Hoffenheim:Gier und Testosteron

***BESTPIX*** TSG 1899 Hoffenheim v 1. FSV Mainz 05 - Bundesliga

Auf sie mit Gebrüll! Hoffenheims Terrazzino bejubelt sein Tor.

(Foto: Alex Grimm/Getty)

Das 4:0 gegen den FSV Mainz 05 bestätigt den Kulturwandel der TSG Hoffenheim: Obwohl Wagner gesperrt ist, treffen drei Stürmer - und der Jubel erlaubt Rückschlüsse auf den Teamgeist.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Vor der Partie seiner TSG Hoffenheim gegen Mainz 05, erzählte Julian Nagelsmann später, habe er spontan seinen Videoanalysten Benjamin Glück im Fußballtennis herausgefordert: "Um mich zu pushen!" Glaubt man dem Hoffenheimer Trainer, so fügte er seinem Zuarbeiter eine empfindliche Niederlage bei. Nagelsmann, 29, der manchmal zu martialischer Rhetorik neigt, drückte es so aus: Er habe seinen Analysten "vom Feld geklatscht". Glück, ein studierter Mathematiker aus der bayerischen Stadt Erding, dem selten das Lächeln aus dem Gesicht weicht, wird seine Pleite gelassener aufgenommen haben als anschließend auf dem Rasen die Mainzer Gäste ihre "bittere 0:4-Klatsche" (FSV-Trainer Martin Schmidt) gegen Nagelsmanns Mannschaft.

"Lieb und brav" habe seine Nullfünf-Elf gespielt, klagte Coach Schmidt. Diese beiden für die Leistungssportler eher abschätzigen Adjektive wurden in der Vergangenheit regelmäßig für die Hoffenheimer Profis verwendet. Aber das ist vorbei, seit Nagelsmann im Februar 2015 übernahm.

Der Trainer hat aus einem Abstiegskandidaten einen Champions-League-Aspiranten geformt und in Rekordzeit aus einer zaudernden, selbstzufriedenen Elf eine gierige gemacht. Und zwar offenbar nachhaltig. Weder die erste Saison-Niederlage zuletzt in Leipzig (1:2), noch die Sperre von Mittelstürmer Sandro Wagner hinterließen Wunden. Alle vier Tore gegen Mainz erzielten Stürmer, und trotz des lange offenen Spiels nach der frühen Führung durch Mark Uth (5.) setzte man die K.o.-Schläge: Drei Tore in den letzten zehn Minuten durch die eingewechselten Marco Terrazzino (81.) und Adam Szalai (86./90+1) ergaben eine rauschhafte Schlussphase.

Egal, über welches Phänomen oder welche Personalie man den Erfolg der TSG zu erklären versucht - immer landet man am Ende bei Nagelsmann. Terrazzino schoss nun im erst zweiten Einsatz ein Tor und bereitete zwei vor. Mit großen Hoffnungen kehrte das Eigengewächs im vorigen Sommer aus Bochum nach Baden zurück, im Winter fasste er trotz enttäuschender Vorrunde und etlichen Leihangeboten (unter anderem aus Karlsruhe) den Entschluss, sich "durchzubeißen". Durchbeißen statt durchmogeln - auch das beschreibt den Kulturwandel in Hoffenheim.

Nagelsmann gibt keinen Spieler auf, auch wenn er manche lange nicht aufstellt. Terrazzino war wie Szalai lange nicht dabei - am Samstag wurden beide plötzlich zu Matchwinnern. Es kann kein Zufall sein, dass diesem Trainer beim Coachen so oft so vieles gelingt. Erstaunlich, wie Nagelsmann den Konkurrenzdruck im Kader immer wieder positiv erhöht. Nach schwierigen Zeiten wurden auch Innenverteidiger Benjamin Hübner oder Offensivspieler Steven Zuber (als eher defensiver Linksaußen) Stammkräfte. Fast alle Akteure steigerten sich im Verlauf der Runde, die Zugänge machten die Elf besser, die Mischung im Kader zwischen Talent und Erfahrung stimmt.

Auch wenn Wagner ausfällt, hat die TSG im erstaunlichen Mark Uth und dem kaninchenflinken Andrej Kramaric zwei Top-Stürmer. Und in Terrazzino und Szalai empfahlen sich nun zwei weitere Angreifer als Alternative. "Schön", findet das Nagelsmann: "Der Geist stimmt einfach in dieser Mannschaft." Der beliebte Terrazzino sei von allen gefeiert worden nach dem Abpfiff, berichtete der Trainer. Auch Nagelsmann feierte das Tor mit Vollsprint zur Eckfahne und Sprung auf die Spielertraube.

Das mit der Mannschaft vor der Runde besprochene Saisonziel hütet Nagelsmann ja wie ein Staatsgeheimnis. Dass dies aber eher selbstbewusst formuliert wurde, ahnt man. Im vergangenen Sommer beschrieb Nagelsmann seine Ambitionen so: "Wenn wir am Ende der Saison eine gute Runde gespielt haben und dann Zwölfter sind, und jeder sagt, es war okay, dann werde ich nicht freudestrahlend durch Heidelberg laufen. Zufrieden bin ich, wenn wir richtig guten Fußball spielen und Erfolg haben."

Am Samstag animierte er das Publikum im Testosteron-Stil von Jürgen Klopp zu mehr Unterstützung und trommelte danach laut für künftig mehr Zuschauer im gar nicht vollen Stadion: "Die Gier nach Erfolg steckt einfach in meinem Charakter", sagte er. Mittlerweile steckt diese offenbar auch gefährlich nachhaltig im Charakter seiner Mannschaft.

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