Holland:Alles wieder von vorne

Der niederländische Fußball liegt am Boden, der neue Bondscoach Ronald Koeman soll ihn aufrichten. Mit ihm könnte sich das Nationalteam vom 4-3-3 verabschieden.

Von Ulrich Hartmann

Auf seinem idyllischen KNVB-Campus arbeitet der Königlich-Niederländische Fußball-Bund an einer besseren Zukunft. Auf dem Rasen und in den Hörsälen werden im Städtchen Zeist im Herzen des Landes Talente geschult und Trainer ausgebildet. Hier, wo sogar die Sessel orange sind, hat der Verband am Dienstag seinen neuen Nationaltrainer vorgestellt. Ronald Koeman, 54, hat allerdings keine idyllische Aufgabe vor sich. Er muss einen Karren aus dem Dreck ziehen. Er muss Oranje jenen Fußball zurückgeben, der im Campus so hoffnungsvoll proklamiert wird. "Die Teams von morgen werden heute geformt", lautet hier das Motto. Doch in Wahrheit liegt der niederländische Fußball am Boden.

Niederländische Fußballtrainer sind zurzeit vor allem in den Niederlanden beliebt. Von den 18 Erstligisten haben 17 einen niederländischen Trainer. International spielen Oranje-Trainer oder auch die Klubs derzeit keine Rolle. Im Europapokal ist kein einziger niederländischer Verein mehr vertreten. Die Nationalelf versäumt nach der Europameisterschaft vor zwei Jahren auch die bevorstehende Weltmeisterschaft in Russland. Der niederländische Fußball schmort im eigenen Saft, weshalb seine einst so beliebten Botschafter außerhalb des Landes kaum noch vertreten sind. Wäre der frühere Europacupsieger Clarence Seedorf am Montag nicht als neuer Coach des spanischen Erstligisten Deportivo La Coruña präsentiert worden, dann gäbe es in den europäischen Topligen in England, Spanien, Deutschland, Italien und Frankreich aktuell keinen niederländischen Vereinstrainer mehr. Der einst umjubelte Voetbal total ist aus der Mode gekommen. Er ist zu riskant.

EINDHOVEN PSV Feyenoord voetbal Eredivisie seizoen 2012 2013 23 09 2012 Philips Stadion Fey

Neuer Nationaltrainer der Niederländer: Ronald Koeman.

(Foto: Pro Shots/imago)

Unter Danny Blind hat Oranje deshalb die EM 2016 in Frankreich verpasst, unter Dick Advocaat die Qualifikation für die WM. Unter Marcel Keizer scheiterte Ajax Amsterdam in der Qualifikationsphase zur Champions League ebenso wie gleich im Anschluss in jener zur Europa League. Erik ten Hag scheiterte dort mit dem FC Utrecht genauso wie Phillip Cocu mit dem PSV Eindhoven. Unter Giovanni van Bronckhorst spielte Meister Feyenoord Rotterdam als einziger niederländischer Europapokalteilnehmer in der Champions League - und schied als Gruppenletzter aus.

Sympathieträger Koeman war schon zweimal im Gespräch

In der Bundesliga wurden in dieser Saison Gertjan Verbeek beim VfL Bochum entlassen, Andries Jonker beim VfL Wolfsburg und Peter Bosz bei Borussia Dortmund sowie in der englischen Premier League Frank de Boer bei Crystal Palace und Ronald Koeman beim FC Everton. Der KNVB hatte also die große Auswahl, als er sich jetzt für einen neuen Bondscoach entscheiden musste. Er wählte nun den schon länger dafür aufgeschlossenen Koeman, nachdem man diesem zuvor einmal Louis van Gaal und einmal Guus Hiddink vorgezogen hatte. Sein Debüt gibt Koeman am 23. März in Amsterdam mit einem Freundschaftsspiel gegen England.

Niederländischer 4-3-3-Fußball war einst ein Qualitätssiegel, von Johan Cruyff geprägt. 1988 wurden die Niederlande in München Europameister, 1995 gewann Ajax Amsterdam die Champions League und verkaufte seine Spieler anschließend nach ganz Europa. 2010 verloren die Niederlande das WM-Finale gegen Spanien. 2014 wurden sie immerhin noch Dritter, aber bloß, weil der Trainer van Gaal dem traditionellen niederländischen Spielsystem bereits abgeschworen hatte und mit Fünferkette spielen ließ. Das sorgte im Land für Empörung, doch als van Gaals Nachfolger Guus Hiddink, Blind und Advocaat zum Nationalheiligtum 4-3-3 zurückkehrten, gelang überhaupt nichts mehr. Jetzt geht alles von vorne los.

Holland: Ewige Rivalen: Der heutige Bondscoach Ronald Koeman (rechts) wird 1989 verfolgt von Lothar Matthäus.

Ewige Rivalen: Der heutige Bondscoach Ronald Koeman (rechts) wird 1989 verfolgt von Lothar Matthäus.

(Foto: Kicker/Liedel/imago)

Koeman, Europameister von 1988, muss eine ganz neue Nationalmannschaft aufbauen und gilt den Fußballfans in den Niederlanden dafür nicht nur taktisch, sondern auch emotional als geeignet. "Gezelligheidsmens" nennen ihn die Zeitungen: einen Sympathieträger. In seinen neun Klubs (Arnheim, Ajax, Benfica Lissabon, Eindhoven, Valencia, Alkmaar, Feyenoord, Southampton, Everton) hat der 54-Jährige als Trainer zudem beweisen, dass er nicht dem einen System hörig ist, sondern die Taktik lieber den Fähigkeiten der Spieler anpasst. Da kommt auch mal eine Fünferkette zum Einsatz. Koeman gilt als pragmatisch, der Zweck heiligt die Mittel. Anders wäre der niederländische Fußball aus seiner lethargischen Nostalgie auch wohl kaum noch zu erretten. Wie gut der neue Coach es macht, kann die deutsche Mannschaft schon im kommenden Herbst überprüfen, wenn sie in der neuen Nations League Gegner der Niederländer ist.

Bereits in den Jahren 2012 und 2014 war Koeman ein seriöser Kandidat auf den Posten als Bondscoach gewesen, doch gab der Verband erst van Gaal und dann Hiddink den Vorzug. Nur Assistent, wie bereits bei der WM 1998, wollte Koeman aber nicht sein, und so lehnte er das Angebot vor vier Jahren entrüstet ab. Mit Eric Gudde, dem jetzigen neuen Sportdirektor des KNVB, hat Koeman einst drei Jahre lang bei Feyenoord Rotterdam zusammengearbeitet. Man kennt und schätzt sich also - schon an dieser Mindestvoraussetzung war der niederländische Fußball in jüngster Vergangenheit gescheitert.

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