Bommel mit dem Mark-van-Bommel-Gesicht saß zwar draußen, aber auf dem Feld gab es nun plötzlich einen Mark van Bommel mit Rafael-van-der-Vaart-Gesicht. In seiner ersten Aktion checkte er seinen Gegenspieler um, kurz darauf grätschte er nur knapp an einem Foul vorbei, und noch ein wenig später zuckte seine Hand schon eindeutig in Richtung gegnerisches Trikot, blieb aber im letzten Moment zurück. Allerdings tat van der Vaart auch etwas, was van Bommel zuletzt nicht mehr tat: Er schoss ein Tor.

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Die Vorbereitung war völlig verkorkst, die Mannschaft gewann ein Turnier, an das sich niemand mehr erinnert - und die Weltkarriere des Vorzeigespielers begann mit einem ungewöhnlichen Handel. Fünf Fakten, die Sie über das portugiesische Team noch nicht wissen.

Erst kürzlich hatten die Bürger in Charkow in einer Abstimmung die sieben Wunder ihrer Stadt gekürt, und es ist schade, dass die Abstimmung schon vorbei ist, denn ansonsten hätte dieses Tor beste Chancen gehabt. Denn in der Entstehung des Tores hatte Robben den Ball auf dem rechten Flügel bekommen, also war Robben nach innen gezogen und nein, dann hatte Robben erstmals in seiner langen Karriere als Fußballprofi nicht abgezogen, sondern auf van der Vaart gepasst, der von kurz jenseits des Strafraums mit links zum 1:0 traf (11.).

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Ein erfolgreicher Torhüter vom Schwanensee, ein edler Ritter im Trainingsanzug und fußballspielende Amateure, die sich sonntags auf der Wiese selber ihr liebstes Hobby verbieten: Fünf Fakten, die Sie über das niederländische Team noch nicht wussten.

Das Problem war: Dieses Tor war ja erst die Hälfte des Nötigen. Das noch größere Problem war: Die Elftal kam trotz ihrer umgestellten Offensive kaum zu Gelegenheiten für ein zweites Tor. Zu stark stand der gegnerische 4+3-Riegel. Stattdessen erarbeiteten sich die Portugiesen eine Chance nach der anderen. Doch der Schuss von Cristiano Ronaldo landete am Außenpfosten (16.); Angreifer Helder Postinga vergab nach einem bösen Fehler von Verteidiger Gregory van der Wiel freistehend (18.); Raul Meireles traf nur ans Außennetz (19.); und einen Kopfball von Ronaldo (23.) hielt der gegnerische Torwart.

Abwehr total überfordert

Erst nach 28 Minuten gelang der völlig verdiente Ausgleich: Der aufgerückte Rechtsverteidiger Joao Pereira spielte einen feinen Schnittstellenpass auf Cristiano Ronaldo, der seine dritte Chance des Abends zu seinem ersten Tor bei dieser EM nutzte - und der kurz danach beinahe sein zweites Turniertor erzielt hätte. Ronaldo ansatzlos aus 30 Metern, Ronaldo mit dem Kopf, Ronaldo mit feiner Einzelleistung - die Elftal-Abwehr wirkte wie gegen Deutschland überfordert. Trainer van Marwijk räumte nach dem Spiel ein: "Wir haben zu viele Fehler gemacht. Nicht nur die Spieler - ich auch."

Immerhin hatten die Niederländer in der zweiten Hälfte einen Vorteil gegenüber ihrem Gegner: Ihr Spielziel war klar, sie mussten noch mindestens zwei Tore erzielen. Die portugiesische Elf hingegen war etwas in der Zwickmühle. So lange es beim zweiten Gruppenspiel remis stand, war sie mit dem 1:1 weiter und entsprechend war eher Defensive angesagt, um nicht ein Kontertor zu fangen. Doch was wäre, wenn Dänemark noch ein Tor schießt?

Würde sich Portugal dann nicht wahnsinnig über seine Zurückhaltung ärgern, zumal es offenkundig mehr Offensivkraft besaß als die Niederländer? Sie entschieden sich für eine Variante aus weitgehender Sicherheit mit kleinen offensiven Einsprengseln, weshalb es in der zweiten Hälfte zu deutlich weniger Torszenen kam als vor der Pause.

Die beste hatte Nani nach einem brillanten Querpass von Ronaldo in der 72. Minute, doch es war nur recht und billig, dass Torwart Maarten Stekelenburg dessen Schuss aus nur vier Metern Entfernung hielt. Denn das spielentscheidende und viertelfinalsichernde Tor zu erzielen, das musste an diesem Abend dem überragenden Ronaldo vorbehalten sein - und der tat das dann, in der 74. Minute, mit einem Zehn-Meter-Schuss.

Immerhin kamen die Niederlande danach noch zu Chancen, unter anderem einem Pfostenschuss von van der Vaart - doch da war es zu spät. Den Schlusspunkt bildete, natürlich, Ronaldo: mit einem Pfostenknaller.

© SZ vom 18.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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