Hockey-EM:Schluss mit Friede und Freude

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Das 1:6 im Finale gegen die Niederlande hat eine Serie trügerischer Erfolge des deutschen Hockeyteams beendet. Trainer Markus Weise fordert von seinem Team eine neue Einstellung zur Arbeit.

Von Volker Kreisl, London/München

Das deutsche Hockey-Team ist an Erfolg gewöhnt. Große Turniere ohne Finalteilnahme sind die Ausnahmen, und große Turniere gibt es viele im Kalender. Und weil Dauer-Erfolg einlullt und träge macht, hatte sich das Team um Kapitän Moritz Fürste in diesem Jahr eine Art gegenseitiges Versprechen gegeben, ein Leitmotiv für die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in einem Jahr in Rio de Janeiro und darüber hinaus: "Wir wollen jedes Turnier, das wir bestreiten, unbedingt gewinnen!"

Der Leitsatz schien zu wirken, die Mannschaft von Bundestrainer Markus Weise hat tatsächlich nie nachgelassen seitdem, sie gewann das Halbfinal-Turnier der World League, und auch die EM in London vergangene Woche brachte zunächst nur deutsche Siege hervor. Der gemeinsame Wille funktionierte prächtig, im Halbfinale gewannen sie gegen Gastgeber England ja noch im letzten Moment per Penaltyschießen. Aber dann verließ den Zauber der Selbstbeschwörung die Kraft. Weises Team kam gegen die Niederlande mit 1:6 (0:5) unter die Räder, es wurde die höchste Finalniederlage in der 45 Jahre alten Geschichte von Europameisterschaften, und es war keine Frage mangelnder Spiel- systeme, ausgepumpter Körper, oder unterlegener Technik. Es war der "unbedingte Wille", wie Weise es später ausdrückte, der plötzlich nachließ.

Manche hohe Niederlagen demütigen nicht, weil die letzten Konter erst gegen Ende der Spielzeit gelingen, aber in diesem Spiel war das anders. Die Deutschen wurden schon nach 21 Minuten ausgekontert, und sie hatten nicht für einen Moment so etwas wie Kontrolle über das Spiel. Das Zuspiel auf den eigenen Mann wirkte schon beim Stand von 0:0 nervös, Tobias Haukes Pass ins Seitenaus war so ein Beispiel. Aber 0:0 stand es nicht lange, erst ging der Ball an den Innenpfosten und sprang von dort parallel zur Torlinie davon, und in der sechsten Minute fiel nach Strafecke das 0:1. Die Deutschen hatten den Schuss des Kurzecken-Spezialisten Mink van der Weerden zwar abgewehrt, blieben dann aber stehen, statt den Rebound zu kontrollieren. Und dann ließ sich schon ein wenig absehen, worin genau der Unterschied an diesem Nachmittag liegen könnte: Die Niederländer jubelten nicht nur, sie rissen ihre Arme in die Luft, als wäre dies nicht ein EM- sondern ein Olympia-Finale. Ihr Gebrüll war trotz der Freude der niederländischen Fans gut zu vernehmen. Sie zeigten diese Entladung weitere fünf Mal, beim ersten per wunderbarem Lupfer-Pass eingeleiteten Kontertor, und bei jedem weiteren Treffer - immer genauso leidenschaftlich.

Das Hockeyteam der Niederlande hatte sieben EM-Endspiele bis dahin gegen die Deutschen erlebt und sieben Mal verloren. Es hatte im Olympia-Finale 2012 bereits als Mitfavorit gegolten, war aber damals von Weises Team kühl kontrolliert worden und verlor 1:2. Es hatte 2014 bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land gegen Australien 1:6 im Endspiel verloren. Aus dieser Gesamt-Frustration bastelte es nun jene Art von Fokussiertheit, die Weise bei seiner eigenen Mannschaft vermisste. Jeroen Hertzberger, dem besten Torschützen, kamen vor Glück die Tränen, als er, bereits ausgewechselt, an der Bande auf die Schlusssirene wartete.

Weise ist ein vielseitiger Trainer, der nichts dem Zufall überlässt, ein umfangreiches Expertenteam um sich hat und dieses auch in entscheidenden Momenten konsultiert. Er liebt Spielsysteme, seine Männer haben eine Vielzahl davon im Repertoire, und sie haben lange geübt, diese schnellstmöglich im Notfall auch mal zu korrigieren. Weise muss da gar nicht groß herumbrüllen, er bleibt still sitzen, das Team, vor allem die Erfahrenen Moritz Fürste und Tobias Hauke wissen ja, was zu tun ist. In diesem Notfall aber half keine System- korrektur. Eine Mannschaft, deren Tempo zu langsam ist, ob beim Spielaufbau, beim Abschluss, oder beim Umschalten vor dem Konter, hat weniger ein Systemproblem. Und wenn sich nach und nach in den Köpfen der panische Gedanke einnistet, dass man hier vor aller Welt als Titelverteidiger und Olympiasieger vorgeführt wird, ist sie wohl erst recht nicht mehr zu erreichen.

Eine Rolle mag gespielt haben, dass die Deutschen dank ihrer Erfolge in diesem Sommer schon das Hauptziel erreicht hatten, und sie deshalb nachließen. "Unser Fokus lag 2015 auf dem Erreichen der Qualifikation für Olympia - vielleicht war die EM danach auch ein bisschen zu nah dran für die Mannschaft", sagte Weise. Das Final-Debakel sei in diesem Kontext eine "schöne Erfahrung", die das Team sogar weiter bringe, als ein hoher Sieg.

Doch darauf, dass der absolute Wille nun von ganz alleine wieder wach wird, will er sich nicht verlassen. Er verlangt ein Bekenntnis zur Hockey-Arbeit in den kommenden Monaten. Dem sid sagte Weise, derzeit "würde ich uns nicht als Kandidaten für Gold in Rio sehen". Und schließlich: "Wir müssen raus aus diesem Friede, Freude, Eierkuchen." Insofern war London ein erster Schritt. Mit Friede, Freude, oder Eierkuchen hatte dieses Finale nichts zu tun.

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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