Hoffenheims Trainer Stanislawski im Interview:"Nix wie ran an die Reling!"

Eigentlich gehört er zu Hamburg wie das Schmuddelwetter - doch nun empfängt er als Coach der TSG Hoffenheim den Tabellenführer aus München: Trainer Holger Stanislawski über das Image des kraichgauer Provinzvereins, sein neues Leben auf dem Land und die Vorbildfunktion des FC Bayern in Sachen Außendarstellung.

Moritz Kielbassa und Christof Kneer

SZ: Herr Stanislawski, am Montag waren Sie anlässlich Ihres 42. Geburtstags mal wieder in Hamburg. Wie war's?

Hoffenheims Trainer Stanislawski im Interview: Stanislawski, der Antreiber: Mit der TSG Hoffenheim steht der neue Trainer derzeit auf Tabellenplatz vier.

Stanislawski, der Antreiber: Mit der TSG Hoffenheim steht der neue Trainer derzeit auf Tabellenplatz vier. 

(Foto: AFP)

Stanislawski: Schön, aber kurz. Ich habe mich ein paar Stunden in der Heimat blicken lassen, ein paar Tassen Kaffee getrunken. Dann bin ich wieder geflogen.

SZ: Kaffeetrinken können Sie gut, angeblich bis zu zwei Kannen pro Tag.

Stanislawski: Zwei Kannen? Da halte ich mich nicht lange mit auf. Eine Kanne habe ich bestimmt jetzt schon intus (um 11 Uhr, d. Red.). In der Trainerkabine haben wir eine Drei-Liter-Pump-Kanne.

SZ: Sie sind eher Kaffeetrinker als Partygänger. Man muss sich also keine Sorgen machen, dass Ihnen nach 18 Jahren pulsierender Großstadt in St. Pauli auf dem nordbadischen Land etwas fehlt?

Stanislawski: Nein, ich konnte ja auch in Hamburg die vielen Freizeitangebote selten nutzen. Ich konnte mich nicht einfach ins Kino setzen, ohne dass sofort jemand kam und ein Foto machen wollte. Das hat mich eher unter Stress gesetzt.

SZ: Sinsheim, Hoffenheim, Zuzenhausen - kennen Sie die neue Heimat schon?

Stanislawski: Ich bin schon mal herumgefahren, um ein Gefühl für die Gegend zu kriegen. In Sinsheim habe ich mich gerade in der Videothek angemeldet.

SZ: Sie wohnen noch im Hotel, werden Sie demnächst - wie einige Ihrer Profis - ins schöne Heidelberg ziehen?

Stanislawski: Bestimmt nicht. Ich war dort gerade beim Arzt, der Stadtverkehr hat mir gereicht. Ich hab' 40 Jahre Hamburg hinter mir, das brauch' ich nicht mehr. Ich nehme mir hier in einem der Dörfer eine Wohnung, wahrscheinlich in Zuzenhausen, beim Trainingszentrum.

SZ: Wohnt ein Trainer - wegen des Dauerstresses in diesem Job - im Grunde nicht sowieso in seinem Kopf?

Stanislawski: Das trifft es. Ich entspanne zum Beispiel am besten, wenn ich Auto fahre. Zur Spielbeobachtung von Hoffenheim nach Schalke: 380 Kilometer, dann Fußballgucken, mit Kollegen ein bisschen schnacken, dann wieder drei, vier Stunden zurückfahren. Da kann ich nachdenken und runterkommen.

SZ: Wenn Sie, wie am Montag, nach Hamburg zurückkehren, kriegen Sie da ein bisschen Spott ab? Nach dem Motto: Na, wie geht's Dir in der Provinz?

Stanislawski: Nein, keiner sagt: Oh Gott, was hast du dir da angetan? Alle sagen: Das ist der richtige Schritt für dich.

SZ: Ganz ehrlich: Wie haben Sie Hoffenheim früher wahrgenommen? Muss ein St. Pauli-Coach Retortenklubs nicht per se doof finden?

Stanislawski: Nein, der echte Paulianer findet Klubs, die anders sind, per se erst mal gut. Natürlich existiert Hoffenheim nur dank einer gehörigen Finanzspritze von Dietmar Hopp, aber den Plan, der dahinter steckt, habe ich schon immer anerkannt: das Nachwuchsleitungszentrum, die Infrastruktur, die Art, wie die Mannschaft gebaut wurde. Hier wurde nie gesagt: Wir kaufen jetzt für 15 Millionen einen Altstar wie Luca Toni.

