Hertha BSC:Berlin bleibt stark

Hertha BSC: Ein Moment des Innehaltens: Ziemlich genau 48 Stunden nach dem Anschlag in Berlin gedenken die Spieler von Hertha BSC und Darmstadt 98 der Opfer.

Ein Moment des Innehaltens: Ziemlich genau 48 Stunden nach dem Anschlag in Berlin gedenken die Spieler von Hertha BSC und Darmstadt 98 der Opfer.

(Foto: AFP)

Massive Polizeipräsenz, getragene Musik: Unter besonderen Bedingungen besiegt Hertha BSC den Tabellenletzten Darmstadt 2:0 und verdrängt für 90 Minuten die Bilder vom Attentat aus den Köpfen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Kindheit ist auch so ein Ort, der Heimat sein kann. Und was ist der Fußball, wenn nicht ihre allwöchentliche Rückkehr? Achtundvierzig Stunden waren am Mittwochabend seit dem Anschlag in Berlin vergangen, als Hertha BSC den SV Darmstadt 98 zum Bundesligaduell empfing, und sich 31 912 Zuschauer dem Versuch hingaben, Alltag zu üben. "Nur nach Hause/nur nach Hause/nur nach Hause . . . gehen wir nicht", dröhnt es gemeinhin aus den Boxen des Olympiastadions zur Melodie von "We Are Sailing", einer Ballade von Rod Stewart, immer dann, wenn die Profis auf den Rasen gehen. Herthas Hymne ist auch eine Hymne des Trotzes; bislang war er immer nur sportlich gemeint und spielte darauf an, dass die Hertha es immer wieder verbockt. Diesmal nicht.

Diesmal gab es keine laute Musik vom Band. Doch die Fans ließen sich ihren Trotz nicht nehmen. Und so sangen sie a capella, nach einer wirklich ergreifenden Schweigeminute für die zwölf Toten und 50 Verletzten vom Breitscheidplatz. "Berlin bleibt stark", stand auf einem Banner, das in der Ostkurve hing, wo die Hertha-Fans stehen; im ganzen Rund hielten die Zuschauer ihre Handys in die Höhe. "Natürlich ist es ein Spagat für alle, auch die Spieler, dass wir die schrecklichen Bilder für 90 Minuten aus den Köpfen kriegen", sagte Manager Michael Preetz dem Fernsehsender Sky.

Sein Team schaffte es: Hertha siegte 2:0, vollauf verdient und sogar mit ein wenig Glanz. Nicht wegen des Spiels, sondern wegen des Traumtors von Marvin Plattenhardt, der in der 53. Minute einen Freistoß aus knapp dreißig Metern direkt in den Winkel schoss und damit die Führung erzielte. Es war ein Treffer von solch atemraubender Schönheit, der nach einem ausufernden Jubel geschrien hätte. Doch Plattenhardt stand der Sinn nicht nach Euphorie. Auch die Freude von Salomon Kalou, der einen Plattenhardt-Freistoß per Kopf aus fünf Metern ins Tor bugsierte (66.), fiel verhalten aus.

Einige Beamte trugen Maschinenpistolen

Der Triumph war der Lohn für die beeindruckende Leistung, unter außergewöhnlichen Umständen so etwas wie fußballerischen Alltag über das Stadion zu legen. Die Stunden vor dem Spiel waren alles andere als normal verlaufen. Die Mannschaft der Hertha war am Mittwochmittag vom nahegelegenen Teamhotel an den Breitscheidplatz gegangen und hatte dort ein Blumengebinde niedergelegt. Auf den Schwarz-Weiß-Fotos, die dort entstanden und die am Abend auf der Anzeigentafel aufschienen, waren junge Männer zu sehen, die das, was dort geschehen war, wirklich zu beschäftigen schien.

Auch den Zuschauern signalisierten die Begleitumstände rund um die Partie so etwas wie einen Ausnahmezustand. Vor dem Stadion zeigte die Polizei massiv Präsenz, die Sicherheitskontrollen wurden merklich verschärft, einige Beamte trugen Maschinenpistolen. Die Musik im Stadion war getragen, die Farbe wurde aus den Grafiken auf der Anzeigentafel verbannt, die Einpeitscher vermieden die sonst übliche Marktschreierei. Doch all das war unwirklich verflogen, als die Partie angepfiffen war.

Als Tabellendritter in die Weihnachtszeit

Die Hertha, die auf Stammkräfte wie Rechtsverteidiger Mitchell Weiser und Innenverteidiger Sebastian Langkamp sowie John Brooks verzichten musste, begann das Spiel resolut. Beseelt von dem Willen, Dominanz zu erzielen. Doch gegen physisch starke, sehr kompakt stehende Darmstädter taten sie sich lange schwer, weil die Distanzen, die zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen zu überbrücken waren, zu lang waren.

Nach einer Kopfballchance von Niklas Stark im Anschluss an eine Ecke (10. ) vermittelten die Darmstädter überdies einiges Geschick bei ihren Versuchen, aus Kontern Kapital zu schlagen. Es dauerte allerdings bis zur 30. Minute, ehe sie zu einer veritablen Torgelegenheit kamen: Mario Vrancic zog aus 15 Metern ab, seinen Schuss aber fälschte Herthas Verteidiger Stark ab. Kurz vor der Halbzeitpause konnte Darmstadts Torwart Michael Esser bei einem Schuss von Salomon Kalou retten, der Ivorer hatte sich zuvor am Fünf-Meter-Raum gegen Artem Fedetskyy durchgesetzt. Kurz darauf war es wieder Vrancic, der nach einem Freistoß per Kopf die Herthaner in Schrecken versetzte. Doch auch dies blieb ohne Erfolg.

Nach der Pause war es dann auch nicht zufällig Standardsituationen geschuldet, dass Hertha im achten Heimspiel den siebten Sieg erzielte. Erst nach dem 2:0 war so etwas wie Leichtigkeit zu sehen, der eingewechselte Alexander Esswein hätte kurz vor Schluss fast noch das 3:0 erzielt. Doch auch so blieben die Berliner stark, wie es ihre Anhänger gefordert hatten. Sie jubelten dann doch noch, mit kindlicher Freude, als das Ergebnis aus Hoffenheim eingeblendet wurde (1:1 gegen Bremen). Nur der FC Bayern (39) und RB Leipzig (36) haben mehr Punkte gesammelt als die Herthaner (30), die nun als Tabellendritter in die Weihnachtstage gehen.

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