Hoffenheimer Rettung in die Relegation:Auferstanden aus dem Ruin

Borussia Dortmund - 1899 Hoffenheim 1:2

Dem Abgrund gerade so entkommen: Die Hoffenheimer Spieler bejubeln das 2:1 in Dortmund. 

(Foto: dpa)

"So viel Adrenalin hatte ich noch nie in meinem Körper": In Hoffenheim können sie den vorerst verhinderten Abstieg kaum fassen, das dramatische 2:1 in Dortmund kostet einige Nerven. In der Relegation gegen den FCK bekommt der unbeliebte Dorfklub jetzt die Chance, seine Katastrophen-Saison doch noch vergessen zu machen.

Von Felix Meininghaus, Dortmund

Es ist nicht überliefert, wie Dietmar Hopp die dramatische Schlusssequenz der Partie seiner Hoffenheimer in Dortmund erlebte. Vielleicht ist der steinreiche Mäzen in der 94. Minute vor dem Sofa auf die Knie gesunken und hat verzweifelt die Hände vors Gesicht geschlagen, um wenige Sekunden später völlig losgelöst durch das Wohnzimmer zu hüpfen und mit Champagner um sich zu spritzen. Oder er hat völlig versteinert mit angesehen, wie das Pendel innerhalb weniger Sekunden von Verdammnis auf Hoffnung zurückschwang.

Zumindest ist bekannt, dass Hopp in der Heimat blieb, während sein Verein im Revier ein unvergessliches Schicksalsspiel erlebte. Hopp und seine Herzensangelegenheit Hoffenheim, in die er so viele Millionen hineingepumpt hat, sind noch nicht abgestiegen, sondern haben sich die Möglichkeit erhalten, in zwei Relegationsspielen gegen den 1. FC Kaiserslautern eine ziemlich katastrophale Saison noch zu einem versöhnlichen Ende zu bringen.

Das Drama kulminierte in jener Sequenz in der Nachspielzeit, als Marcel Schmelzer für den BVB das 2:2 schoss, was für Hoffenheim den direkten Abstieg bedeutet hätte. Schiedsrichter Jochen Drees gab das Tor, wurde dann jedoch von den Hoffenheimern bestürmt, die bei Mittelstürmer Robert Lewandowski eine aktive Abseitsposition ausgemacht hatten, und nahm seine Entscheidung zurück.

"Hut ab vor dem Schiedsrichter", sagte Hoffenheims Kapitän Andreas Beck, "das war eine mutige Entscheidung." Und sein Kollege Sven Schipplock ergänzte, "so ein Finale gibt es nur im Spielfilm, so viel Adrenalin hatte ich noch nie in meinem Körper." Auch sonst war es ein bemerkenswertes Spiel, denn bis in die Schlussphase lag Hoffenheim hinten, die Mannschaft schlich über den Platz, als habe sie den Ernst der Lage selbst Millimeter vor dem Abgrund noch nicht erkannt.

Oder sich mit ihrem Schicksal längst abgefunden. Und dann gab es aus heiterem Himmel eine jener wundersamen Wiederauferstehungs-Geschichten, die der Fußball mit seinem unerschöpflichen Drehbuch immer wieder hervorzaubert: Hoffenheim bekam zwei berechtigte Elfmeter, zwei Mal verwandelte Sead Salihovic eiskalt. Dass der Bosnier zum Helden wurde, passtb - schließlich ist er der einzige Überlegene jener Mannschaft, die seinerzeit aufstieg und die Bundesliga mit tollem Offensivfußball verzückte.

Auf den Tag fünf Jahre später standen die Hoffenheimer vor den Ruinen ihres Projekts, nun lebt die Hoffnung weiter. Es ist eine weitere Volte des Schicksals, dass der ungeliebte Klub dem Tod ausgerechnet in Dortmund von der Schippe sprang, dort also, wo die Kritik am Verein und seinem Gönner Hopp besonders ätzend und teilweise auch unter der Gürtellinie ausfällt. In Erinnerung ist vor allem jenes Plakat eines Borussia-Fans ("Hasta la vista, Hopp?"), in dem der Mäzen quasi zum Abschuss freigegeben wurde.

Eine Geschmacksverirrung, auf die Hopp mit einer Strafanzeige reagierte. Die Retourkutsche war auch aus der unteren Schublade. Bei einem Gastspiel in Sinsheim wurden die Dortmunder Fans mit schmerzhaften Störgeräuschen beschallt, um die Schmähgesänge zu übertönen. Ein in der Geschichte der Bundesliga einmaliger Vorgang.

Eine Saison zum Vergessen

Auch am letzten Spieltag dieser Saison war wieder das unsägliche Banner mit dem Fadenkreuz zu sehen. Niveaulos und peinlich, hoffentlich zeigen die Fans in einer Woche im Wembley Stadion ein besseres Benehmen. Doch das ist eine andere Geschichte. Bevor der BVB in London gegen die Bayern um die Krone Europas spielt, sind erst noch die Hoffenheimer bei ihrem Minimalprojekt gefordert, das da lautet: Den Absturz verhindern.

Am Donnerstag spielt der 1. FC Kaiserslautern im Kraichgau vor, Trainer Markus Gisdol hatte Mühe, in der feiernden Spielerschar mit dem Pflichttermin Aufmerksamkeit zu erlangen. Man müsse nun "ganz klug sein", und die Mannschaft "sachlich vorbereiten, wobei wir die Euphorie, die wir heute erzeugt haben, gern mit ins eigene Stadion tragen dürfen."

Das sind neue Töne, die erfrischend anders klingen im Vergleich zu dem, was aus Hoffenheim zu Saisonbeginn zu vernehmen war. Da sprach der Trainer Babbel vom Europapokal, der neue Torhüter Tim Wiese schwadronierte gar von der Champions League. Babbel ist längst Geschichte, Wiese als Missverständnis abgehakt. Bis weit in die Rückrunde regierte beim Dorfverein das blanke Chaos, der Klub taumelte völlig orientierungslos dem Untergang entgegen.

Babbel, Kramer, Kurz und Gisdol hießen die Trainer - wohlgemerkt nur in dieser Saison. Die sportlichen Leiter im gleichen Zeitraum: Babbel, Müller, Rosen. Drei Manager in einer Saison - endlich mal ein Bundesligarekord, der nicht vom FC Bayern aufgestellt wird.

Mit Gisdol auf der Bank versuchen die Hoffenheimer, Ideen aufzugreifen, die sich an den alten orientieren, die längst verloren scheinen: Mit jungen Spielern sympathischen Fußball zu spielen. Die Abkehr vom Image einer verwöhnten Söldnertruppe ist eine echte Herausforderung, schließlich ist in den letzten Jahren fast alles schief gelaufen. Markus Gisdol hat das offenbar verinnerlicht.

Der Trainer ist für den taumelnden Klub zum Hoffnungsträger geworden, weil er eine Demut vorlebt, die in Hoffenheim längst verschollen war. "Ich wollte nur noch in die Kabine und meine Ruhe finden", berichtete er nach dem Abpfiff der dramatischen 94 Minuten von Dortmund: "Schließlich haben wir noch zwei wichtige Spiele, das sollte niemand vergessen."

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