Herzattacken bei Sportlern:"Es fällt eher einer in der Kreisliga um als in der Bundesliga"

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Der englische Fußball reagiert geschockt auf den Zusammenbruch des Bolton-Spielers Fabrice Muamba. Der Arzt und Herzspezialist Christof Burgstahler erklärt, wie es zu einem plötzlichen Herzstillstand kommen kann, weshalb Freizeitsportler gefährdeter sind als Profis - und was ein eingebauter Defibrillator bewirken kann.

Cornelius Pollmer

SZ: Herr Burgstahler, ein 23-jähriger Leistungssportler erleidet einen Herzstillstand und sackt zusammen. Wie kann das passieren?

Im Spiel gegen Tottenham Hotspur brach Fabrice Muamba kurz vor der Halbzeit regungslos zusammen. (Foto: AP)

Christof Burgstahler: Das ist rein spekulativ: Hat er einen angeborenen Herzfehler? Hat er - wie vor drei Jahren der 800-Meter-Läufer René Herms - eine Infektion verschleppt und mit einem entzündeten Herzmuskel weitertrainiert? Hatte er einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie? Ich weiß es nicht. Was Fabrice Muamba passiert ist, nennt man einen überlebten plötzlichen Herztod. Dafür kann es etwa 25 verschiedene Ursachen geben. Es ist sogar möglich, dass man durch einen starken Schlag auf die Brust, durch einen Ball zum Beispiel, eine Herzerschütterung bekommt.

SZ: Eine Herzerschütterung?

Burgstahler: So wie es Gehirnerschütterungen gibt, gibt es auch solche des Herzens. Es kann dann zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen kommen. Oder es kommt durch den Schlag auf die Brust zu einem Einreißen des Herzkranzgefäßes. Das Ergebnis ist dann dasselbe wie bei einem Infarkt: ein Herzkranzgefäß wird nicht mehr durchblutet.

SZ: Welche Ursache ist die wahrscheinlichste?

Burgstahler: Es gibt eine Studie aus den USA, in dieser wurden die Todesursachen von 400 jungen Sportlern untersucht. Statistisch die häufigste Ursache ist eine familiäre, also meist angeborene Verdickung der Herzscheidewand. Bei dunkelhäutigen Sportlern wie Muamba kommt diese Erkrankung häufiger vor. Andererseits weiß man, dass dunkelhäutige Sportler "dickere" Herzmuskel haben, ohne dass dies krankhaft ist. Im Einzelfall kann die Unterscheidung zwischen krankhaft und nicht krankhaft schwierig sein.

SZ: Sogar für erfahrene Sportmediziner.

Burgstahler: Das Schwierige an diesem Herzfehler ist, dass man Frühformen davon nicht ohne weiteres erkennen kann. Stellen Sie sich vor, eine Frau hat diesen Herzfehler und bekommt dann ein Kind - dann kann dieses Kind die Veranlagung haben, den Herzfehler kann man aber erst später im Ultraschall erkennen.

SZ: Es gibt also Herzfehler, die lassen sich selbst bei intensiver medizinischer Überwachung nicht erkennen?

Burgstahler: Bei einem 23-Jährigen sollte man die Verdickung der Herzscheidewand diagnostizieren können. Die zweithäufigste Todesursache bei den Sportlern in der Studie war ein atypischer Verlauf der Herzkranzgefäße. Wenn so ein Herzkranzgefäß an der falschen Stelle der Hauptschlagader entspringt, erkennt man das in Routineuntersuchungen nicht.

SZ: Sondern?

Burgstahler: Was erkannt wird und was nicht, liegt aber noch an anderen Faktoren, etwa an Standards für Vorsorgeuntersuchungen. Für normale Untersuchungen auf Sporttauglichkeit wird in USA nicht mal ein Ruhe-EKG gefordert, in Deutschland schon. Nicht alle Profisportler sind verpflichtet, sich sportmedizinisch untersuchen zu lassen. Da wir eine bestimmte Selbstverantwortung erwartet. Selbst im gut überwachten Profifußball kommt es aber vor, dass jemand einen Infekt nicht auskuriert und sich der Herzmuskel entzündet. Ganz ausschließen wird man das nicht können. Abgesehen davon ist übrigens nicht nur im Profisport die Belastung hoch. Auch Sporteinsteigern, -wiedereinsteigern und Freizeitsportlern ab dem 35. Lebensjahr wird eine sportmedizinische Untersuchung empfohlen.