SZ: Das Image der TSG war aber bisher nicht gut. Manager Ernst Tanner sagte gerade, viele hätten Hoffenheim als "hochnäsig, besserwisserisch und zu wenig volksnah" wahrgenommen. Hat man in St. Pauli diesen Klub nicht auch als Fremdkörper in der Liga betrachtet?

Stanislawski: Ach, diese Diskussion über Traditions- und Sponsorenklubs! Wenn wir die zu Ende denken, müssten wir viele Klubs eliminieren, dafür Preußen Münster, Essen und Eintracht Braunschweig in die erste Liga verpflanzen. Diese Vereine hatten die Möglichkeit, haben es aber eben nicht geschafft, Ende.

SZ: Traditionalisten stören sich daran, dass Hoffenheim bei Auswärtsspielen nur von wenigen Fans begleitet wird.

Stanislawski: Das Problem ist, dass hier ein Dorfklub sportlich rasant durch die Decke geschossen ist und Herbstmeister 2008 war - so schnell kann eine Fanstruktur nicht wachsen. Dass die älteren Kiebitze nicht plötzlich Plakate basteln, nach Wolfsburg mitfahren und da die Welle machen, ist doch klar. Es fehlt eine Generation an Fans - wichtig ist, dass wir die 12-, 13-Jährigen an uns binden, die irgendwann auswärts mitfahren.

"Hoffenheim wird nie ein Kultverein"

SZ: Wie fördert man diesen Prozess?

FC St. Pauli v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Stanislawski, der Hamburger: Sein Herz gehört wohl für immer dem FC St. Pauli, doch nach 18 Jahren war es für ihn Zeit zu gehen. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Stanislawski: Indem wir offensiv rangehen an die Leute. Wenn nach dem Training ein Fan am Zaun ein Autogramm will, dann aber nix wie ran an die Reling! Wir haben gerade ein Testspiel gegen Zuzenhausen gemacht, da habe ich viele Kinder in Hoffenheim-Trikots gesehen. Diese Kids müssen hier nicht mehr - wie frühere Generationen - Fan von Stuttgart, Karlsruhe oder Bayern werden.

SZ: Und die mäßige Außendarstellung, wie kriegt man die in den Griff?

Stanislawski: Ich habe auch in den oberen Etagen des Vereins sofort gesagt: Wir müssen wegkommen davon, dass Hoffenheim von allen geliebt werden will. Wir dürfen nicht anfangen, uns für alles zu entschuldigen, zu rechtfertigen. Bayern München wird auch nicht geliebt, aber für erfolgreiche Arbeit über Jahrzehnte respektiert. Wir müssen unseren Weg gehen, damit wir für das, was wir tun, ebenfalls respektiert werden.

SZ: Wie lange dauert so etwas?

Stanislawski: In einigen Jahren sollen die Leute sagen: Hoffenheim spielt guten Fußball mit Wiedererkennungswert, da spielen fünf aus dem eigenen Nachwuchs mit - und der Verein macht nicht mehr 15 Millionen Schulden im Jahr.

SZ: Hopp will wegkommen vom Image eines Mäzen-Klubs ohne finanzielle Grenzen. Auch die zuletzt recht fürstlichen Spielergehälter werden wieder gesenkt.

Stanislawski: Das muss der Weg sein. Bisher wurde hier sicher zu viel Geld verteilt, und es kann ja nicht ewig so laufen, dass Hopp jedes Jahr Millionen zuschießt. Einen Kultverein wirst du aus Hoffenheim aber nie machen, eine Reeperbahn gibt's hier nicht.

SZ: Kennt auch Hopp Ihre Sicht auf den Verein? Bei ihm hat man ja das Gefühl, er will schon geliebt werden.

Stanislawski: Dietmar Hopp ist ein großer Mann, und wie für alle großen Männer gilt auch für ihn der Spruch: Willst du gelten, mach dich selten! Nehmen Sie Uli Hoeneß: Wenn der was sagt, hat das Gewicht. Man darf aber nicht jeden Tag zu jedem Kram etwas sagen. Es gibt hier genügend Fachkompetenz im Klub für das Tagesgeschäft, da muss sich Dietmar Hopp nicht verbrennen. Da muss man ihn auch mal schützen.

SZ: Reden Sie mit Hopp auch über die Schmähgesänge gegnerischer Fans, die er sich immer sehr zu Herzen nimmt?

