Hertha BSC:Fernweh nach dem eigenen Gemach

1. FC Heidenheim - Hertha BSC

Einst senste er im Mittelfeld der Hertha, nun trainiert er sie: Pal Dardai hat die Berliner in eine der besseren Mannschaften der Bundesliga verwandelt.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die neu ausgerichtete Hertha träumt so intensiv wie seit Jahren nicht mehr vom Pokalfinale im Olympiastadion von Berlin.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Neuerdings zeigt die als griesgrämig verpönte Hertha sogar eine der edelsten Formen von Humor: Selbstironie. "Schon Weihnachten - und wir noch im Pokal", lautete die Aufschrift auf einem T-Shirt, das im Dezember im Fanshop vertrieben wurde. Hertha, das war ja über Jahre der running gag des DFB-Pokals. Seit Herthas Heimstatt, das Berliner Olympiastadion, im Jahre 1985 als deutsches Wembley, sprich: als dauerhafte Austragungsstätte des DFB-Pokalfinales etabliert wurde, hat das Cupfinale stets ohne Beteiligung der ersten Mannschaft des Hauptstadtklubs stattgefunden. Den Himmel über Berlin küssten andere, und die "Alte Dame" blickte stets drein wie eine Gehörnte, die dem Finalpaar nicht nur das eigene Gemach überlassen, sondern auch noch die Laken glatt gestrichen hatte. Nun aber ist es so, dass die Hertha nicht nur das Weihnachts-, sondern auch das Osterfest als Pokalteilnehmer erlebt. Die ewigen Pokalversager stehen - wer hätte dit jedacht - seit Mittwochabend im DFB-Pokal-Halbfinale.

"Wir machen das nicht für uns, sondern für die Zuschauer."

Am 19. oder 20. April kommt dann Borussia Dortmund. Der knapp anmutende, gleichwohl souveräne 3:2-Sieg beim Zweitligisten Heidenheim markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Umstrukturierung, die noch vor einem halben Jahr für unwahrscheinlich gehalten wurde. Hertha ist aktuell Tabellendritter der Bundesliga und erstmals seit 1981 wieder im Pokalhalbfinale. Allerdings nur dann, wenn man einen Spezialfall ausblendet: 1993 stieß die zweite Mannschaft, stießen die Amateure, die Hertha-Bubis, gar bis ins Endspiel vor, das sie 0:1 gegen Leverkusen verloren. Zurück aber zur ersten Mannschaft, zurück in Jahr 1981. Wie weit das alles weg ist: Die Berliner Mauer galt als unverrückbar, das geteilte Deutschland wurde von den verstorbenen Helmut Schmidt (West) und Erich Honecker (Ost) regiert, die heuer auf Oldie-Sendern beheimateten Bands wie Ideal, Spliff oder Einstürzende Neubauten schossen durch die Charts, und auf den Zigarettenpackungen erschienen erstmals Hinweise auf die gesundheitsgefährdenden Folgen des Tabakkonsums. Auch die seinerzeitige Hertha, eine bestenfalls fahrstuhlmannschaftverdächtige Formation, hatte wenig mit dem Hier und Heute zu tun. Hier und heute hat sich die Hertha durch passable Ballbehandlung eine Anerkennung erarbeitet, die an der Spree in Begeisterung umschlägt. "Das Hertha-Wunder", japst der Berliner Boulevard.

Und da ist ja was dran. Der Architekt der neuen Empathie ist vor allem Pal Dardai, der vor ziemlich genau einem Jahr das Traineramt übernahm. Er hat Herthas Identität kaum merklich und doch grundlegend verändert. Sie verkörpert längst das Gegenteil von dem, was Hertha lange war, besonders rund um die Jahrtausendwende: eine nervige Möchtegern-Riesin, die auf Biegen und Brechen als elitär und chic wahrgenommen werden wollte - und sich nicht nur wunderte, wenn sich die Stadt das Maul über die Ballonseidenanzüge eines knurrenden Trainers namens Huub Stevens zerriss. Sondern in ihrem Größenwahn fast pleite ging.

Die Hertha von heute hingegen wirkt wie das Negativ davon: Sie ist ein 22-beiniger Klon des defensiven Mittelfeldmanns, der Dardai einst war: unprätentiös und doch ambitioniert, von aufrichtigem Arbeitsethos getragen, wie man auch beim Auftritt im schneeverwehten Heidenheim sehen konnte, uneitel und trotzdem bestrebt, gehaltvolle Vorträge zu liefern. "Wir machen das nicht für uns, sondern für die Zuschauer", pflegt der überzeugte Trainingsanzugträger Dardai zu sagen. Allmählich kommt es an in der Stadt. Am vergangenen Samstag waren erstmals in dieser Saison alle Plätze im Olympiastadion gegen Borussia Dortmund (0:0) mit rund 74 000 Zuschauern ausverkauft.

Trotz des Remis hinterließ die Partie, die nun im Pokalhalbfinale eine Neuauflage erfahren wird, bei Hertha beste Laune. "Lieber @BVB, wir wollten unseren Rasen wechseln, aber jetzt lassen wir ihn liegen, bis ihr kommt", twitterte Manager Michael Preetz - eine Anspielung auf BVB-Trainer Thomas Tuchel, der am Samstag über den Zustand des Platzes im Olympiastadion geklagt hatte.

Ob's für die Hertha letztlich reichen wird, das seltsame Fernweh nach dem eigenen Gemach zu stillen und am 21. Mai im Finale zu stehen? Um sich, über die Bundesliga, für den Europacup zu qualifizieren? Die Zahl der Klubs, die mehr Geld und auch mehr individuelle Klasse haben, ist groß. Die Hertha hat Luft nach oben. Doch selbst in dieser Hinsicht ist sie repräsentativ für ihre Heimat - eine Stadt, die innerhalb ihrer Grenzen nie ihre Unvollkommenheit abgelegt hat. Zahllose Kräne zeugen von ewiger Unfertigkeit. Allmählich wird die Hertha zu einem soliden, nachhaltigen Projekt, und wenn sich das bestätigen sollte, wird die Erinnerung an die Tage verblassen, da sich die Fußballwelt fragte, wie es sein könne, dass Berlin die einzige Hauptstadt des Kontinents ohne vernünftigen Erstligisten ist. Das Fundament dazu scheint gelegt zu sein.

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