SZ: Zurück zu Fabrice Muamba: Was genau passiert eigentlich bei einem Herzstillstand?

Burgstahler: Wenn das Herz still steht, dann steht auch der Kreislauf still und alle Organe werden nicht mehr durchblutet. Nach wenigen Sekunden verlieren sie dann das Bewusstsein und fallen um. Das Gehirn ist dabei besonders empfindlich, schon nach wenigen Minuten ohne Durchblutung kann es bleibende Schäden geben. Wenn der Notarzt nach 15 Minuten kommt, kann es schon zu spät sein. Deswegen ist es ja so wichtig, Laien zu schulen, und deswegen gibt es jetzt überall diese Laien-Defibrillatoren. Mit denen man übrigens nichts falsch machen kann, das ist ganz wichtig, man kann damit niemandem schaden - aber im Zweifel sehr viel helfen.

SZ: Wenn es für Muamba jetzt gut läuft, kann er dann irgendwann wieder Profifußball spielen?

Bestürzung in Tottenham: Mediziner kämpfen um Fabrice Muambas Leben. (Foto: AP)

Burgstahler: Das hängt von der Ursache ab. Es gibt einen Fußballspieler, das können sie bei Youtube nachschauen, der hat einen eingebauten Defibrillator. Wenn der eine Rhythmusstörung hat, zuckt er kurz, dann geht es weiter. Das ist eher die Ausnahme. Typischerweise muss man davon ausgehen, das Muamba keinen Profisport mehr machen kann - wenn er es überhaupt übersteht, was man nur hoffen und wünschen kann.

SZ: Auf der Webseite der Deutschen Herzstiftung heißt es, man solle "Infekte auskurieren" und beim Sport "übertriebenen Ehrgeiz vermeiden". Sind Leistungssportler anfälliger für Herzprobleme?

Burgstahler: Nein. Normalerweise sind die Profisportler jünger, das heißt per se gesünder. Das gilt auch für Kinder, die schon ab zwölf oder 13 unter Profibedingungen trainieren. Wenn sie körperlich unversehrt sind, ist die physische Belastung kein Problem. Die Profis haben vielleicht mal Schwierigkeiten, sich einem gewissen Druck zu widersetzen: zu sagen, ich trete nicht zum Wettkampf an, weil ich mich nicht fit fühle. Aber das haben die Mannschaftsärzte in aller Regel gut im Griff. Krank an einem Wettbewerb teilzunehmen, ist unvernünftig. Aber statistisch ist es schon so, dass wer Sport treibt, auch Leistungssport, länger lebt.

SZ: Wie oft wird zum Beispiel ein Bundesligaprofi untersucht?

Burgstahler: Mindestens ein Mal pro Saison mit einer Herz-Ultraschalluntersuchung und einem Belastungs-EKG. Bei den Spielen sind immer Ärzte am Platz - in Deutschland ist das schon lange so, in England erst seit dem Schädel-Hirn-Trauma von Petr Čech. Die Profis werden medizinisch schon gut betreut, deswegen kommt es ja so selten vor, dass einer umfällt. Es fällt eher einer in der Kreisliga B um als in der Bundesliga.

SZ: In den vergangenen Jahren starben mindestens zwölf Profis nach Zusammenbrüchen beim Spiel oder im Training - das ist also keine Häufung, sondern verzerrte Wahrnehmung?

Burgstahler: Definitiv verzerrte Wahrnehmung. Es ist insgesamt glücklicherweise selten, dass einem Profi was passiert - aber wenn es passiert, dann geht es um die ganze Welt. Wir merken es auch hier an der Uniklinik, wenn prominente Sportler versterben: Dann kommen vermehrt Anfragen von Personen, die sich durchchecken lassen wollen.

Prof. Dr. Christof Burgstahler, 38, ist Kardiologe und Oberarzt der Abteilung Sportmedizin am Universitätsklinikum Tübingen. Er betreut Sportler vom Profi bis zum Freizeitsportler.

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