Himalaya 100 Mile Stage Race:"Der Kopf sagt, wie weit die Beine laufen können"

Extremsportler Norman Bücher über seinen Höhenlauf durch den Himalaya und wann ein Körper eigentlich schlapp macht.

Andreas Thieme

Extremläufer Norman Bücher stellt sich Ende Oktober einer gewaltigen Herausforderung: dem "Himalayan 100 Mile Stage Race". Bei diesem Rennen müssen die Teilnehmer im Hochgebirge 160 Kilometer und einige tausend Höhenmeter in fünf Tagesetappen bewältigen. Während des Laufs sind vier der fünf höchsten Berge der Welt zu sehen.

sueddeutsche.de: Herr Bücher, geht es Ihnen gut?

Norman Bücher: Ja, wieso?

sueddeutsche.de: Weil Sie in wenigen Tagen beim "Himalayan 100 Mile Stage Race" starten. Wie bereitet man sich denn auf den vielleicht härtesten Berglauf der Welt vor?

Bücher: Mit vier Wochen Höhentraining in Nepal, wo ich etwa auf einem Trekkingpfad im Annapurna-Gebiet steile Passagen erlaufe. Teilweise so steil, dass nur ein schneller Gehschritt möglich ist. Ein Wechsel zwischen Lauf- und Wandertraining.

sueddeutsche.de: Wie viel trainieren Sie?

Bücher: Für Bergläufe trainiert man anders als für einen Marathon: Pro Woche fünf bis sechs Tage Training mit bis zu 40 Kilometer Entfernung bei Überwindung von 2500 Höhenmetern. Es kommt nicht so sehr auf die Schnelligkeit an, sondern auf das Durchhaltevermögen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt dabei die Psyche?

Bücher: Bei einem Ultramarathon spielen sich 70 bis 80 Prozent des Rennens im Kopf ab. In der Vorbereitungszeit beschäftige ich mich vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen jeweils zehn Minuten lang sehr intensiv mit dem Lauf, schließe meine Augen und stelle mir gewisse Szenarien des Rennens vor.

sueddeutsche.de: Visualisieren nennen Sportpsychologen diese Technik. Auch der Torhüter Oliver Kahn hat sich mögliche Spielsituationen bildlich vorgestellt - und großen Erfolg gehabt.

Bücher: Es ist tatsächlich möglich, sein Unterbewusstsein zu "programmieren" und die gedanklich erarbeiteten Erfahrungen in die Tat umzusetzen. Durch meine Vorstellungskraft kann ich mich schon vorab als Sieger im Ziel fühlen - das gibt unheimlich Kraft.

sueddeutsche.de: Wie kommt man eigentlich zum Extremsport?

Bücher: Ich habe ganz langsam und unspektakulär angefangen: Erst einen Volkslauf über zehn Kilometer, dann vor zehn Jahren meinen ersten Halbmarathon und ein Jahr später den richtigen Marathon. Da konnte ich mich zwar von der Zeit her steigern, das hatte aber schnell an Reiz verloren. Irgendwann kam für mich dann die Frage auf: Was kann ich noch?

sueddeutsche.de: Da bleiben nur die Ultrastrecken.

Bücher: Genau. 2001 nahm ich zum ersten Mal an einem Nachtlauf über 100 Kilometer im schweizerischen Biel teil. Da startet man abends um 22 Uhr und läuft die ganze Nacht durch - ein Klassiker unter den Ultramarathons. Aber nachdem ich das ein paar Mal gemacht hatte, suchte ich aber wieder eine neue Herausforderung. Das waren dann die Berg-Ultraläufe.

sueddeutsche.de: Im Himalaya schlafen Sie in Hütten, haben keine Dusche, bezahlen 1500 Euro Startgeld und haben Reisekosten. Was ist so faszinierend daran?

Bücher: Es ist die Grenzerfahrung in einer spektakulären Umgebung. Bei diesen Läufen lebt man unglaublich intensiv, lernt seinen Körper kennen und bekommt eine ganz spezielle Wahrnehmung - ganz anders als beim Joggen zu Hause. Man lebt in einer Art Innenwelt, lässt Teile seines Lebens Revue passieren. Es gibt es auch öfter mal ein Tief, das man durchläuft, Krämpfe etwa oder muskuläre Probleme. Die Kunst ist, dann weiterzulaufen und nicht aufzugeben.

sueddeutsche.de: Geht es also auch darum, sich selbst zu beweisen, dass der Kopf stärker als der Körper ist?

Bücher: Auf jeden Fall. Der Kopf sagt, wie weit die Beine laufen können.

sueddeutsche.de: Wie schaffen Sie es, dass der Kopf sagt: Es geht weiter?

Bücher: In Krisensituationen versuche ich mich durch äußere Reize abzulenken, eine schöne Pflanze etwa oder Vogelgezwitscher. Man muss versuchen, sich wieder in eine positive Stimmung zu versetzen. Manchmal denkt man aber auch nur an den nächsten Schritt.

sueddeutsche.de: Wie früher Emil Zatopek, dessen Ziel immer der nächste Baum oder das nächste Haus war.

Bücher: Genau, das vermeidet mentale Blockaden. Wenn man mitten im Himalaya steht und denkt: Ich muss jetzt noch 100 Kilometer laufen - da kann man schon mal die Krise kriegen. Besser ist zu denken: Ich laufe jetzt bis zum nächsten Verpflegungspunkt.

sueddeutsche.de: Und dann läuft man doch immer weiter. Wie ist das Gefühl, schließlich anzukommen?

Bücher: Natürlich überwiegt die Freude, es geschafft zu haben. Aber man ist so voller Endorphine, dass man es eigentlich noch gar nicht begreifen kann. Was man geschafft hat, versteht man erst Tage später. Das ist eine Hochstimmung, die über Stunden anhält.

sueddeutsche.de: Sie sprechen vom sogenannten Runners High. Manche Fußballer vergleichen das Gefühl, Tore zu schießen mit Sex.

Bücher: So kann man das sehen. Vom inneren Gefühl und den Emotionen her kommt der Zieleinlauf dem ähnlich. Ja wirklich, Sex ist ein guter Vergleich.

sueddeutsche.de: Was kommt nach dem Lauf? Die große Leere?

Bücher: Da mache ich auch mal eine Woche gar nichts, leg die Beine hoch und gönne mir ein, zwei Bierchen mehr. Nach dieser Woche gehe ich dann vom extremen ins gesundheitsorientierte Training über. Da laufe ich dann nur noch eine Stunde, ohne Höhenunterschiede.

sueddeutsche.de: Das klingt ja wie Urlaub.

Bücher: Ist es auch. Nach dem Rennen bin ich nämlich drei Wochen in Nordindien. Zum Reisen, nicht zum Laufen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: