Hohe Erwartungen bei Olympia:Die Last des Sports

Ein Olympia-Athlet braucht viel Kraft, um sich all den Unwägbarkeiten zu stellen, die den Sport ausmachen. Die Medaillen, die es in London zu verteilen gibt, sind längst mehrfach eingeplant - gewinnen kann sie aber immer nur einer. Schon deshalb werden viele wieder versuchen, etwas nachzuhelfen.

Claudio Catuogno

London. Zehntausenden Athleten ist diese Stadt, sind diese Spiele zugleich Ziel, Ansporn und Fluch gewesen in den letzten vier Jahren. Zwar schafft sich der moderne Eventsport ein ewiges Stakkato aus Unter- und Nebenhöhepunkten. Das Rad muss sich ja drehen, Regeneration, Urlaub, das alles ist in den Planungen der Sportvermarkter nicht vorgesehen. Aber für die meisten Athleten sind diese Wettkämpfe in den Zwischenjahren nur Etappen gewesen.

Man hat Sportler aus der Weitsprunggrube, vom Rennrad, aus dem Schwimmbecken, vom Pferd steigen sehen, den Schläger, die Hantel, das Paddel beiseitelegen, die Schuhe mit den Spikes abstreifen, den Ball in die Ecke pfeffern - und nach ein paar Minuten schon wieder trotzig-zuversichtlich bekunden: Hauptsache, es klappt 2012 in London!

Für den gewöhnlichen Büromenschen, der sein Tagwerk zwar ernst nimmt, bei genauerem Hinsehen aber auch irgendwie belanglos findet, ist diese Fokussierung ein befremdlicher Gedanke. Vier Jahre Anlauf - und dann entscheiden Millimeter, Hundertstel, Pfosten, Netzkante, ob es sich gelohnt hat oder nicht.

Und noch dazu: Abhängig zu sein von seinen Sehnen, Knorpeln und Muskeln. Von den Vorlieben eines Trainers. Von den Nominierungskriterien entrückter Verbandsführer. Von der Integrität eines Kampfgerichts. Davon, dass der Übungsplan nicht doch irgendwo ein Höhentrainingslager zu wenig oder zu viel oder zu früh oder zu spät vorsah. Und keine Erkältung kriegen!

Es braucht wohl eine Menge innerer Kraft, um sich all den Unwägbarkeiten zu fügen, die den Sport ausmachen - zumal, wenn dieser Sport der Lebens- inhalt ist. Die Medaillen, die es in London zu verteilen gibt, sind in den Prognosen und Zielvereinbarungen, wie sie nicht nur der deutsche Behördensport kennt, längst mehrfach eingeplant - gewinnen kann sie aber immer nur einer. Es wird also eine Menge Euphorie und Glückseligkeit in Superzeitlupe zu bestaunen geben in den nächsten zwei Wochen. Aber, das ist eine einfache Rechnung, noch mehr Enttäuschungen.

Schon deshalb werden auch in London wieder eine Menge Athleten am Start sein, die das Risiko, sich im nicht besonders engmaschigen Netz der Dopingkontrolleure zu verfangen, für kalkulierbarer halten, als die Alternative: die Sache dem Zufall zu überlassen. Man darf sich da nichts vormachen: Der olympische Wettkampf ist auch ein Wettkampf der diskreten pharmakologischen Vorbereitung.

Das mitzudenken, bewahrt den Betrachter bisweilen davor, die Schar junger Sportler jetzt wieder zwei Wochen lang in Helden und Geschlagene aufzuteilen und die Grenze dabei jenseits der Bronzemedaille zu ziehen.

Olympische Erfolgsgeschichten können vielfältig sein: eine persönliche Bestzeit im Halbfinale (ohne das Finale zu erreichen), als bester Ungedopter das Podest knapp zu verpassen (wenn man das nur immer wüsste), einfach die eigenen Erwartungen und Ansprüche zu erfüllen (auch die moralischen), jenseits aller Zielvereinbarungen und Verbandsprognosen. Für viele qualifizierte Sportler ist der olympische Gedanke vom Dabeisein ja nicht der schlechteste Leitsatz.

Bei den Spielen in Peking ging es vor vier Jahren um die Frage, wie sich ein Regime Olympia untertan macht, welche Haltung die Athleten dazu haben - und ob sie diese überhaupt kundtun dürfen im weichgespülten olympischen Kommerzbetrieb. In London geht es, wenn nichts dazwischenkommt, außer dem üblichen Regen und ein bisschen Verkehrschaos: um Sport. Das macht es nicht automatisch einfacher.

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