Stanislawski: Wenn einer schreit: ,Hoffenheim, Plastikklub!', muss man damit umgehen können. Aber das Persönliche nimmt Ausmaße an, die nicht akzeptabel sind. Wenn es Morddrohungen gibt, ist das nicht lustig, sondern kriminell. Dietmar Hopp hat in seiner Heimatregion Großes aufgebaut. Wenn 3000 Kölner rufen ,Hopp - Sohn einer Hure', sitzen da Kindern im Stadion, die ihre Eltern fragen: ,Wer ist Hopp? Was ist eine Hure?' Dafür fehlt mir jedes Verständnis.

SZ: Die "Schall-Affäre" nach dem ersten Heimspiel kann Ihnen aber auch nicht gefallen haben. Ein Klubmitarbeiter hatte versucht, Anti-Hopp-Gesänge einiger Dortmund-Fans mit gesundheitsgefährdenden Geräuschen zu übertönen.

Stanislawski: Sowas macht man nicht, das war eindeutig falsch, darauf ist keiner im Verein stolz, das darf nicht wieder passieren. Aber genauso müssen andere Klubs aufpassen, dass nicht wieder Bierbecher oder Bengalos aufs Feld fliegen.

SZ: Wie wichtig sind Sie selbst jetzt als Figur für Hoffenheim? Bekommt der Klub etwas von Ihrem Kult-Image ab - und Sie erhalten gleichzeitig die Chance, sich jenseits von Hamburg zu bewähren? Ist das eine Win-Win-Situation?

Stanislawski: Ich glaube, es ist für beiden Seiten interessant. Für mich war es Zeit, nach 18 Jahren Pauli einfach mal zu sehen, wie ich mit meinem Netz woanders funktioniere. Und ich hoffe, dass ich auch gut bin für Hoffenheim. Ich hoffe, ich kann die Leute mit meiner offenen Art begeistern. Zuletzt ist 1899 imagemäßig ja etwas ins Graue abgerutscht.

SZ: Der Klub bietet Ihnen auch viele Vorteile: Wie schön ist es für Sie, plötzlich mit Topspielern wie Ryan Babel, Firmino oder Obasi zu arbeiten?

Stanislawski: Das ist klasse, aber auch eine Riesenaufgabe. Hier ist den Spielern ja oft gesagt worden: Mann, bist du aber ein toller Einzelspieler! Ich bin da zum Glück recht klar strukturiert: Die Spieler wissen, dass ich ihnen vertraue, aber wer zu spät kommt oder verschläft, der fehlt eben in der Startelf. Zum Wohle der Mannschaft würde ich jeden opfern.

SZ: Ist das der "liebenswerte Diktator", wie Sie sich selbst genannt haben?

Stanislawski: Wir machen nicht ständig Grillabende, das ist hier keine Oase. Aber nur mit Druck kannst du ein Team nicht führen, wir wollen auch zusammen lachen. Leider ist es so, dass die Jungs mich hier inzwischen auch schon mal auf die Schippe nehmen (lacht).

SZ: Wie denn?

Stanislawski: Wenn einer Geburtstag hat, singen wir ein Ständchen, danach klatschen alle - und am Ende spring' ich immer so 'ne kleine Pirouette. Als jetzt ich Geburtstag hatte, haben alle meine Pirouette imitiert. Da hab' ich gesagt: Los, raus, Medizinbälle! Ich lasse mich doch von Euch nicht auf den Arm nehmen!

SZ: Es heißt, in Hoffenheim würden die Spieler zur Bequemlichkeit neigen. Wie reagiert da ein Trainer, der St. Pauli-Leidenschaft gewöhnt ist?

Stanislawski: Als Spieler hat man in Hoffenheim ein Rundum-Sorglos-Paket, das Trainingszentrum ist großes Kino, das macht einen schnell mal bequem. Ich sage den Jungs: Rundum-Sorglos ist gut, wenn wir alles dafür tun. Wenn nicht, können wir ebenso gut auf einem Ascheplatz trainieren. Die perfekte Infrastruktur ist Fluch und Segen zugleich. Ich will vermitteln: Wir müssen uns die tollen Bedingungen immer wieder neu verdienen!

SZ: Haben Sie Ihre Arbeitsweise und Ansprache sehr verändern müssen?

Stanislawski: Nein, so habe ich das bei St. Pauli auch gemacht: Wenn etwas einreißt, mangelnde Pünktlichkeit oder Konzentration, dann macht man halt mal ein Weilchen Old-school: Aufwärmen ohne Ball, Läufe, nicht reden, nicht erklären, sondern funktionieren. Wenn du als Spieler ein Problem hast: Sag's mir nicht, ich will's nicht wissen, funktionier einfach!

SZ: Sowas verstehen Spieler?

