Herthas Sieg in Ingolstadt:Weisers Weg

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Mann des Spiels: Dem Berliner Mitchell Weiser (vorne, im Zweikampf mit Ingolstadts Alfredo Morales) gelingt das einzige Tor. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Der frühere Bayern-Spieler trifft erstmals für die Hertha, die sich auf Platz fünf festsetzt. Trainer Dardai lobt danach den jungen Torschützen.

Es wirkte fast so, als ob sich die Ingolstädter abgesprochen hätten. Vielleicht sogar im Kreis, in den Trainer Ralph Hasenhüttl seine Spieler unmittelbar nach dem ziemlich unnötigen 0:1 gegen Hertha BSC versammelt hatte. Andererseits hatten sie ja recht, was sollten sie auch anderes sagen als: "Diese Niederlage ist sehr bitter. Wir haben so gut wie nichts zugelassen. Hertha hat heute mit sehr, sehr wenig Aufwand drei Punkte geholt." Sagte Marvin Matip, der Kapitän. Sagte, fast wortgleich, Romain Bregerie, der Mittelfeldspieler.

Ingolstadt, dieser erstaunliche Aufsteiger, scheint nach der zweiten Niederlage in Serie endgültig in der Bundesliga angekommen zu sein. Dem 0:1 in Stuttgart folgte das 0:1 gegen die Hertha. War es zu Saisonbeginn noch so, dass die Schanzer mit supereffektivem Fußball Punkt auf Punkt gewannen, lassen sie die Chancen liegen und stehen bei Abpfiff mit null Toren und null Punkten da. 14 Punkte sind schon ein gutes Polster, aber der Aufsteiger lernt jetzt erst mal das Pech kennen.

Der forsche Saisonstart war den Ingolstädtern ohnehin ein bisschen unheimlich gewesen. Nun hält die harte Liga-Realität Einzug, aber Hasenhüttl ahnt schon, an wen er sich wenden muss: "Der da oben will ein bisschen mehr von uns sehen. Dann belohnt er uns wieder."

Weiser trifft und wird vom Trainer gelobt: "Gut für den deutschen Fußball"

Pal Dardai scheint da weniger metaphysisch veranlagt zu sein. Der Hauptstadt-Trainer glaubt wie Hasenhüttl an harte Arbeit. Das genügt dem Hertha-Trainer als Erklärung: "Das war ein Arbeitssieg in einem ausgeglichenem Spiel." Punkt. Dieser Sieg hievt die bemerkenswert schnörkellos und effektiv spielende Hertha mit 17 Punkten auf Platz fünf. Dardai hat aus einem Abstiegskandidaten über den Sommer ein derart stabiles Gebilde gebaut, dass es wenig Fantasie braucht, um sich Hertha auf Dauer in oberen Tabellenregionen vorzustellen. Zumal die Berliner Minimalisten sind: Außer dem frühen Treffer, einem leicht abgefälschten Ball von Mitchell Weiser (10.), der sonst vermutlich das Tor verfehlt hätte, hatte die Dardai-Elf nur noch eine klare Chance. Und doch wirkte Hertha souverän. Dardais Plan geht auf.

Hasenhüttls nicht. Bei Anpfiff hat so ein Aufsteiger ja fast schon sein Lieblingsergebnis erreicht. Ein 0:0 ist gut, besser nur noch ein 1:0. Mehr Tore, klarere Siege könnten seinen Profis zu Kopf steigen, hat Ingolstadts Trainer jüngst festgestellt. Und das nicht einmal im Scherz. Schwerer kommt so ein Aufsteiger dann schon mit einem 0:1 klar, wie es Weiser gelang, der im Sommer vom FC Bayern nach Berlin umgezogen war, jetzt seinen ersten Ligatreffer für die Berliner erzielte und dafür ein Sonderlob von Trainer Dardei bekam: "Ich bin sehr zufrieden, dass er bei uns spielt. Es ist auch gut für ihn. Bei uns ist er Stammspieler und kann sich weiterentwickeln. Das ist auch gut für den deutschen Fußball. Er muss Erfahrung sammeln."

Salomon Kalou hatte eine Flanke mit dem Kopf aufgenommen und vor Ingolstadts Verteidiger Benjamin Hübner platziert. Dessen schwacher Klärungsversuch landete bei Weiser, der im Rückraum abzog und traf.

Für seine 14 Punkte brauchte der Aufsteiger nur sechs Tore

Plötzlich waren die Ingolstädter in einer Rolle, die ihnen weniger taugt. Zwar waren sie vor Wochen in Köln nach Rückstand sofort wieder zurückgekommen, sonst aber tat sich diese super-effektive Mannschaft, die nur sechs Tore für ihre 14 Punkte brauchte, äußerst schwer mit Rückständen. Und das was bis zur Pause folgte, war einfach nur: grausam. Fürs Auge.

Es war durchaus ein intensives, bissig geführtes Spiel, aber es fehlte an Rasse und Klasse. "Tempo!", brüllte Dardai verzweifelt. Ingolstadt versuchte es fast nur noch mit langen Bällen. Hoch und weit - die englische Schule. Die Mannschaften neutralisierten sich. Kein Wunder, dass zur Pause fast alle relevanten Statistikwerte (Ballbesitz, Pässe, Fehlpassquoten, Schüsse) nahezu identisch waren. Nur ein Wert nicht: Das Torverhältnis.

Was auch daran lag, dass den Ingolstädtern sechs Minuten vor der Halbzeit ein Elfmeter verweigert wurde, den man nicht unbedingt, aber doch hätte geben können. Herthas Per Skjelbred sprang der Ball nach einer Ecke an den Oberarm. Der Arm war angelegt, aber der Oberkörper des Norwegers drehte sich in Richtung Ball. Ingolstadt reklamierte vergeblich. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Hasenhüttl hat mehrmals angemerkt, dass die Schiedsrichter im Zweifel gegen seine Spieler entscheiden würden. Er sagte es eingeschränkt vorwurfsvoll; ein Aufsteiger müsse sich den Respekt eben erst erarbeiten.

Das versuchte Ingolstadt nach der Pause, die Mannschaft drehte auf. Vor allem Pascal Groß erinnerte sich offenbar daran, dass Hasenhüttl ihn als Spielgestalter hinter den Stürmern Leckie und Hinterseer vorgesehen hatte. Die Chancen folgten im Zweiminutentakt: Leckie (58.), Bregerie (60.), Suttner (62.), Leckie (65.). Am Ende stürmten eigentlich alle, bis auf Torwart Ramazan Özcan. Die Ingolstädter, die Effektivmonster der Vorwochen, spielten toll. Nur effektiv waren sie nicht.

© SZ vom 25.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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