Hintergrund:Bluff oder Triumph

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Kameruns deutscher Coach Schäfer will sich etwas beweisen.

Ronald Reng

(SZ vom 11.6.02) - Winfried Schäfer machte es kurz am Telefon, denn seine Mannschaft wollte noch auf eine Höllenfahrt. "Kommen Sie morgen beim Training vorbei", sagte der kamerunische Nationaltrainer aus dem badischen Ettlingen am Samstag, "jetzt muss ich los und die Jungs auch. Die gehen heute in den Freizeitpark." Freizeitpark?! Da waren sie dann tatsächlich am Samstagnachmittag: die Afrikameister unterwegs auf der Achterbahn im Fuji-Q, dem Vergnügungspark nahe Kameruns WM-Quartier. "Die Mannschaft muss ihre Lockerheit wieder finden", sagte Schäfer.

Winfried Schäfer, Nationaltrainer von Kamerun, könnte durch die WM dort zum Volkshelden aufsteigen. (Foto: N/A)

Locker oder ohne System?

Es klingt mittlerweile wie seine Mantra. Seit dem erzitterten 1:1 gegen Irland in ihrer ersten WM-Partie wühlt er nun schon in den Köpfen seiner Spieler nach der verlorenen Gelassenheit. Dabei kann man kaum gelöster sein als die kamerunischen Spieler, die samstags Loopings drehten und am Montag in Shizuoka beim Abschlusstraining vor dem Match gegen Deutschland Fehlpässe bereitwillig als Anlass zum Lachen nahmen. "Die haben heute einige negative Gedanken wegtrainiert", glaubte Schäfer. Doch im Freizeitpark locker zu sein, ist eine Sache; ob sie deswegen auch im entscheidenden Moment am Dienstag frei von Nerven sind, eine ganz andere. Und vor allem stellt sich die Frage, ob es tatsächlich Leichtigkeit ist, die Kameruns Spielern fehlt. Oder vielleicht doch eher taktische Organisation und ein klein wenig fußballerische Klasse?

Das Spiel gegen Deutschland wird ihr Offenbarungseid, und dabei laufen Kameruns Spieler genauso wie ihr deutscher Trainer Gefahr, als größter Bluff dieser WM enttarnt zu werden. Noch immer besteht etwa ihr Mittelfeldspieler Lauren Etame-Mayer darauf, hier zu sein, "um alle sieben Spiele zu bestreiten", also bis ins WM-Finale zu kommen.

Überschaubare Qualitäten

Sie glauben es offenbar wirklich: dass sie die beste afrikanische Mannschaft aller Zeiten sind, wie Experten behaupteten, dass sie "hier Geschichten machen können", wie Winfried Schäfer verkündete. Ihre Aufführungen in Japan allerdings stehen im scharfen Kontrast zu solchen Einschätzungen. Gegen die Iren und noch mehr beim 1:0-Sieg gegen das massenweise Torchancen wegwerfende Saudi-Arabien wirkte Kamerun sehr gewöhnlich - nun wäre wohl selbst ein Unentschieden gegen die Deutschen zu wenig für den Aufstieg ins Achtelfinale.

Für Schäfer, der beim Karlsruher SC fast ein Jahrzehnt erfolgreich arbeitete, ehe er in Stresssituationen beim VfB Stuttgart genauso wie bei Tennis Borussia Berlin seine Linie und seinen guten Ruf verlor, ist ausgerechnet das Duell mit dem Heimatland eines jener faszinierenden Spiele, in denen in 90 Minuten eine Karriere gemacht oder zerstört wird. Deutschland zu besiegen, würde Schäfer zuhause sicher nicht populärer machen, aber als Trainer rehabilitieren - ein Aus in der Vorrunde ihn wohl auf Jahre für erstklassige Jobs diskreditieren.

Ein Trainer mit gutem Auge

Dabei sind Schäfers Qualitäten, unabhängig von diesem Spiel, schon länger klar überschaubar: Er hat ein Auge für gute Fußballer; er kann mit seiner enthusiastischen Art aus willigen Spielern ein Team mit Zusammenhalt formen. Doch es gibt eine Menge Trainer, die Kamerun mehr System verpasst hätten. Was zur eigentlichen Frage führt: Wie gut ist Kamerun wirklich?

Beim Gewinn des Afrika-Cups im vergangenen Februar bewiesen sie, dass sie eine Partie mit der physischen Präsenz und Spielintelligenz von Marc-Vivien Foe und Lauren Etame-Mayer im Mittelfeld kontrollieren können. In WM-Tests gegen Argentinien und England (jeweils 2:2) offenbarten sie Kombinationsfußball mit Niveau und Torgefährlichkeit durch Stürmer Samuel Eto'o (Real Mallorca). Aber es waren in Afrika Spiele auf gemäßigtem Tempo, gegen oft mäßige Gegner. Und es waren allesamt Freundschaftsspiele, in denen ihnen die Gegner großzügig Zeit und Raum ließen.

Wer Kameruns Spieler diese Saison in ihren Vereinen sah, ahnt, dass einige vielleicht doch nicht so stark sind, wie sie und Schäfer glauben möchten: Stürmer Patrick Mboma schoss in England für Sunderland ein einziges Tor; sein Vertrag wird nicht verlängert. Abwehrspieler Raymond Kalla half mit, dass in Spanien Extremadura von der zweiten in die dritte Liga abstieg. Salomon Olembe, Pierre Wome, Geremi Nijtap, die Mehrheit des kamerunischen Mittelfelds: Randfiguren in ihren Klubs. Alle zusammen wirkten sie als Team bei dieser WM bislang in der Abwehr zu leicht verwirrbar, in der Offensive zu ziellos.

Winfried Schäfer, der endlose Enthusiast, hält dagegen: "Aber jetzt sind die Jungs so weit, von der Spiellust her, von der Fitness, vom Schlafen." Der Fußball kennt viele Überraschungen. Doch wenn sie sich gegen Deutschland nicht deutlich steigern, sind sie dem bösen Ende ihres Höllenritts nahe: Achterbahnfahrer, die nicht mehr genug Schwung für die nächste Steigung haben.

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