Stanislawski: Sie lernen dann Selbstverständlichkeiten wieder zu schätzen. Wir reden ja viel darüber, dass alles nur über die Mannschaft funktioniert. Fabian Johnson hat in Wolfsburg nicht gespielt, hier ist er zum US-Nationalspieler geworden, Ryan Babel stand nach über einem Jahr wieder bei Holland im erweiterten Kader. Ich sage ihm: Das ist nicht so, weil du zwei Tore geschossen hast. Sondern weil unsere Mannschaft funktioniert. Dann sticht deine Einzelqualität heraus.

"Sei mal unangenehm!"

FC Schalke 04 v FC Bayern Muenchen  - Bundesliga

Stanislawski, der Kommunikator: Im Gespräch mit seinem Leverkusener Kollegen Robin Dutt. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

SZ: Nach dem jüngsten 0:2 in Köln haben Sie kritisiert, dass einige im Team den Ball zu lange halten, um ein paar Sekunden länger im Fernsehen zu sein.

Stanislawski: Man muss hier ständig aufpassen, dass persönliche Begehrlichkeiten nicht übers Team gestellt werden. Ich sage: Wenn Ihr für Euch glänzen wollt, geht das vielleicht zwei, drei Spiele lang. Aber wenn die Mannschaft wegbricht, dann seid Ihr auch weg.

SZ: Sie haben sogar nach einem 4:0-Sieg in Mainz kritische Worte gefunden. War das wirklich ernst gemeint?

Stanislawski: Ein Trainer muss manchmal ein Schauspieler sein und die Spieler auch mal führen, ohne dass sie es merken. Aber in dem Fall war das mein absoluter Ernst: In der Bundesliga steht jedes Spiel Spitz auf Knopf, am Ende entscheiden fünf, sechs Szenen.

SZ: Hoffenheims Spiel wirkte in den vergangenen Jahren oft etwas zu verkünstelt, zu gemütlich. Auch in Köln sah es vergangene Woche so aus.

Stanislawski: Ja, das war viel zu gemütlich. Wir hatten 65 Prozent Ballbesitz, haben locker den Ball hin und her geditscht, aber es war keine Emotionalität da, auch nicht im eigenen Team. Keiner hat gesagt: Komm, jetzt gewinn' mal einen Zweikampf! Jetzt sei mal unangenehm zu deinem Gegenspieler!

SZ: Das muss einen ehemaligen Pauli-Trainer doch wahnsinnig machen.

Stanislawski: Ich sage den Jungs immer: Das Spiel ist der Höhepunkt der Woche! Nur dafür reißen wir uns im Training den Hintern auf! Wir haben 34 Spiele - und eines haben wir in Köln jetzt einfach weggeschenkt.

SZ: Sie sollen die emotionale St. Pauli-Denke in diese Idylle hier importieren?

Stanislawski: Ein bisschen ist das sicher so, aber ich will hier keinen Heiligenschein verpasst kriegen und ein Paar Engelsflügel - und dann flatter' ich über Zuzenhausen. Ich selber bin nicht so wichtig. Ich bin einfach Stani - in Pauli, Hoffenheim oder sonstwo. Wenn ich in Barcelona arbeiten würde, würde ich auch da mit der Putzfrau einen Kaffee trinken.

SZ: Eher zwei.

Stanislawski: Stimmt. Wenn die Leute hier durch meine offene Art nur fünf Prozent lieber als vorher zur Arbeit kommen, dann habe ich was richtig gemacht. Mir ist auch klar, dass manche meine Art nicht mögen, aber das ist mir egal.

SZ: Sie wollen nicht geliebt werden?

Stanislawski: Ich brauche keine neuen Freunde mehr, ich habe genug. Ich muss mich auch nicht bei Facebook anmelden, um zu sehen: Oh, ich hab' 1000 neue Freundesanfragen. Mir muss keiner aus Timbuktu schreiben: Du, ich hab' heute früh ein Ei gegessen, das war lecker!

SZ: Haben Sie in Hamburg Freunde verloren bei Ihrem letzten Spiel als Pauli-Trainer: 1:8 gegen den FC Bayern, damit war der Abstieg besiegelt.

Stanislawski: Diesen Tag habe ich aus meinem Leben gestrichen. Dass die Mannschaft da keinen Mumm gezeigt hat, hat mich persönlich sehr enttäuscht. Dieses Spiel habe ich nicht verarbeitet. Ich werde es auch nie verarbeiten.

SZ: Ist das Heimspiel gegen Bayern für Sie am Samstag eine Revanche?

Stanislawski: Nein. Bayern wird dieses Jahr mit herausragendem Abstand Meister. Wir werden am Samstag sehen, in welchem Zustand unser Haufen ist.

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