Holland:Oranje auf Eis

Die Eisschnelllauf-Nation Niederlande schiebt sich auf Platz zwei des Medaillenspiegels, weit vor der Skifahrernation Österreich.

Vor lauter Deichen, Tulpen und Wiesen vergisst einer ja schnell, dass es auch in den Niederlanden Berge gibt. Oder sagen wir Hügel. 322 Meter hoch ist der Vaalserberg bei Aachen, die Niederländer teilen ihre höchste Erhebung zwar mit Belgien und Deutschland, aber sie sind so stolz auf ihren tollsten Aussichtspunkt, dass sie ihn zugestellt haben mit hölzernen Hochsitzen, von denen man noch weiter in die Ferne blicken kann, wenngleich nicht ganz bis zum Meer, auf das seit jeher die Holländer ihre Sehnsucht treibt.

Holland: „Es soll gemütlich werden. Das ist nur mit der Kleintje-Pils-Gruppe möglich“, sagt der Trommler der Kleintje-Pils-Gruppe, die in Südkorea in den Eispausen aufs Eis geschickt wird, um die vielen Medaillen der niederländischen Eisschnellläufer zu feiern.

„Es soll gemütlich werden. Das ist nur mit der Kleintje-Pils-Gruppe möglich“, sagt der Trommler der Kleintje-Pils-Gruppe, die in Südkorea in den Eispausen aufs Eis geschickt wird, um die vielen Medaillen der niederländischen Eisschnellläufer zu feiern.

(Foto: Vadim Ghirda/AP)

Auf den Wilhelminaberg, eine Berghalde aus der Zeit des Steinkohlebergbaus und nunmehr den fünfthöchsten Gipfel der Nation (239 Meter), haben die Niederländer unter Anwendung all ihrer ingenieurwissenschaftlichen Fähigkeiten eine Halle verfrachtet. Nicht eine schnöde Turnhalle, sondern Europas größte Skihalle. Gerüchten zufolge plant der Betreiber noch die Errichtung eines Turms, um so den höchsten Punkt des Landes auf seinem Grundstück zu wissen. Aber selbst damit kann er nicht über eine unumstößliche Gewissheit hinwegtäuschen: Wenn der Niederländer skifahrtauglichen Schnee erleben will, also echten, der aus Wolken fällt und nicht aus Kanonen verschossen wird, dann muss er ins Ausland fahren.

Holland: Am Samstag hatten Antoinette de Jong, Carlijn Achtereekte und Ireen Wüst das Podium nach dem Rennen über 3000 Meter ganz für sich allein (v.l.).

Am Samstag hatten Antoinette de Jong, Carlijn Achtereekte und Ireen Wüst das Podium nach dem Rennen über 3000 Meter ganz für sich allein (v.l.).

(Foto: Javier Soriano/AFP)

Ganz egal. Für die Olympischen Winterspiele reicht es dann ja doch immer.

Am Dienstag schoben sich die Niederländer in der Medaillenwertung mal wieder vor auf Platz zwei. Sie liegen nun gleich hinter der Rodel-, Biathlon- und Skisprungnation Deutschland und weit vor der Skifahrernation Österreich. Sie sind ja die Eisschnelllaufnation. Sich auf Eisschnelllauf zu spezialisieren, ist ziemlich raffiniert. Weil Eisschnelllauf a) in der Halle und nicht in den Bergen ausgetragen wird, b) völlig ohne Schnee auskommt - und c) ziemlich viele Medaillen zu vergeben hat.

"Eine Nation ohne Schnee und Eis dominiert die Spiele", jubelt das Algemeen Dagblad

