Hindernisläuferin Antje Möldner-Schmidt:Gold im zweiten Leben

22nd European Athletics Championships - Day Six

Von den Emotionen übermannt: Die Hindernisläuferin Antje Möldner-Schmidt

(Foto: Getty Images)

Antje Möldner-Schmidt besiegt den Lymphdrüsenkrebs, der ihr 2010 diagnostiziert wurde. Bei der Leichtathletik-EM gewinnt die 30-Jährige Gold über 3000 Meter Hindernis - auch, weil sie nach der Erkrankung mutig den Weg zurück in den Sport suchte.

Von Johannes Knuth, Zürich

Antje Möldner-Schmidt trat noch einmal an, bog um die Kurve, meisterte das letzte Hindernis. Dann hatte es die 30-Jährige tatsächlich geschafft. In letzter Sekunde traf sie nach einem Spurt durch die Katakomben zur Siegerehrung ein - die hatte sie fast vergessen, während sie in der Mixed-Zone ausgeharrt und die Fragen der Reporter beantwortet hatte.

Antje Möldner-Schmidt ist am Sonntag in Zürich Europameisterin über die 3000 Meter Hindernis geworden. Nach 9:29,43 Minuten traf sie im Ziel ein, knapp vor der Schwedin Charlotta Fouberg (9:30,16) und der Spanierin Diana Martín (9:30,70), die Möldner-Schmid beide auf der Zielgerade passiert hatte. "Mit einer Medaille hatte ich geliebäugelt, aber Gold?", sagte die 30-Jährige, sie fügte an: "Das bedeutet mir sehr, sehr, sehr viel. Das ist der Höhepunkt meiner Karriere."

Der größte Triumph ihres bisherigen Lebens?, wurde sie gefragt.

"Nach der Krankheit schon, ja".

Man muss bei Möldner-Schmidt von zwei Leben sprechen, eines vor, eines nach der Krankheit. Ihr altes Leben endete am 11. Januar 2010, an einem Montag, beim Frühstück im Trainingslager in Chiclana, Spanien, sie erinnert sich sehr genau daran. Möldner-Schmidt schmerzte eine Stelle zwischen Hals und Schulter. Nach dem Frühstück ging sie zum Training, nach ein paar Runden schnürte es ihr den Hals zu

Kurz darauf erhielt Möldner-Schmidt, 25, die Diagnose: Morbus Hodgkin, ein bösartiger Lymphdrüsentumor. Das war der Moment, als Möldner-Schmidt ihr neues Leben begann, als Hindernisläuferin, die versucht, dem Krebs zu entkommen und zurück in den Sport zu finden.

Hochleistungssportler schauen ständig auf ihren Körper, sie tüfteln an Kraft, Kondition und Ernährung, und jetzt musste die Hochleistungssportlerin Antje Möldner-Schmidt während der Chemotherapie dabei zusehen, wie ihr Körper zerfiel. Ihre Haut wurde gelblich, jeden Morgen fiel ihr ein Haarbüschel aus. In ihrem alten Leben war sie mehr als 100 Kilometer jede Woche gelaufen, jetzt schaffte sie keine 400 Meter mehr zu Fuß, die Distanz einer Stadionrunde. Vier Chemotherapie-Einheiten und später, rund ein halbes Jahr nach dem Vorfall im Trainingslager, teilten ihr die Ärzte mit, dass sie vorerst geheilt sei. Sie hatte Glück gehabt, der Tumor hatte sich damals noch nicht allzu fest eingenistet in ihrem Körper.

Bis zuletzt keine Auskunft über ihre Krankheit

Es gibt kaum Studien darüber, ob und wie schnell Hochleistungssportler nach einer Krebserkrankung ihrem Metier wieder nachgehen sollen. Manche Ärzte raten zu Ruhe, andere sagen, man müsse den Körper so schnell wie möglich wieder belasten, langsam aber stetig. Möldner-Schmidt entschied sich für letzteres. Sie wollte wieder laufen, bei deutschen und internationalen Meisterschaften. Sie ging ins Fitnessstudio, joggte, irgendwann trainierte sie wieder. Gedanken an ein Karriereende? "Die habe ich einfach nicht zugelassen", sagte sie vor der EM dem Spiegel. 2012, zwei Jahre nach ihrer Erkrankung, wurde Möldner-Schmidt Dritte bei der EM in Helsinki.

Bis zuletzt hatte die 30-Jährige keine Auskunft gegeben über ihre Krankheit. Sie hatte befürchtet, dass es sie eher belastet als befreit. "Wenn man daran erinnert wird, nimmt einen das emotional wieder etwas mit", sagte sie am Sonntag nach dem Rennen. Auch das Laufen koste mehr Kraft, nach jeder Belastung müsse sie sich aus einem kleinen Loch holen.

Antje Möldner-Schmidt führt mittlerweile ein gesundes, zweites Leben, ohne Medikamente. "Man genießt viel mehr, ich lasse alles mehr auf mich zukommen", hat sie bemerkt. Sie hat die Angst abgelegt, über das zu sprechen, was ihr widerfahren ist. Das kostet Kraft, gibt aber anderen Hoffnung. In London 2012, nach ihrem 7. Platz bei den Olympischen Spielen, kam in der Mixed-Zone ein älterer Herr auf Möldner-Schmidt zu. Der Mann litt an der gleichen Krankheit, er sagte: "Sie sind ein Vorbild".

Wie es jetzt weitergeht, wurde Antje Möldner-Schmidt noch gefragt. "Mal gucken", sagte sie.

Seit der siebten Fußoperation sorgenfrei

Gegen die Geschichte der Hindernisläuferin konnte keine Erfolgsgeschichte ankommen an diesem Sonntag, nicht der abschließende Silber-Gewinn der Männer-Sprintstaffel in 38,09 Sekunden, auch nicht die Goldmedaille von Kugelstoßerin Christina Schwanitz. Wobei Schwanitz ebenfalls einiges zu erzählen hatte.

Christina Schwanitz, 28, hat Berufserfahrung als Gewinnerin, im vergangenen Jahr war sie Hallen-Europameisterin und WM-Zweite. Sie genießt mittlerweile den Status einer "Medaillenbank", so nennt DLV-Präsident Prokop Sportler, die bei einer Großveranstaltung ganz sicher etwas gewinnen. Leute wie Schwanitz sind wichtig für eine große Mannschaft, sie geben Halt, wenn die Jüngeren den Halt verlieren. Und in Zürich war Christina Schwanitz souverän: 19,90 Meter im zweiten Versuch. Sie lächelte, kurz darauf war sie Europameisterin.

Auch Schwanitz teilt ihr Leben in zwei Episoden ein, wenn auch auf andere Art: vor der siebten und letzten Fuß-Operation im Jahr 2012, nach der siebten und letzten Fuß-OP. Vor der Operation hatte sie eine Fußfehlstellung, wenn sie barfuß lief, waren die Schmerzen groß. Seit dem letzten Eingriff vor zwei Jahren kann sie sorgenfrei trainieren. In Zürich hatte sie mit ihrer Goldmedaille großen Anteil daran, dass sich die deutsche Mannschaft noch auf den dritten Platz im Medaillenranking schob.

"Der Rucksack wächst", sagte Schwanitz über die wachsenden Erwartungen nach ihrem Triumph. Aber die 28-Jährige hat nun immerhin alle Voraussetzungen, um mit der Last umzugehen.

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