Hoffenheim:Endlich wieder Spektakel

Julian Nagelsmann ist der jüngste Trainer, dem in der Bundesliga ein Sieg gelingt. Beim 3:2 gegen Mainz geht die Gleichung des 28-Jährigen auf.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Im Kern ist Fußball immer noch ein Spiel. Um zu gewinnen, muss man ein Tor mehr schießen als der Gegner. Das vergisst leicht, wer Woche für Woche all das Gerede um Trainingsmethoden, Taktikschemata und harte Arbeit aus dem Phrasenschatz der Bundesliga hört. Dabei, findet Julian Nagelsmann, sei es doch so: "Trotz der Situation, in der wir uns befinden, müssen wir uns klar machen, dass wir es lieben, Fußball zu spielen. Es ist doch etwas Schönes, womit wir unser Leben bestreiten dürfen."

Seit nicht einmal zwei Wochen trainiert Nagelsmann den Tabellenvorletzten Hoffenheim, der 28-Jährige ist der jüngste Cheftrainer in der Geschichte der Bundesliga. Er löste Huub Stevens, 62, ab, der nur eins von zehn Spielen gewinnen konnte, nachdem er nach verpatztem Saisonstart für Markus Gisdol als vermeintlicher Retter verpflichtet worden war. Der Generationswechsel - Nagelsmann folgt Stevens - war eigentlich erst zur nächsten Saison geplant. Doch Stevens klagte über Herzrhythmusstörungen und trat zurück. Mit Stevens verließ ein Mann die TSG-Kabine, der mürrischer gucken kann als jeder andere Trainer, und für den ein Spiel schon gewonnen war, wenn es nicht verloren wurde.

TOR zum 3 1 durch Mark Uth TSG 1899 Hoffenheim Torjubel bei Trainer Coach Julian Nagelsmann TSG 1899

Julian Nagelsmann feiert den Vollzug seiner Pläne: Der 28-Jährige hatte gleich sechs Spieler in der Startelf, die ihre Stärken in der Offensive haben.

(Foto: imago/Michael Weber)

Nun tritt Julian Nagelsmann tagtäglich vor die Spieler. Er sieht noch jünger aus, als er ist, seine Mimik strahlt Neugierde und Zuversicht aus. Am Samstag feierten die Profis und ihr Trainer (nach dem 1:1 zuvor in Bremen) mit dem 3:2 (1:1) gegen Mainz den ersten gemeinsamen Erfolg. Das Spiel war ein Spektakel, wie man es seit Monaten nicht mehr von dieser Elf gesehen hatte. Das Resultat war wichtig, der beeindruckende Auftritt aber wohl noch wichtiger.

Plötzlich ist Hoffnung, wo vorher Frust war: Werder Bremen auf Relegationsrang 16 ist nur noch zwei Punkte entfernt, auch bei Eintracht Frankfurt spüren sie, dass da ein Rivale, der fast schon abgeschrieben war, von unten kommen könnte.

Nagelsmann legt den Fokus auf den Kern des Fußballs, der von Stevens ausgehöhlt wurde, er sagt: "Wir müssen Spiele gewinnen, dazu müssen wir Tore schießen." Diesen Satz wiederholt er unter der Woche ständig, daran richtet er das Training und die Aufstellung aus. Nagelsmann trägt keine Brille und kann schon deswegen nicht als ein Harry Potter der Fußballlehrerzunft gelten. Überhöhen muss man den jungen Mann nicht, der selbst nichts überhöht. Aber nach bereits zehn Jahren im Beruf, die er mit diversen Nachwuchsteams verbrachte, wirkt er vorbereitet für seine große Herausforderung. Nagelsmann ist taktisch flexibel und lässt die Mannschaft einfach das spielen, wofür sie zusammengestellt wurde: dafür, ein Tor mehr zu schießen als der Gegner.

1899 Hoffenheim - FSV Mainz

Einer von Nagelmanns Matchwinnern ist Doppeltorschütze Mark Uth, der zuvor in Hoffenheim kaum eine Rolle gespielt hatte.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

In der prekären Situation stellt dieser Trainer so viele Offensivfußballer wie möglich auf. Seine einfache Gleichung: Je mehr potenzielle Torgefahr von einer Position ausgeht, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Tore fallen. Philipp Ochs zum Beispiel spielte bislang in der Saison keine Rolle, gegen Mainz bot Nagelsmann den gelernten Stürmer als Linksverteidiger auf. Der wie sein Trainer jüngst von Zweitliga-Tabellenführer RB Leipzig umworbene 19-Jährige entwickelte gewaltigen Druck nach vorne und unterstützte so den urplötzlich wieder herausragenden Nationalspieler Kevin Volland, der zwei Tore vorbereitete. Auch Marc Uth, 24, spielte bislang keine Rolle in dieser Elf. Weil Nagelsmann aber Volland als Linksaußen brauchte, startete Uth, der vor der Saison aus dem niederländischen Heerenveen geholt wurde, links vorne und erzielte zwei Tore.

Im 4-3-3-System standen in den Außenverteidigern Ochs und Kaderabek, den Mittelfeldspielern Rudy und Amiri sowie in Volland, Vargas und Uth sechs Kräfte in der Startelf, die ihre Stärken in der Offensive haben. Volland sagt: "Wir identifizieren uns zu einhundert Prozent mit dieser Spielweise." Sebastian Rudy ergänzt: "Wir haben deutlich mehr Balleroberungen in der gegnerischen Hälfte, da ist der Weg zum Tor kürzer." Nadiem Amiri meint: "Der Trainer zeigt Selbstvertrauen, das strahlt auf die Mannschaft aus." Und Sportchef Alexander Rosen hat erkannt: "Das Mutige und Forsche passt besser zu den Jungs." Stevens und die TSG - das war ein Missverständnis. Nagelsmann hingegen passt.

Beim Auswärtsspiel in Dortmund droht am nächsten Sonntag allerdings ein erster Rückschlag. Novize Nagelsmann trifft dort auf Thomas Tuchel, 42, seinen ehemaligen Mentor. Beim FC Augsburg setzte der einst dort tätige Nachwuchstrainer Tuchel Nagelsmann als Scout und Videoanalyst ein, nachdem dieser seine Spielerkarriere verletzungsbedingt früh hatte beenden müssen. Als Tuchel später bei Mainz 05 Trainer war, hospitierte Nagelsmann dort.

Nun können beide erstmals auf großer Bühne ihre Strategien vergleichen. Eines aber ist Nagelsmann so schnell wohl nicht zu nehmen: Er ist jetzt der jüngste Cheftrainer, der je in der Bundesliga ein Spiel gewann. Er wird demnächst aber wohl auch der jüngste sein, der je ein Spiel verlor.

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