Und so kommt es nun, dass die Niederländer die Goldmedaillen bei den Eisschnelllauf-Wettbewerben der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang völlig unter sich aufteilen. Nach den Siegen von Carlijn Achtereekte (3000 m), Sven Kramer (5000 m) und Ireen Wüst (1500 m) gewann am Dienstag auch noch der Favorit Kjeld Nuis das 1500-m-Rennen der Männer. In 1:44,01 Minuten verwies der Weltmeister Patrick Roest (natürlich ein Landsmann) und Kim Min Seok (der erstaunlicherweise Südkoreaner ist) auf die Plätze. Nach dem Gewinn der Bronzemedaille lief Kim eine Ehrenrunde, im Gangneung Oval brach großer Jubel aus. Aber den größten Jubel hätten die Niederländer verdient gehabt: Bei den Männern hält das TeamNL nun alle Olympia-Titel. Dies war zuvor nur den USA gelungen, für die Eric Heiden 1980 alle Rennen gewann. Damals gab es allerdings keine Team-Entscheidungen. Vor vier Jahren in Sotschi hatte bei den Männern einzig der Pole Zbigniew Brodka die Niederländer besiegt. Brodka wurde am Dienstag Zwölfter.

Holland: Am Dienstag gewann Weltmeister Kjeld Nuis Gold über 1500 Meter, für die Niederlande war es der vierte Sieg im vierten Rennen.

Am Dienstag gewann Weltmeister Kjeld Nuis Gold über 1500 Meter, für die Niederlande war es der vierte Sieg im vierten Rennen.

(Foto: Aris Messinis/AFP)

"Eine Nation ohne Schnee und Eis dominiert die Spiele. Für ein Land, in dem Wasser seit Menschengedenken nicht mehr zufrieren will und Schnee eine Seltenheit ist, läuft es nicht schlecht in Pyeongchang", schrieb die niederländische Tageszeitung Algemeen Dagblad. In Lettele, einem 600- Einwohner-Dorf bei Deventer, aus dem Achtereekte kommt, brach nach dem ersten Gold Volksfeststimmung aus. Die Bewohner hingen spontan die Nationalfahne auf und schmückten ihren Ort. Auch bei Willem-Alexander war die Begeisterung unverkennbar. Der niederländische König hatte Kramers Goldlauf auf der Tribüne des Gangneung Oval mit lauten "Sven! Sven!"-Rufen begleitet, den Zieleinlauf bejubelte der Monarch ausgelassen. "Wenn du dreimal nacheinander Gold über 5000 Meter gewinnst, bist du ein Held", sagte Willem-Alexander: "Absolut fantastisch!" Der Sieg im 5000-m-Rennen in olympischer Rekordzeit von 6:09,76 Minuten sicherte "Keizer Kramer" am Montag einen Eintrag in die Geschichtsbücher: Er hat als erster männlicher Eisschnellläufer acht Medaillen bei Winterspielen gewonnen. Als erstem männlichen Athleten seiner Sportart gelangen ihm zudem drei Olympiasiege über dieselbe Distanz.

Der Deutsche Patrick Beckert (Erfurt) nannte Kramer nach dem Rennen ehrfürchtig den "besten Eisschnellläufer aller Zeiten". Besser hätte der Start in die Winterspiele für die Niederländer nicht laufen können. Dabei hatten sie eigentlich tief gestapelt. Das Rekordergebnis mit 23 von 32 möglichen Eisschnelllauf-Medaillen vor vier Jahren in Sotschi - davon acht Olympiasiege - galt als unerreichbar. Das niederländische NOK schraubte die Erwartungen herunter, neun bis 15 Medaillen wurde als Ziel ausgegeben. Laufen Nuist, Kramer, und Wüst weiter so wie bisher, dürften sich die Niederlande ihren Medaillenzielen schnell nähern.

Und so richtig übel kann es ihnen auch keiner nehmen. Weil sie die Band "Kleintje Pils" mitgebracht haben, die in den sogenannten Eispausen aufs Eis geschickt wird. 14 Musiker, die orangefarbene Hemden tragen und Holzschuhe. "Tulpenzwiebeln, Käse, Holzschuhe und Oranje-Blasmusik. Das ist, was wir machen", sagte der Trommler der Musikanten dem Sportinformationsdienst. Es sei ja so: "Es soll gemütlich werden. Das ist nur mit der Kleintje-Pils-Gruppe möglich." Und dass der Sportinformationsdienst überhaupt nachfragen musste bei einer Karnevalstruppe, das zeigt schon, wie sehr die Niederländer Pyeongchang unter Kontrolle haben.

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